Sanierungsfall am Main
Sanierung? Neubau? Die Städtischen Bühnen Frankfurt müssen erneuert werden. Das DAM leistet dazu vorbildliche Aufklärungsarbeit.
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Sanierungsfall am Main
Sanierung? Neubau? Die Städtischen Bühnen Frankfurt müssen erneuert werden. Das DAM leistet dazu vorbildliche Aufklärungsarbeit.
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
900.000.000. Seit diese gewaltige Zahl Anfang Juni vergangenen Jahres bekannt wurde, ist ganz Frankfurt elektrisiert. 900 Millionen Euro, genauer eine Spanne zwischen 850 und 890 Millionen, soll die Sanierung oder der Neubau der Städtischen Bühnen, die Oper und Schauspiel beherbergen, kosten. Das hat eine von der Stadt Frankfurt am Main beauftragte Planergruppe aus 19 Büros unter Leitung der Hamburger Architekten PFP errechnet.
Zunächst folgte eine Schockstarre – und die Angst, nach BER, Elbphilharmonie und Stuttgart 21 in den nächsten nicht enden wollenden Bauskandal mit ebenso unermesslichen wie unabwendbaren Kostensteigerungen zu schlittern. Als man sich vom ersten Schreck erholt hatte, erhoben sich die Stimmen der Experten, der wahren und der selbsternannten, der Populisten, der Taktiker, jener, die von einer Wunschliste für die verwöhnten Theatermacher sprachen, und jener, die sich in Stellung bringen, um vom großen Kuchen etwas abzubekommen. Die Nostalgiker forderten, man solle dann doch gleich das alte Schauspielhaus aus dem Jahr 1902 wiederaufbauen, die Progressiven meinten, man sollte Hamburg folgen und mit einer „Mainphilharmonie“ Architektur von Weltrang errichten, um die nach dem Brexit heimatlosen Londoner Banker an den Main zu locken.
Und während für die Boulevardpresse der Skandal schon da ist, schließlich haben die Planer für ihr Gutachten ein Honorar von 6,6 Millionen Euro erhalten – den Preis einer Frankfurter Kita, wurde schnell errechnet –, liegt die Last der Verantwortung nun auf den Schultern einer Frau, die einen politisch konsensfähigen Vorschlag erarbeiten muss, wie man künftig mit dem maroden Gebäude umgehen solle: Ina Hartwig, einst mehrfach ausgezeichnete Literaturkritikerin bei der Frankfurter Rundschau, heute Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt am Main. Und sie tut das bravourös.
Geduld und Sorgfalt fordert Hartwig ein. Vor allem will sie keine in Hinterzimmern ausgeklüngelte, sondern eine demokratische, von der Bürgerschaft der Stadt getragene Entscheidung. Denn – das ist der Erfahrung nach zu erwarten – die politischen Verantwortungsträger bei der Grundsteinsetzung einer Baumaßnahme werden andere sein als jene, die das Haus in zehn oder mehr Jahren eröffnen werden. Man könnte Hartwigs Ansinnen auch demokratische Nachhaltigkeit nennen.
Wie haben es andere gemacht?
Zumal sie nun von einem anderen Haus aus ihrem Dezernat Beistand erfährt, „parteipolitisch neutral“, wie der Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), Peter Cachola Schmal, betont. In nur vier Monaten haben seine neue Stellvertreterin Andrea Jürges und der erfahrene Kurator Yorck Förster eine Ausstellung realisiert, die den Sanierungsfall am Main in einen breiten Kontext einbettet. Unter dem griffigen Titel „Große Oper – viel Theater“ werden 19 deutsche und europäische Theater- und Opernhäuser vorgestellt, die in den vergangenen Jahren saniert oder neu gebaut wurden oder noch werden. Da ist die Pariser Philharmonie ebenso dabei wie das Everyman Theatre in Liverpool, Snøhettas Den Norske Opera & Ballett in Oslo und Jean Nouvels Opéra national de Lyon. Von den deutschen Bühnen werden unter anderem Wilhelm Riphahns Oper in Köln, Bernhard Pfaus Düsseldorfer Schauspielhaus und die Berliner Staatsoper ausführlich dokumentiert. Ein breites Spektrum – und beim Betrachten der Fotos, beim Lesen der Texte wird schnell klar, dass jedes Haus mit seiner Architektur auf jeweils spezifische Bedingungen und Bedürfnisse reagiert. Wobei man vor allem solche Häuser auswählte, die eine der Frankfurter Doppelanlage aus Schauspiel und Oper ähnliche Komplexität und Größe haben.
