Ketzerisches Venedig
Zwischen Reformation und Inquisition
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Ketzerisches Venedig
Zwischen Reformation und Inquisition
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Angesichts dieser denkbar dicht von Literatur zugeschütteten Stadt ist es höchst erfreulich, wenn hier – gleichsam ein Nachtrag zum Luther-Jahr – einmal ein etwas unübliches Fenster auf die Serenissima aufgemacht wird. Dass das 16. Jahrhundert für Venedig nicht nur ein Jahrhundert politischer und ökonomischer Krise war sondern auch religiöser Beunruhigung, ist Experten bekannt und in der Schule Tafuris auch intensiv auf die Architektur bezogen worden. Dem populären Venedig-Bild blieb diese Zeit der Unruhe allerdings fremd. Und das vorliegende Buch wendet sich glücklicherweise gerade nicht an Wissenschaftler, sondern an die Venedig-Reisenden: Es „möchte Sie“, redet es den Leser im Vorwort an, „an die Orte bringen, an denen die neue Botschaft des Evangeliums entstand.“ (Ich spare mir eine Anmerkung.)
An die Orte bringen den Leser bei diesem Buchallerdings am meisten die prächtigen, übliche Venedig-Clichés gezielt umgehenden Fotografien. Sie sind jedenfalls beredt genug, dass man sofort zum mitgegebenen Venedig-Plan zurückblättert, den Ort aufsucht und den Wunsch hat, einfach hinlaufen zu können. Der Text selber leistet das kaum. Die Autorin, offenbar Venezianerin, ist mit der Stadt so vertraut, dass sie sich die Frage gar nicht stellt, ob der Leser auch weiß, wo diese oder jene Kirche liegen könnte, sie wirft die Namen hin, wie man sich im Familiengespräch die Adressen zuwirft: San Lio, Campo San Stin oder San Barnaba usw. – entweder kennt der Leser die Stadt so genau, dass er weiß, wo er ist, oder er liest einfach weiter.
Das heißt, ich hätte mir eher einen tatsächlichen Führer gewünscht, der die Orte in den Mittelpunkt rückt und zeigt, wie man hinkommt. Der vorliegende Text ist eher eine eifrige Magisterarbeit, die der Komplexität der Sache und der umfangreichen Literatur zum Thema nicht ganz gewachsen ist. Zwar wird sehr schön die Breite des Phänomens aufgefächert – Venedig als Stadt der Drucker und Bücherleser, die von Luther fas-zinierten Prediger und ihre Zuhörerschaft aus Handwerk wie Adel, die geheimen Konventikel und Ketzergruppen, die geduldeten nichtkatholischen Gemeinden, die Orte der Verfolgung und schließlich die Spuren in der Malerei Lorenzo Lottos und Paolo Veroneses. Aber. Zum einen die ständigen Wiederholungen – da wäre ein energisches Lektorat nötig gewesen. Zum andern ist das meiste im Vorwort schon gesagt, während die breitere Darstellung kaum an Tiefe gewinnt. Schade, denn die dunkle Seite Venedigs – und sie beginnt nicht erst im 16. Jahrhundert – ist mindestens so spannend wie die helle, und sie wirkt bis heute fort. Trotzdem ist das Buch zu schön, um es nicht zu kaufen.
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