Bauwelt

Richard Neutra in Berlin

Die Geschichte der Zehlendorfer Häuser

Text: Hamm, Oliver G., Berlin

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Richard Neutra in Berlin

Die Geschichte der Zehlendorfer Häuser

Text: Hamm, Oliver G., Berlin

Wohl nirgendwo sonst werden die Wurzeln der modernen Architektur noch heute so in Ehren gehalten wie in den USA (davon konnte sich der Rezensent überzeugen, als er im Oktober 2015 an der Yale University zufällig einer Vorlesung über Mies’ Berliner Frühwerk beiwohnte). Jüngstes Beispiel: Die Studie des vergleichsweise kurzen Berliner Werkabschnitts von Richard Neutra. Dabei geht es mitnichten nur um die Geschich­te der gerade mal vier Zehlendorfer Häuser – wie der Untertitel des Buches suggeriert –, wenngleich sie und ihre ersten Bewohner im Mittelpunkt stehen. Vielmehr beleuchtet Harriet Roth auch den Werdegang Neutras vor seiner Zeit als Angestellter im Büro von Erich Mendelsohn und in den ersten Jahren nach seinem „Aufbruch nach Amerika“. Über die architektonische Perspek­tive hinaus gewährt die Autorin auch Einblicke in die gesellschaftlichen Verhältnisse der 1920er und 1930er Jahre, die durch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten tiefgreifend verändert wurden.
Richard Neutra (1892–1970) wuchs in Wien auf, studierte bei Adolf Loos und schwärmte schon früh für das Werk von Frank Lloyd Wright und darüber hinaus für sein Sehnsuchtsziel Amerika, auch schon vor seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg. Nach ersten Berufserfahrungen in der Schweiz, in Berlin und als junger Stadtbaumeister von Luckenwalde ließ er sich im Oktober 1921 von Erich Mendelsohn abwerben. Als dieser im Frühjahr 1923 zu einer längeren Reise nach Palästina aufgebrochen war, beauftragte Adolf Sommerfeld Neutra mit der Planung von zehn Wohnhäusern für die Zehlendorfer „Sommerfeldsaue“, von denen lediglich vier realisiert wurden: an der Spandauer Straße, heute Onkel-Tom-Straße 85–91. Mehr an der rationellen Bauweise eines Gropius (der ebenfalls für Sommerfeld arbeitete) orientiert als am damals noch expressionistischen Stil Mendelsohns, emanzi­pierte sich Neutra mit den für ihre Zeit ungemein großzügigen Einfamilienhäusern, die den Grund bereiteten für seinen späteren Erfolg. Da er bereits im Oktober 1923 in die USA übergesiedelt war, erlebte der Architekt die Innenausstattung und die Fertigstellung seines Werkes 1924 nicht mehr. So bleibt seine (Mit-)Autorschaft für die prägende Farbgebung der Innenräume ungewiss, auch aufgrund unvollständiger Quellen.
Mit einer Drehbühne, die das Wohnzimmer wahlweise in eine Bibliothek, in ein Ess- oder in ein Musikzimmer verwandeln konnte, führte der begeisterte Theatergänger Neutra ein neues Element in den Wohnungsbau ein, das sich aber nicht durchsetzen konnte; bereits 1928 waren die beiden realisierten Drehbühnen schon wieder verschwunden. Davon abgesehen, präsentieren sich die vier Häuser nach gründlichen Renovierungen und Sanierungen in den letzten 15 Jahren heute wieder weitgehend im originalen Zustand: In einer kubischen Form mit gemauerten Außen- und tragenden Wänden entworfen, gewähren noch vergleichsweise kleine Fassadenöffnungen die visuelle Verbindung mit dem Außenraum. Schon wenige Jahre später, in Amerika, sollte Neutra in ganz andere Dimensionen vorstoßen können: etwa beim Bau des Lovell Health House in Los Angeles (1929), das mit seiner Stahlrahmenkonstruktion und den durchgehenden Fensterbändern ein neues Baugeschichtskapitel einleiten sollte.
Das materialreiche Buch ist großzügig ausgestattet, u.a. mit zahlreichen großen Farbfotos und -skizzen. Dem Text hätten ein paar Kürzungen gut getan, zudem wurde er schlampig redigiert, was bei einem Verlag wie Hatje Cantz dann doch verwundert.
Fakten
Autor / Herausgeber Harriet Roth
Verlag Hatje Cantz Verlag, Berlin, 2016
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aus Bauwelt 10.2017
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