Bauwelt

Was vorher so nicht existierte

Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich der Zeichnung

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Katharina Hinsberg, spatien, 2011, Seidenpapier, Museum DKM, Duisburg, Courtesy Galleria Marie-Laure Fleisch, Rom
    Foto: Werner J. Hannappel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

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    Katharina Hinsberg, spatien, 2011, Seidenpapier, Museum DKM, Duisburg, Courtesy Galleria Marie-Laure Fleisch, Rom

    Foto: Werner J. Hannappel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

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    Blick in die Wolfburger Ausstellung. Links: Mario BieRende, bridge (Québec), 2014, rechts: cathédrale (Beauvais), 2013, Besitz des Künstlers. Mitte: Pia Linz, Gehäusegravur: Atelier, 2002/03
    Courtesy Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: Marek Kruszewski

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    Blick in die Wolfburger Ausstellung. Links: Mario BieRende, bridge (Québec), 2014, rechts: cathédrale (Beauvais), 2013, Besitz des Künstlers. Mitte: Pia Linz, Gehäusegravur: Atelier, 2002/03

    Courtesy Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: Marek Kruszewski

Was vorher so nicht existierte

Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich der Zeichnung

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Architekten sind ja Spezialisten für eine spezielle Sparte der Zeichnung, die heutzutage meist dem Computer entspringt: der Plan, anwendungsorientiert, in der Regel räumlich-technischen Inhaltes. Daneben wird (hoffentlich) die Handzeichnung im Entwurf gepflegt. Denn hier entfaltet sich eine phänomenologische Grundkonstante des Zeichnens, die intentionale Geste, das Abtasten einer Idee im konzentrierten, anschaulichen und mitteilsamen Denkprozess. Aus Linie, Kontur und aufgespannter Fläche entsteht eine neue Realität, die den Anspruch erhebt: „Es ist etwas, das vorher so nicht existierte“, Peter Jenny, ehemals Professor für gestalterische Grundlagen an der ETH Zürich, hat dies einmal so schön formuliert.
Das Kunstmuseum Wolfsburg bietet derzeit mit gut 100 Exponaten von 37 Künstlern Einblick in die aktuelle Auslegung des Zeichnens und widmet sich der Linie als Ursignatur des Künstlerischen. Da sich das Haus als Ort einer prononcierten Gegenwartsbespiegelung versteht, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung in der Überwindung der klassischen Materialien und Techniken der Zeichnung während der letzten 20 Jahre. Definitionsunschärfen in den Exponaten wird mit kuratorischer Volte begegnet, etwa indem man neuartige Bildträger, den Ausbruch aus der Perspektive oder die installative Erweiterung der Flachware Zeichnung in den Raum untersucht.
Den Besucher empfängt der Neon-Schriftzug „Was geht, Leute?“ Er stammt von Christian Jankowski und ist ein Zitat aus dem Gästebuch des Museums. Neben einer inhaltlich passenden Fragestellung spielt er auf die chronologische Entwicklung der Schrift aus dem Bild an. Auf der Rückseite der Wand demonstriert Gleiches auf seine Art der Belgier Fred Eerdekens. Ihm dient ein dekorativer, schmaler Metallstreifen, vor die Wand montiert, als Projektionskörper eines Textes in schönster Handschrift. Die Konzeptkünstlerin Katharina Hinsberg beschäftigt sich mit der Wirkung der Zeichnung im Raum. Ihr radikales Modell: Orangefarbenes Seidenpapier, in schmale Streifen geschnitten, hängt zu Bündeln fallender Linien von der Decke herab. Die luftige Installation muss im Ausstellungsrundgang durchschritten werden und wird sukzessive wohl einiges an Substanz einbüßen, womit Hinsberg gleichermaßen an das zeitlich Konstituierende des Zeichnens wie der Kunst erinnert.
Das Architektenauge wird sich im weiteren Verlauf der Schau sicherlich in den fragilen, mit dem Skalpell geschnittenen Papierobjekten von Mario BieRende aus Weimar verfangen. Feine Liniengespinste aus schwarzem Tonpapier bilden den Zeppelin LZ 129 Hindenburg, die Brücke über den St.Lorenz-Strom in Québec und die Kathedrale von Beauvais nach und sind, halbplastisch deformiert, an der Wand montiert. Die drei Ingenieurskonstruktionen verbindet das Schicksal, das Unglück geradezu angezogen zu haben.
Die Hindenburg verbrannte bekanntlich 1937 in Lakehurst, die Auslegerbrücke kollabierte während ihrer Bauzeit zwischen 1904 und 1919 zweimal, und auch die kühnen Gewölbe der Kathedrale stürzten 1284 und nochmals 1573 ein, der Bau blieb Fragment.
In blendend weißem Papier hingegen erarbeitet Simon Schubert wie Damaststoff anmutende, kaum in ihrer Plastizität wahrnehmbare Papierfaltungen zu Innenräumen, die er als skulpturale Zeichnung bezeichnet. Die Raumeindrücke sind pures Licht. Die Amerikanerin Alison Moffett – der Vater Architekt, die Mutter Architekturhistorikerin – ist in ihren großformatigen Blättern melancholischen Architekturen auf der Spur, dem Schutzcharakter des Hauses etwa, der topografischen Isolation, aber auch dem Verfall. In einer Serie naturalistischer Bleistiftzeichnungen, auf mehreren Transparentlagen ausgeführt, fertigt sie Studien zu Masse und Lagerung. Den Schluss des Rundgangs erhellt eine weitere Neon-Arbeit, eine Schar Endladungsblitze zwischen zwei Spannungspolen, der bulgarischen Medienkünstlerin Mariana Vassileva.
In großen Teilen der Zeichnungsschau hätte man sich einen thematisch stringenteren Spannungsbogen gewünscht, denn die zweifelsohne legitime subjektive Auswahl der Künstler und der Exponate will nicht so recht von der erkenntnistheoretischen wie ästhetischen Geste des Zeichnens künden: von der erfinderischen Magie im elementaren Zusammenspiel von Hand und Hirn.

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