Bauwelt

Meine Definition von Urban Design und Städtebau

Der bekannte Stadtplaner und Architekt, der 15 Jahre die Professur Architektur und Städtebau an der ETH Zürich geleitet und viele ihrerseits einflussreiche Planer und Planerinnen ausgebildet hat, kritisiert das zunehmende Auseinanderfallen von Architektur und Städtebau in der Lehre. Der Erfolg liege unter einem gemeinsamen Dach, sonst entstünden auf beiden Seiten „neue subversive“ Abteilungen.

Text: Christiaanse, Kees, Rotterdam

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Die Hamburger HafenCity – hier im Bild noch vor der Bebauung – wurde maßgeblich von Kees Christiaanse entworfen.
Foto: Dorfmüller Klier

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Die Hamburger HafenCity – hier im Bild noch vor der Bebauung – wurde maßgeblich von Kees Christiaanse entworfen.

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Meine Definition von Urban Design und Städtebau

Der bekannte Stadtplaner und Architekt, der 15 Jahre die Professur Architektur und Städtebau an der ETH Zürich geleitet und viele ihrerseits einflussreiche Planer und Planerinnen ausgebildet hat, kritisiert das zunehmende Auseinanderfallen von Architektur und Städtebau in der Lehre. Der Erfolg liege unter einem gemeinsamen Dach, sonst entstünden auf beiden Seiten „neue subversive“ Abteilungen.

Text: Christiaanse, Kees, Rotterdam

Die von mir geleiteten Studios, auch die Forschungsstudios, haben sich in meiner Zeit als Hochschullehrer immer an der Perspektive des Entwurfs orientiert.¹ Der Städtebau nimmt dabei eine koordinierende Mittlerposition zwischen Architektur und Raumplanung ein. Er hat sich aus der (Landschafts-)Architektur – und in Holland auch aus dem Wasserbau – entwickelt und eine neue Existenz für sich formuliert.
Bescheidenheit
1989 schrieb ich in einem Beitrag für die chinesische World Architecture: „Der Städtebau als Organisator des Kollektiven sollte eine bescheidene Haltung einnehmen gegenüber der Architektur, die in 1000 Blüten blühen darf. Mit anderen Worten, Städtebau handelt vom Schaffen von Freiheit.“ Und in meiner Abschiedsvorlesung sagte ich: „Während der Architekt an einer klar definierten Aufgabe, innerhalb einer begrenzten Zeit und getrieben von seinem eigenen feinen Geschmack, arbeitet, ist der Städtebauer der Moderator des kollektiven Mangels an Geschmack“ – was eine ästhe­tische Herausforderung mit sich bringt, die dem Umgang mit „Objets trouvés“ gleicht.
Die Projekte des Städtebauers sind komplex, heterogen, beeinflusst von mehrfachen Stakeholdern und haben schwer einschätzbare Zeit- und Prozess-Abläufe. Im Gegensatz zum Architekten überlebt der Städtebauer sein Projekt des Öfteren nicht. Eine seiner essentiellen Aufgaben besteht deshalb darin, urbane Strukturen zu entwerfen, die sehr nachhaltig sind und, salopp formuliert, auch nach seinem Ableben möglichen Veränderungen standhalten. Der Städtebauer muss sich immer bewusst sein, dass er nur ein Rädchen in der Urbanisierungs-Maschine ist. Es braucht daher, neben der bereits erwähnten Bescheidenheit (oder dem Absehen-Können von der eigenen Person), einen gewissen Erfahrungsschatz um zu wissen, wo Einfluss wirklich möglich ist, und wo angesetzt werden muss, um diesen Einfluss durchzusetzen. Das hat zur Folge, dass häufig beschäftigte Städtebauer und Städtebauerinnen nicht selten bereits ein gewisses Alter erreicht haben.
Vor solch einem Horizont mag der Architekt allzu subjektiv agieren und der Raumplaner zu wenig Entwurfsausbildung aufweisen oder zu technisch zu denken, um eine zukunftsorientierte Moderation der Prozesse ausführen zu können. Zwar entstehen heute die meisten erfolgreichen, komplexen Stadtentwicklungsprojekte unter der Leitung eines Architekten. Allerdings wird man meistens feststellen, dass dieser Architekt irgendwann gelernt hat, sein Ego zurückzunehmen und seine von eigenen Wünschen geprägte Persönlichkeit gewissermaßen abzulegen.
Wieviel Einfluss lässt sich heute bei komplexen Projekten ausüben? Das ist die zweite Frage. Städtebau ist eine Sache von Kontrolle und Laissez-Faire. Man muss wissen, was man festlegen will und kann, genauso wie man wissen muss, was man besser undefiniert und frei lassen sollte. „Freiheit in Gebundenheit“ könnte man das nennen, als Voraussetzung dafür, dass eine große Diversität an Aktivitäten, Typologien und architektonischen Gestaltungskonzepten trotzdem eine städtebauliche Kohärenz ausbilden. Mich hat diese Einsicht dazu geführt, mich sehr für den Einsatz von krea­tiven Regelwerken zu engagieren.²
Simultanschach-Methode
An unserem Lehrstuhl an der ETH arbeiteten Studenten, Doktoranden und Assistenten gemeinsam in Teams. In den Gruppen wurde die Team-Arbeit der Praxis geübt wie in einem Rollenspiel. Im Gegensatz zum Entwurfskurs in Architektur, wo fast immer in Einzelarbeit entworfen wird, ist es im Fachbereich Urban Design und Städtebau notwendig die Studierenden herausfinden zu lassen, wie man das eigenen Entwerfen auch in einer Gruppe effektiv und produktiv machen kann, ohne sich in endlose Kompromisse zu verheddern. Entwerfen verändert die Realität, und durch diesen simplen Vorgang allein entsteht bereits ein forschendes Lernen. Indem unterschiedliche Entwicklungsszenarien durchdacht werden, können mögliche Folgen abgeschätzt werden. Das fördert die Entscheidungsfindung beim Entwerfen. Für diesen iterativen Prozess von Testen und Abwägen haben wir an der ETH die Metapher Simultanschach verwendet. Denn wie bei Simultanschach folgen die Arbeitsvorgänge nicht linear hintereinander, sie passieren gleichzeitig. Die Methode funktioniert wie eine „disruptive“ Technik mit mehreren Playern, bei der es darum geht, dass Gedankenkurzschlüsse und Gedankenüberschüsse neue Ideen generieren.
Von wegen Krise!
Projekte wie die HafenCity in Hamburg, der Flughafen BBR oder die IBA-Emscherpark, auch wenn sie nicht gleichermaßen erfolgreich sind, machen deutlich, welch wichtige und notwendige Disziplin der Städtebau heute ist. Von einer Krise von Urban Design und Städtebau kann keine Rede sein. Überall auf der Welt werden neue Großprojekte geplant, sowohl in der Stadt als auch weit außerhalb. Es entstehen Wasserfronten, Flussdelta-Transformationen, New-Towns, Hochgeschwindigkeitstrassen und Flughäfen.
Die Komplexität dieser Projekte macht aber auch deutlich, dass im Städtebau die Integration – man könnte es auch Versöhnung nennen – von Entwurfsvision einerseits und evidenzbasierter, wissenschaftlich fundierter Praxis andrerseits unausweichlich ist. Klima- und Umweltfragen, Wassermanagement, Mobilitätssimulationen, Bodenkonditionen, Sozialbewusstsein, Wirtschafts-, Immobilien- und Stadtentwicklungspolitik usw., all diese Bereiche müssen miteinander verknüpft werden. Die Fähigkeit zwischen Vision, Situation, Wissenschaft und Politik zu moderieren bildet die Basis einer Definition der Disziplin Städtebau und Urban Design.
Städtebau und Architektur unter einem Dach

