Städtebau-Debatte in der DDR
Verborgene Reformdiskussionen
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Städtebau-Debatte in der DDR
Verborgene Reformdiskussionen
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Blitze zucken über der Karl-Marx-Allee. Bereits das Cover-Foto zeigt: In diesem Band wird Tacheles geredet. Denn jenseits der „eitel Sonnenschein“-Mentalität der Funktionäre gab es in der DDR sehr wohl interne Diskussionen zum Städtebau mit starken Flügelkämpfen und grundlegenden Reformströmungen. Auch Teilen der als staatliche Leitinstanz fungierenden Bauakademie war in den späten 1980er Jahren klar, dass sich die Bevölkerung fast nur noch zwischen dem sogenannten „Bermudadreieck“ der Stadtentwicklung - Wohnung, Arbeitsplatz und Datsche – hin und her bewegte und die (oft eher unwirtlich gestalteten) öffentlichen Stadträume an Bedeutung verloren. Der für die Ära nach dem Wohnungsbauprogramm und damit für die Zeit nach 1990 anvisierte Kurswechsel blieb jedoch Makulatur.
Obwohl man beim zentralen Essay von Max Welch Guerra zu dem aus der Weimarer Hochschule stammenden fachpolitischen „Reformflügel“ aufgrund der sperrigen marxistischen Vokabeln („gesamtgesellschaftliche Reproduktion“) ein starkes Durchhaltevermögen aufbringen muss, sollte man weiterlesen, denn die breite Palette der knapp 20 Autoren von Harald Bodenschatz bis Bernd Hunger bietet ein wahres Kaleidoskop von subversiven Versuchen, das Planungsgeschehen auch unter den restriktiven Umständen der Diktatur zu verändern, an. Dies reicht von Wolfgang Kils Ausführungen zu den legendären, „babl“ genannten „Berliner Architektenblättern“ mit ihren spritzigen Anmerkungen und Zeichnungen (darunter auch mit aktuellen DDR-Planungen überzeichnete Merian-Stiche), die nach dem Druck eingestampft, zensiert oder bereits bei der Vorlage ausgesondert wurden bis hin zu den - je nach Linientreue der lokalen Führungspersönlichkeiten – unterschiedlich erfolgreichen, informellen Netzwerken.
Frank Betker lotet anschaulich die Spielräume der Stadt- und Kreisarchitekten aus, die sich aufgrund des zentralistischen Systems zwischen den von Politbüro und Bauministerium durch zahlreiche Ebenen „heruntergereichten“ Vorgaben sowie den allmächtigen Wohnungsbaukombinaten auch noch neben drei Dutzend weiteren Akteuren behaupten mussten. Auf den ersten Blick wirkt seine schematische Darstellung des „multiorganisatorischen Planungskontextes“ wie ein Wimmelbild. Bei näherem Hinschauen entpuppt sie sich als starres Korsett für die Planer. Kein Wunder, dass die „motivierten Absolventen“, die durch zahlreiche Praktika die Situation realistisch einschätzen konnten, sich selten für diese unteren Ebenen entschieden, die regelmäßig zu „Zuarbeitern“ degradiert wurden, wenn die Bauakademie oder ihr Chefarchitekt Henselmann vor Ort waren („Die hatten dann hier den Hut auf!“).
Auch der radikale Austausch des fachlichen Führungspersonals nach der Wende kommt zur Sprache. Nicht nur viele Reformer aus dem Hochschulbereich blieben wie der durch sein starkes Engagement für das Bauhaus-Erbe auch international renommierte Städtebauforscher Bernd Grönwald „auf der Strecke“. Die Mitglieder der DDR-Bürgerbewegungen zur Rettung der Altstadtquartiere saßen – wie es Matthias Bernt eindrucksvoll schildert – noch in Schulungskursen zum Baurecht, während sich die West-Berliner Akteure, nachdem das Kreuzberger Modell der Stadterneuerung auch auf den Ost-Teil der Stadt „rübergeklappt“ wurde, bereits ihre Claims aufteilten und hier dann die bislang eher bewohnerorientierte, durch öffentliche Zuschüsse geförderte „Stadtteilsanierung“ aufgrund der neuen Förderpraxis durch Steuerabschreibungen zu einer auf die Renditewünsche der Eigentümer orientierten „Stadtentwicklung“ modifizierten.
Ein derartiger Essayband, der (im Gegensatz zu den nur auf ästhetische Reize setzenden Fotobüchern) endlich damit beginnt, die Strukturen der sozialistischen Baubranche sowie die Handlungsspielräume und Grenzen der Planer zu untersuchen, war längst überfällig. Er punktet mit spannenden Texten, neuen Erkenntnissen und vielen, eher ungewöhnlichen Abbildungen. Auch Bruno Flierls Ratschlag an seine DDR-Kollegen: „Man muss immer wieder neu erwägen, auf welcher Barrikade es sich lohnt, zu sterben.“ hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.
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