Hans Schwippert 1899–1973
Moderation des Wiederaufbaus
Text: Höhns, Ulrich, Oldenbüttel
Hans Schwippert 1899–1973
Moderation des Wiederaufbaus
Text: Höhns, Ulrich, Oldenbüttel
Schwipperts diplomierte bei Paul Schmitthenner und entwarf bis in die 40er Jahre Wohnhäuser im Sinne der „Stuttgarter Schule“. Parallel dazu hielt eine moderate Moderne Einzug in sein Werk. Im Nationalsozialismus arbeitete er unauffällig in der zweiten Reihe weiter. Diese Informationen werden im Buch vermittelt und kritisch kommentiert, sie müssen jedoch umständlich aus dem Aufsatzteil des Buches herausgelesen werden.
Hans Schwipperts Hauptwerk und zugleich sein bekanntester Bau ist die zum Parlament der jungen Bundesrepublik transformierte ehemalige pädagogische Akademie in Bonn mit ihrem neuen, zum Rhein hin vorgelagerten, an zwei gegenüberliegenden Seiten haushoch verglasten Plenarsaal. Es war ein Sinnbild jener neuen demokratischen Transparenz, aber für Konrad Adenauer gab es „nichts Ungemütlicheres, fast möchte ich sagen, Unerträglicheres, als einen Aufenthalt in einem solchen Glaskasten.“ Das ist Geschichte. Der Plenarsaal wich dem Neubau von Günter Behnisch, in dem im Jahr 2000 die letzte Sitzung des Bundestages in Bonn stattfand.
Schwipperts berufliche Entwicklung ist typisch für Architekten seiner Generation. Er diplomierte 1924 bei Paul Schmitthenner und entwarf bis in die 40er Jahre Wohnhäuser im Sinne der „Stuttgarter Schule“. Parallel dazu hielt aber auch eine moderate Moderne Einzug in sein Werk, ausgelöst sicher durch die Mitarbeit im Atelier Erich Mendelsohns, mehr aber noch durch die partiell enge Zusammenarbeit mit Rudolf Schwarz, für dessen radikal sachliche Fronleichnamskirche in Aachen er die Innenausstattung zeichnete. Eigene Entwürfe kleiner Wohn- und Atelierhäuser um 1930 zeigen diese Linie.
Im Nationalsozialismus arbeitete er unauffällig in der zweiten Reihe bruchlos und kontinuierlich weiter: als Lehrer an der Aachener Handerwerker- und Kunstgewerbeschule, als Möbelentwerfer, als Fachpublizist, als Wissenschaftler, der 1943 seine Dissertation und 1944 seine Habilitation vorlegte, sowie als Architekt vor allem in der Rüstungsindustrie. Diese Informationen werden im Buch vermittelt und auch kritisch kommentiert, sie müssen jedoch wie weitere Hinweise auf politisch heikle oder architektonisch kompromissbehaftete Seiten seines Œuvres umständlich aus dem thematisch weit aufgefächerten Aufsatzteil des Buches herausgelesen werden. Der umfängliche Katalogteil, dessen aktuelle Beiträge sprachlich streckenweise nicht überzeugen, sagt darüber ebensowenig wie die zu kurze Biografie des Architekten, die genau der richtige Ort für die Dokumentation solcher prägnanten Ausschläge gewesen wäre. Authentische Aussagen enthält die im Anhang an den Hauptteil auf dünnerem Papier gedruckte Anthologie mit kurz kommentierten Schriften und Äußerungen Schwipperts.
Bizarr muten Schwipperts Entwürfe für „Behelfsmöbel zu Selbstherstellung“ aus den letzten Kriegsjahren an, die er im Auftrag Heinrich Himmlers entwickelte: penibel gezeichnete und kommentierte Musterblätter für ein schier unglaublich archaisches Mobiliar. Die faksimilierten Dokumente können Grauen vor der Wirklichkeit jener Zeit und Fassungslosigkeit über die betriebsame Arbeit ihrer Techniker hervorrufen. Als Schwippert anlässlich der ihm anvertrauten Ausstellungskonzeption für die Deutschen Pavillons auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 auch Möbel entwarf, da erscheinen seine Tische und Stühle wie demokratisierte und technisch mit Stahl und Leder perfektionierte Wiedergänger jenes Siedlermobiliars von 1943.
Schwipperts bruchlos über 1945 hinaus fortgesetztes architektonisches und gestalterisches Werk, das auch Möbel-, Besteck- und Schmuckentwürfe umfasst, bleibt spröde und verschließt sich Moden, ob es sich um eine Schule in Darmstadt von 1951, das eigene Wohn- und Atelieratrium in Düsseldorf von 1954 oder das Wohnhochhaus auf der Berliner „Interbau“ von 1957 handelt. Mit der kühlen Ästhetik der „Zweiten Moderne“ aus der Mitte der 1950er Jahre hat das nichts zu tun. Aus seinen Arbeiten der 1950er und 60er Jahre spricht vielmehr eine strukturelle Kargheit, die sie seltsam ortlos und der Zeit entrückt erscheinen lässt. Überlieferte Fotografien der Bauten sparen jede Dramatik aus und sperren sich geradezu gegen eine leicht konsumierbare Vereinnahmung des Gezeigten. Sie wirken eher wie nicht inszenierte Dokumente der Zeitgeschichte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Monografie angesichts des ausgebreiteten Materials mit fast 700 Seiten nicht zu opulent geraten ist, ob nicht eine straffere Darstellung dem Werk und seiner Bedeutung angemessener gewesen wäre.
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