Trotz der unterschiedlichen Architekturen versucht das DAM, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Da wird mittels einer meterhohen Grafik die Zeitspanne gezeigt zwischen dem politischen Grundsatzbeschluss, eine Bühne in Angriff zu nehmen, und der späteren Fertigstellung bzw. Eröffnung. Das dauerte beim neuen Shakespeare-Theater in Danzig ganze 23 Jahre, während bei der Oper auf der Insel Holmen vor Kopenhagen zwischen beiden Terminen gerade fünf Jahre lagen. Allerdings ist das von Hennig Larsen entworfene, zwar spektakuläre, aber nicht besonders elegante Gebäude eine Stiftung des größten dänischen Reeders Arnold Peter Møller, der sich um Ausschreibungsfristen oder politische Willensbildung nicht kümmern musste. Bei den gezeigten Häusern liegt die Durchschnittsdauer bei etwas mehr als zwölf Jahren.
Die deutschen Bühnen liegen leicht über dem Schnitt, wobei es stets um Sanierung denkmalgeschützter Gebäude geht. Relativ schnell gelang Heidelberg die Sanierung und der Neubau des Theaters und Philharmonischen Orchesters mit sechs Jahren, wobei auch hier sich ein Großspender fand, der heimische Unternehmer Wolfgang Marguerre. Die Rechnung „großzügiger Mäzen ist gleich schnellere Bauzeit“ geht aber nicht immer auf: Die Entstehungszeit des Stavros Niarchos Foundation Cultural Center in Athen um den gleichnamigen Reeder betrug 19 Jahre. Allerdings verbindet die von Renzo Piano entworfene Anlage als Stadtentwicklungsmaßnahme Oper, Nationalbibliothek und einen 21 Hektar großen Park.
Und die Kosten?
Die Kuratoren wagen sich sogar an das heikle Thema Kosten heran. Auch wenn man wieder die individuellen Besonderheiten berücksichtigen muss, auch wenn man nicht auch noch die unterschiedlichen technischen Vorschriften der verschiedenen Länder berücksichtigen kann, lernt der Besucher, dass sich die Sanierung oder der Neubau der Frankfurter Bühnen bezogen auf Zuschauer und BGF durchaus im üblichen Finanzrahmen bewegen wird. Anders ausgedrückt: Wer will, dass möglichst viele Zuschauer kommen, Werkstätten, Lager und Probebühnen sich möglichst am Ort befinden, wer vielleicht sogar nahe Wohnungen für Gäste, Musiker oder Schauspieler anbieten möchte, hat seinen Preis zu zahlen. Und der ist am Main nicht viel anders als an der Seine, der Spree oder der Themse.
Vor allem – etwa am Beispiel der Berliner Staatsoper – macht die Schau deutlich, wie raumgreifend sich die Bühnentechnik und die technische Ausrüstung der Theater- und Opernhäuser entwickelt hat. Auch wenn das Publikum davon in der Regel nichts wahrnimmt. Freilich, mit ein paar illusionistisch gemalten Kulissen wird sich kein Zuschauerauge zufriedengeben. Und wer sich erinnert, welcher Aufwand mit der Akustik und der parametrisch berechneten „weißen Haut“ in der Elbphilharmonie getrieben wurde, dem wird verständlich, dass es mit einem breiteren Orchestergraben, wie es die Arbeitsstättenrichtlinie fordert, nicht getan ist. So man denn international oben mitspielen will – und das will man in Frankfurt auch weiterhin.