Ein Städtebau-Entwurf sollte von „Downscale“ bis „Upscale“ funktionieren, auf allen Maßstabsebenen, von der Einbettung in der Region bis zu den Quartieren und der Architektur. Dieser Bogen kann nur aus der Perspektive des Entwurfs umgesetzt werden. Städtebau ist längst eine eigene Disziplin geworden, bleibt aber unmittelbar verwandt mit der Architektur und sollte daher in der Lehre mit der Architektur immer unter einem gemeinsamen Dach verbleiben. Fast alle aus meiner Sicht hervorragenden Städtebau-Master-Ausbildungen, wie etwa die in Harvard oder Delft, sind in eine enge Kooperation mit der Architekturfakultät eingebunden. Und bei fast allen Hochschulen, an denen sich Städtebau- und Raumplanung irgendwann getrennt haben. zum Beispiel in Berlin, hat die Raumplanung sich in politische und geografische Disziplinen immer weiter ausdifferenziert und sich gleichermaßen vom Entwurf entfernt – was dann umgekehrt dazu geführt hat, dass die Architekturdepartements eine „subversive“ Städtebauabteilung gegründet haben.
Als eine der wichtigsten Aufgaben einer Städtebaulehre, die in der Lage ist, die Welt vor der totalen Urbanisierung zu schützen, sehe ich die Ausbildung einer auch gegenläufig denkenden Entwurfshaltung. Diese besteht darin, vorhandene Qualitäten zu schützen und für den Entwurf zu nutzen, und so die behutsame Transformation vor die Tabula-rasa-Lösung zu stellen. Seit ich in der Schweiz lebe und auch viel in den Bergen zu tun habe, sage ich immer: Städtebau ist wie Skifahren. Es geht um die Kunst des eleganten Bremsens.
1 zur grundsätzlichen Frage der Bedeutung des Entwurfs siehe: Kees Christiaanse, Collected Texts on the Built Environment 1990 - 2018, ed.: Jessica Bridger, 010 Publishers, Rotterdam 2018
2 siehe: Alex Lehnerer, Grand Urban Rules, 010 Publishers, Rotterdam 2009

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