Bauwelt

Günter Behnisch 1922–2010

Text: Durth, Werner, Darmstadt

Günter Behnisch 1922–2010

Text: Durth, Werner, Darmstadt

Die Abkehr von der Arbeit mit vorfabrizierten Systemen hin zum freien Spiel der Formen beim Wettbewerb für den Olympiapark München war Behnischs persönlicher „Wendepunkt im Bauen“. Der Nachruf von Werner Durth ist die Wiedergabe seiner, für uns eigens erweiterten Rede, gehalten am 14. Juli in Stuttgart im Anschluss an die Trauerfeier.
Kaum hatte sich die Nachricht vom Tod Günter Behnischs verbreitet, erschien eine Fülle bewegender Würdigungen zu seinem Schaffen. In der Tagespresse wurde er als „Der Baumeister der deutschen Demokratie“ bezeichnet, im Spiegel als „Der Mann, der Deutschland ein junges Gesicht gab“. Wie kein anderer habe er „Demokratie und Freiheit in eindrucksvolle Bauten übersetzt“. Ja, es ist richtig: Günter Behnisch hat nicht nur wunderbare Bauten geschaffen, er hat auch das Bild Deutschlands vor aller Welt neu geprägt, Vertrauen und Zuversicht vermittelt, da seine Gebäude stets auf die noch unausgeschöpften Möglichkeiten eines freieren und besseren Lebens hin angelegt waren. Deshalb ist sein Lebenswerk in all seiner Vielfalt auch nicht unter dem Etikett des „demokratischen Bauens“ zu fassen, erst recht nicht auf die simple Gleichung „Demokratie = Glas“ zu reduzieren. In den verschiedenen Phasen seines Lebens war sein Werk jeweils besonderer Ausdruck der Herausforderungen seiner Zeit, jeweils nur Zwischenergebnis einer lebenslangen Suche nach Antworten auf die Frage nach einem höheren Sinn des Bauens jenseits der gegenständlichen Welt: eine grundsätzliche Frage, mit der er sich und andere trotz allen äußeren Erfolgs immer wieder aufs Neue konfrontierte, obwohl sein Studium der Architektur zunächst auf vermeintlich sicheren Wegen begann. In England, wo er als Kriegsgefangener interniert war, hatte ihn ein ehemaliger Assistent Paul Schmitthenners mit der Lehre des landschaftsbezogenen, material- und handwerksgerechten Bauens vertraut gemacht. Mit langer Folgewirkung: Der sorgsame Umgang mit der Landschaft, mit den Baustoffen und den Ressourcen der Natur war Behnisch Pflicht – und selbstverständlich, schon Jahrzehnte bevor man vom „ökologischen Bauen“ sprach.
 
An der TH Stuttgart wurden ihm Rolf Gutbrod und Günter Wilhelm die wichtigsten Lehrer, bevor er 1952 mit Bruno Lambart ein eigenes Büro gründen und seine Fähigkeiten beweisen konnte. Die am Hang über Terrassen gestaffelten Bauten der 1959 fertiggestellten Vogelsang-Schule mit ihrem sorgsam gefügten Sichtmauerwerk sind noch Ausdruck der Stuttgarter Tradition – und weisen doch schon weit darüber hinaus. Denn zu dieser Zeit experimentierte er bereits mit Rasterfassaden und Fertigteilen; erarbeitete bis ins kleinste Detail Systeme elementierten Bauens. Schon früh galt er als Pionier präziser Vorfertigung. Dieser Ruf mag dazu beigetragen haben, dass er 1967 die Nachfolge Ernst Neuferts auf dem Lehrstuhl für Entwerfen, Baugestaltung und Industriebaukunde an der TH Darmstadt übernehmen konnte. Konsequent forderte er seit Anfang der sechziger Jahre eine Rationalisierung des Bauwesens, doch sollte damit kein starres Regelwerk verbunden sein, sondern die Hoffnung auf neue Wege in die Offenheit sich überlagernder, sich durchdringender und vielfach miteinander kommunizierender Materialien und Strukturen.
 