Das DAM betreibt Aufklärung, informiert die Bürger etwa über die Singularität der eingangs erwähnten Studie von PFP Architekten. Jörg Friedrich und seine Partner, die über eigene Erfahrungen bei Sanierung und Umbau mehrerer deutscher Bühnen verfügen, haben keinen politisch gewünschten Preis errechnet – also einen viel zu niedrigen, der im Laufe der Jahre immer wieder erhöht wird, wofür man dann einer sinistren Baumafia die Verantwortung zuschiebt. Nein, sie haben eine realistische Summe erarbeitet, die eine dreißigprozentige Risikomarge, die zu erwartende Preissteigerungsrate und selbst die Kosten für die Interimslösungen einbezieht. Das sind Kosten, die sich üblicherweise unter an-deren Haushaltstiteln verbergen.
Was bedeuten der Stadt ihre Bühnen?
Darüber hinaus hat PFP den Frankfurter Komplex, der in vier Sälen insgesamt 2360 Zuschauer fasst, erstmals kartographiert: laut den DAM-Kuratoren ein „3D-Puzzle“, das sich aus Altbau von 1902, Wiederaufbau in den 50er Jahren, Neubau 1963, Sanierung des ausgebrannten Bühnenturms 1991, Bau des Werkstattgebäudes 2010 sowie zahlreichen kleineren Ausbesserungen und Ergänzungen zusammensetzt. Die Lüftungsanlage pfeift aus dem letzten Loch, Ersatzteile sind nicht mehr zu bekommen. Schließlich die Arbeitsstättenrichtlinien: Auf deren Konto gehen knapp 90 Prozent des errechneten Flächen-Mehrbedarfs von rund 8500 Quadratmetern.
Und doch: Kulturdezernentin Hartwig will keine auf technische und finanzielle Aspekte reduzierte Diskussion führen. Ebenso wichtig sind ihr Fragen nach dem Umgang mit dem Bestandsgebäude, wie ein Theater- und Opernhaus künftig in die Standlandschaft eingebunden sein wird, wie ein solches Haus auch tagsüber zu beleben ist. Und nach dem Standort: Ob etwa durch die Verlagerung eines Teils der Bühnen in den Osten Frankfurts dem stadtentwicklungspolitischen Megaprojekt der Zukunft, die Annährung an und letztliche Verschmelzung mit der Nachbarstadt Offenbach, ein weiterer Baustein zugefügt werden könne. Die Ausstellung liefert zu all diesen Fragen wertvolles Anschauungsmaterial – auch bei den Begleitveranstaltungen und auf einem speziell eingerichteten Blog.
Vorsicht ist auf alle Fälle geboten. Das Kulturleben der Bankenstadt hat mit der endgültigen Abwicklung des früher stets skandalträchtigen Theaters am Turm und des Forsythe-Balletts im Jahr 2004 enorm gelitten. Und so soll zunächst auch bei den Städtischen Bühnen nach einem Sonderweg gesucht werden, um Kosten einzusparen: Die Koalitionsfraktionen CDU, SPD und Grüne beantragten im März 2018 gemeinsam, zu prüfen, inwieweit eine Sanierung bei Aufrechterhaltung des Bestandschutzes möglich ist. Spielt man damit den Ball einfach nur an die nächste Generation weiter? Sollte man nicht die Region mehr einbeziehen? Eine günstigere Gelegenheit, zu untersuchen, wie das Umland von den Frankfurter Kultureinrichtungen profitiert – man kann sich einfach den Wohnort der Bühnen-Abonnenten anschauen –, findet sich wahrscheinlich nicht. Zu hoffen ist, dass sich auch viele Stadtverordnete im Deutschen Architekturmuseum einfinden, um sich zu informieren – und so vielleicht zu einer besseren Entscheidung kommen.
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