Bauwelt

Cemeteries of the Great War by Sir Edwin Lutyens

Text: Gympel, Jan, Berlin

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Cemeteries of the Great War by Sir Edwin Lutyens

Text: Gympel, Jan, Berlin

Mehr als eine halbe Million Soldaten verlor die britische Armee im Ersten Weltkrieg in Belgien und Nordfrankreich. Angesichts des bis dahin ungekannten Ausmaßes militärischen Sterbens akzeptierte die Ar­meeführung bald eine neue Bestattungskultur: Da dies die Moral der Truppe heben könnte, sollten einfache Soldaten nicht mehr in Massengräbern verscharrt werden.
Mehr noch: Die Toten wollte man beerdigen, wie sie auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben gestorben waren – Seit an Seit, ohne Unterscheidung nach Nationalität (die britischen Soldaten kamen ja aus allen Ecken des Empires), Religion, Rasse oder militärischem Rang. Zudem wurde – aus finanziellen, organisatorischen und hygienischen Erwägungen – beschlossen, die Opfer nicht in ihre Heimat zurückzuführen. Mit Frankreich und Belgien traf man Übereinkünfte zur Errichtung britischer Soldatenfriedhöfe, die aber nicht zu groß werden und nicht zu nah an Städten und Dörfern liegen sollten.
Der frühere Lehrer und Autor Fabian Ware, welcher als Gründer der späteren Imperial War Graves Commission den neuen Umgang der Armee mit ihren Toten initiiert hatte, sorgte sich auch um die Gestaltung der Begräbnisplätze in „Übersee“. Diesbezüglich wandte er sich an Edwin Lutyens, einen der bedeutendsten britischen Architekten des frühen 20. Jahrhunderts, sowie an Herbert Baker. Beide hatten sich über der Arbeit an Neu-Delhi entzweit – über das Grundkonzept für die Soldatenfriedhöfe sollten sie sich endgültig zerstreiten. Letzterer plädierte dafür, mit Anlagen, die an englische Kirchhöfe erinnern, ein Stück Heimat in der Fremde zu schaffen. Lutyens verfolgte ein eher ab­straktes Konzept: der Friedhof als eine Art Freiluftkirche, mit Bäumen als Stützen und dem Himmel als Dach.
Die bis 1918 erarbeiteten Gestaltungsprinzipien bestanden schließlich aus einem Sowohl-als-auch: Das von Baker und nicht zuletzt der anglikanischen Kirche geforderte große Opferkreuz wurde ebenso zum Grundelement erkoren wie der von Lutyen favorisierte, auf einem flach und breit gestuften Sockel thronende „War Stone“, der an einen Altar, aber auch einen Sarkophag erinnert. Am Ost­rand des Friedhofs, mit seinen nach Osten ausgerichteten Gräbern po­sitioniert, ist die Anordnung der einstigen Front zugewandt, entspricht aber auch der Tradition von Kirchen.
Aus dem gleichen hellen Material wie diese beiden Denkmale sollten die einheitlich geformten Grabsteine sein – sie ersetzten die anfänglich verwendeten Holzkreuze, da sie nicht nur haltbarer, sondern auch frei von religiöser Deutung sind. Die Friedhöfe wurden durch Mauern oder Hecken eingefriedet, in Erinnerung an englische Traditionen mit Rasen bedeckt und sorgfältig mit Blumen und Bäumen bepflanzt. Hinzu kamen Elemente wie Stufen und Ruhebänke, Funktions- und Schutzbauten und Eingänge, die Lutyens gern in Anlehnung an Triumphbögen gestaltete. Es sollten würdige Orte entstehen, die zugleich schön und tröstlich sind.
Selbstverständlich waren mit den beiden Grund­elementen, Opferkreuz und „War Stone“, beim Aufbau der Friedhöfe auch mehr Variationen möglich, als wenn man sich auf eines der beiden beschränkt hätte. Wie viele Variationen allein Lutyens selbst ersann, zeigt der niederländische Architekt Jeroen
Geurst in seinem Buch, in welchem er so stringent wie sachkundig die Formgebung und deren Entstehung analysiert. Bauhistorisch bedeutend sind die 140 Friedhöfe, die Lutyens persönlich schuf, nicht zuletzt deshalb, weil sie einen anderen Lutyens zeigen als jenen Eklektizisten, der zu einem Idol der Postmoderne erkoren wurde: Einen klassizistisch bzw. neoklassizistisch orientierten Architekten, der nach schlichten, elementaren Formen suchte und dadurch zu einer zeitlosen Gestaltung fand.
Mehr als die Hälfte des umfangreich mit Plänen und farbigen Fotos illustrierten Buches nimmt der Katalog ein, der alle von Lutyens gestalteten Friedhöfe vorstellt, zum Besuch anregen möchte und so nicht nur zu einem Reiseführer avanciert, sondern zu einer Erinnerung an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, deren Schrecken heute oft durch jene des nächsten Weltkriegs überstrahlt werden.

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