Bauwelt

Ratio und Ästhetik

Das Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus widmet sich einem ­grundlegenden Prinzip der Moderne: dem Stapeln

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Negation der Stapel-Logik: „Chest of Drawers“ von Tejo Remy für Droog, 1991

    © Gerard van Hees/Droog

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    Negation der Stapel-Logik: „Chest of Drawers“ von Tejo Remy für Droog, 1991

    © Gerard van Hees/Droog

Ratio und Ästhetik

Das Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus widmet sich einem ­grundlegenden Prinzip der Moderne: dem Stapeln

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Derzeit führt der rund 830 Meter hohe Burj Khalifa in Dubai die Rekordliste der Wolkenkratzer an, voraussichtlich 2020 wird ihn der Jeddah Tower in Saudi-Arabien mit gut einem Kilometer Höhe ablösen. Er soll, von 59 Aufzügen erschlossen, etwa 500.000 Quadratmeter Nutzfläche bieten – eine überschaubare Leistungsbilanz dieses ­gigantischen Geschossstapels. Das Renommierprojekt führt damit ein Prinzip der Moderne ad absurdum: das Stapeln, die vertikale Addition rationeller Elemente unter der Prämisse ökonomischen Augenmaßes. Eine Ausstellung im Bremer Wagenfeld-Haus geht derzeit dieser Kulturtechnik nach, zeigt anhand alltäglicher Gebrauchsgegenstände die anspruchsvolle Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe des Stapelns, aber ebenso die Gefahr ästhetischer Dogmen sowie ihre künstlerische Reflexion.
Mit der Industrialisierung zog die arbeitsteilige Organisation auch in den Privathaushalt ein. Wer nun abseits des Wohnquartiers seine Mahlzeiten einnehmen musste, benötigte dafür Transportbehältnisse. Der Henkelmann für eher eintopfartige Gerichte ist die archaische deutsche Variante, in Japan haben kunstvolle, auf- und ineinander gestellte Lackdosen für separierte Speisen eine lange Tradition. Sie sind die typologischen Vorläufer der zurzeit trendigen Lunchboxen: eckig oder rund, aus Edelstahl und Glas, meist mit Spannklammer zusammengehalten. In ihrem formstabilen Stapel beherzigen sie weitere Gestaltungsmerkmale, die etwa Wilhelm Wagenfeld Mitte der 1930er Jahre in seinem Pressglasgeschirr einführte: Der jeweils flache Deckel eines Gefäßes hat auf der Oberseite einen umlaufenden Wulstrand, der das darauf gestellte Gefäß vor dem Verrutschen sichert.
Dieses Prinzip des Formschlusses garantiert seitdem die Stapelbarkeit vielerlei Hausgeräte, von denen einige gerade aufgrund dieser Funktion zu Marksteinen moderner Produktgestaltung wurden. Da wären etwa das Kantinengeschirr System B 1100, von Heinz J. Engler 1961 erdacht, und sein ostdeutsches Pendant Rationell, acht Jahre später vom Margarete Jahny und Erich Müller entworfen. Bei dem auch im Mitropa-Speisewagen eingesetzten Geschirr galt Jahnys besonderes Augenmerk der Stapelbarkeit von Kännchen und Tasse beim Servieren, also dem Formschluss von flachem Deckel und Tasse. Englert hingegen schließt seine Kannen durch einen konventionellen Deckel mit Knauf. Er priorisiert nicht die vertikale Stapelbarkeit, sondern die horizontal flächenschlüssige, platzsparende Verzahnung der Kannen etwa auf einem Servierwagen – und erhält sich damit formale Freiheiten jenseits der rigiden Stapelform.
Die Rationalisierung ist natürlich Prinzip in der technisierten Arbeits- und Warenwelt, etwa mit konfektioniertem Papier, ebensolchen Umschlägen, stapelbaren Schriftablagen. Das deutsche Normwesen regelt seit 1922 Papierformate, seit Anfang der 60er Jahre auch komplexe Transportketten: die einheitlichen, stapelbaren Getränkekisten aus Kunststoff, die Europool-Flachpaletten, Bahnwaggons.
Flexibilität wiederum fordern öffentliche Multifunktionsräume in ihrer mobilen Bestuhlung. Das Spektrum reicht von platzsparend ineinandergreifenden Modellen – sei es Alvar Aaltos Hockerspirale von 1933, sei es der filigrane Klappstapelstuhl Aluflex, vom Schweizer Armin Wirth 1951 entworfen, sei es die dekorative Hocker-Beistelltisch-Skulptur von Philippe Starck: Sein Prince Aha von 1996 lässt sich lediglich aufeinander türmen. Damit wären zwei grundsätzliche Pole des Stapelns im Design der Moderne angerissen: der Baukasten und das System. Walter Gropius und Ernst Neufert dachten über standardisierte Raumzellen nach, die in horizontaler und vertikaler Addition komplexe Architekturen ermöglichen. Wilhelm Wagenfeld spiegelte diese Idee 1938/39 in den gläsernen Vorratsbehältern Kubus wider, Ferdinand Kramer 1945 in seinen leichten Regal- und Displayelementen FortyForty. Dem trat in den 50er Jahren die Ulmer Schule entgegen: Einzelteile hatten sich nun universalen, geometrischen und gedanklichen Systemen unterzuordnen. Walter Zeischeggs Experimente mit Sinuskurven sollten nicht vorrangig gebrauchstüchtige Objekte ergeben wie etwa den legendären Stapelascher, Schalen oder Untersetzer.
Die Kritik an jeglichem Dogma ließ nicht lange auf sich warten. Das Prinzip Bricolage spielte ­ab den 70er Jahren damit, auch zusammenzubringen, was nicht zusammenpassen will. So Tejo Remy aus der niederländischen Gruppe Droog: Sein emblematisches Regal aus individuell recycelten, mit Ahornkästen veredelten Schubladen, von einem Möbelpackgurt zusammengehalten, negiert nicht nur die logische Disziplin des ­Sta­- pelns, sondern auch die rationale Ästhetik optimierter, industrieller Produktkultur. Womit es dem eingangs erwähnten Jeddah Tower vielleicht verwandter ist als beabsichtigt.

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Bilder (Hoch)Stapeln in Bremen

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