In einem Text von 1965 beschwor er „den faszinierenden Ausblick und die Hoffnung auf eine Architektur, die im Gegensatz zur kalten Pracht der Architekturmonumente und im Gegensatz zur Geistlosigkeit der Architekturstile immer lebendig sein wird, die nie fertig sein wird, die anbaut, abreißt, ändert, erneuert, und die ihre Schönheit nicht von einem übergestülpten System sogenannter harmonischer Maße bezieht, sondern von der Durchsichtigkeit ihrer geistigen Ordnung“. Diese Haltung unterschied ihn zutiefst von jenen Kollegen, die, in den nächsten Jahrzehnten vermehrt, das Heil der Architektur in den Gesetzen der Geometrie und tradierten Proportionslehren suchten. In seinen Worten zeichnete sich schon jene Spaltung ab, die auf der einen Seite in die technische Perfektion industriell gefertigter Großprojekte führte, von denen sich Behnisch bald nachdrücklich distanzierte. Und sie waren bereits ein Hinweis auf seine späteren Experimente mit der Eigensinnigkeit, auch Gegenläufigkeit von Strukturen, die in immer neuen Überlagerungen und Brechungen jene „immer lebendige“ Architektur prägen sollten, in der jedes seiner Bauwerke zugleich als Dokument eines zukunftsoffenen Lernprozesses betrachtet werden kann, der den Wandel der Gesellschaft in der Architektur reflektierte.
 
Die im Büro Behnisch entworfenen Bauten nahmen immer freiere Formen an, um auch unerwartete Möglichkeiten spontanen Gebrauchs zu eröffnen und die Gebäude als unverwechselbare Räume zur Entfaltung aller Sinne anzubieten. So war es nur konsequent, dass er sich in jener Zeit im Wettbewerb um die Bauten für die Olympischen Spiele in München für das Abenteuer eines Entwurfs entschied, der im Preisgericht zunächst als „unbaubar“ galt: ein weiträumig modelliertes Gelände wird mit einer scheinbar schwebenden Zeltlandschaft überdacht, dabei höchst funktional allen Anforderungen der Wettkämpfe tauglich und zudem für die Gäste aus aller Welt ein unvergesslicher Erlebnisraum der „Heiteren Spiele“. Die virtuose Inszenierung der Heterogenität von Materialien, Elementen und Strukturen machte die Qualität dieses Projekts aus, zu dem ich damals im Büro mit Detailvorschlägen beitragen durfte: Gegenüber der großen Form und schwierigen Kon­struktion des Dachs richtete man besondere Aufmerksamkeit auf die Gestaltung des Mobiliars, etwa der Kassen und Theken, Geländer und Türen, mit denen die Besucher auf ihren Wegen unmittelbar in Berührung kamen. Architektur zum Anfassen war das Thema zahlloser Studien.
 
Als Professor habe ich Günter Behnisch als charismatischen Lehrer kennengelernt: zugänglich, aufmerksam, manchmal knurrig, aber immer offen – auch für Widerspruch, ohne jedes Dogma. Mit knappen Worten und Gesten ermutigte er die Studierenden zur Selbstständigkeit, entdeckte und förderte ihre Talente, was schließlich auch dem Büro zugute kam, da er viele zur Mitarbeit einlud, um sie an den Projekten mit frischen Ideen und oft auf verschiedenen Wegen nach den besten Lösungen suchen zu lassen: „Untersuchen Sie mal...“, war die oft wiederholte Aufforderung, nach der Alternativen erkundet, verworfen oder weiter verfolgt wurden. Entwerfen war Forschen und Forschung Experiment.
Fakten
Architekten Günter Behnisch (1922–2010)
aus Bauwelt 30.2010

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