Bicycle landscape
Why the Netherlands look like this
Text: Landes, Josepha, Hamburg
Bicycle landscape
Why the Netherlands look like this
Text: Landes, Josepha, Hamburg
Wie sehen die Niederlande aus? Yorit Kluitman schnappte sich eine Kamera und schwang sich auf den Sattel, um sein Land abzulichten – ein Land, dessen Bild vor allem von einem geprägt ist: dem Horizont. Die Niederlande – eine Landschaft, die, gemäß dem Titel dieses Buches, vor allem für eines geeignet ist: das Fahrradfahren. Dabei ist Bicycle Landscape, ganz in typisch niederländischer Manier, Produkt eines kollektiven Schaffensprozesses. Neben Kluitmans Oberflächenbetrachtung vom Fahrrad aus, graben andere Autoren – Fachleute aus Kunst und Planung – vom Schreibtisch aus tief in den Marschen der niederländischen Identität. Dabei fördern sie zutage, wie unvergleich-bar landschaftlich das Land ist. Mag auch bisweilen der Zweifel keimen, der Titel leite ein wenig in die Irre, so ist er dennoch vollkommen zu Recht gewählt. Bei weitem handelt dieses Buch nicht von einwandfreien Radwegen, Rückenwind und Regenschirm tragenden Amsterdam-Cyclisten allein. Es wirft einen Blick auf den Horizont, einziges Ziel des Radelns hier. Der Horizont der Niederlande ist das Meer. Nunmehr in erster Linie als natürliches Ende des Landes wahrgenommen, konnte es über Generationen jederzeit ein abruptes Ende ihres Seins bedeuten. Das Meer, so sehr es heute definierte Grenze ist, kannte im tiefst gelegensten Land Europas lange Zeit keine Grenzen. Der Landschaftsarchitekt Adriaan Geuze verfasst mit „Der Charme der Bescheidenheit“ sozusagen den Schlüsseltext des Buches. Er klärt den Leser auf, wie Sturmfluten und damit einhergehend stetes Ende und Neubeginn Land und Leute prägten. Seine logische Herleitung des Niederländischen aus der lebensbedrohlichen Nähe zum Meer ist verblüffend. Landschaft ist in den Niederlanden der Schlüssel zum Leben. Ohne Landschaft, die hier nur dank Ingenialität und Organisation möglich war, gäbe es keine Niederlande. Das Landschaftsbild ist entsprechend in vielerlei Hinsicht unverzichtbar in der Auseinandersetzung mit den Niederlanden.
Insgesamt 10.008 Fotos hat Kluitman geschossen, während er durch Brabant, Zeeland, Holland, Gelderland und alle anderen Ecken seiner Heimat strampelte. 388 davon sind in diesem Bild-Text-Band gezeigt. In flirrend grauen Tönen schwappt das Meer über eine Doppelseite. Leuchtend warmgelb kontrastieren auf einer anderen Tulpen die dunklen Wolken eines Regenbogen-Himmels. Wieder andere Seiten reihen verwechselbare Szenen von Wald- oder Deichwegen. Die Landschaftsbilder Kluitmans zeigen das Heute und knüpfen doch an Motive eines Gestern an. Wie Timo de Rijk, Kunsthistoriker und Direktor des städtischen Museums von Hertogenbosch darlegt, hat die Bildkunst des niederländischen Barock nicht zufällig so viel Landschaft zum Thema. Die Maler festigten die Selbstwahrnehmung der Niederländer als Gesellschaft, Erfinder, Erbauer, Fortschrittsgläubige und Gottesfürchtige. Es war eine Gesellschaft, wo Spiegel und Weiden-Bild mitsamt Kuh und Windmühle noch unverzichtbarer an den Wänden der pietistischen Stuben hingen als Kruzifixe. Der Gedanke jedoch, das Fahrrad in seiner genialen Getriebenheit sei selbstverständlicher Bestandteil dieses Landes, trügt. Die Engländer lernten viel früher, es zu schätzen. Und doch sind auch aufgrund ihrer Landschaft am Ende die Niederlande das Fahrradland schlechthin.
Zum Abschluss bringt Bicycle Landscape einen Beitrag des australischen Architekten Steven Flemming, der im gleichen Verlag schon zwei cycle-zentrische Architekturbücher veröffentlicht hat. In feinen, silberglänzenden Lettern, mittels derer auch typografisch eine frische Brise durch das Buch weht, fasst er zusammen, wie die Ästhetik der Niederlande schon immer auf Notwendigkeiten und Gegebenheiten beruhte. Das Fahrrad, nichts als eine weitere Konsequenz. Eine Konsequenz, die die Attraktivität des Lands am Horizont mitnichten schmälert.
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