The Weltanschauung as an Ersatz Gestalt
Eine Happy-open-end-environmental-design-science-fiction-image-story
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
The Weltanschauung as an Ersatz Gestalt
Eine Happy-open-end-environmental-design-science-fiction-image-story
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Was waren das noch für Architektur-Biennalen, als theoretisch und/oder abwegig Widerständiges aus der nationalen Architekturproduktion in Venedig gezeigt wurde! Das banale Motto der Biennale 2002, „NEXT“ benutzte der damalige AzW-Direktor Dietmar Steiner für ein Psychogramm Österreichs mit dem irrlichternden Titel „Integrazione. Denn Wahnsinn braucht Methode“. Und präsentierte darin unter anderem das fragmentarische Werk eines im besten Sinne des Wortes methodisch Wahnsinnigen: den theoretisch-poetischen Nachlass des tschechisch-öster- reichischen Architek-ten und Hochschulleh- rers Jan Turnovský (1942–1995).
Vom Autor liegt seit 1987 seine mittlerweile in drei Sprachen übersetzte Dissertation an der TU Wien vor, „Die Poetik eines Mauervorsprungs“ (Bauwelt Fundamente, Band 77). Ein (vielleicht nie ausgeführtes) Baudetail des Wittgenstein-Hauses in Wien unterzog Turnovský, gleichermaßen akribisch wie unkonventionell, einer logischen wie sinnlichen Daseinsbefragung. Nun folgt als Reproduktion des originalen, besser: originellen 60-seitigen englischen Typoskripts die Master Thesis, die Turnovský 1980 an der Architectural Association in London einreichte: „The Weltanschauung as an Ersatz Gestalt“. Aber worum geht es hier?
Die Untersuchung datiert aus Zeiten, als zeitgenössische linguistische und semiologische Theorie auf die Architektur angewendet wurde, einem Bedeutungsträger, der kein allgemeinverständliches Kommunikationsmedium (mehr) darstellte. Jan Turnovský plädiert in seinem „Versuch eines nicht besonders anarchischen Zugangs zu dem vom Titel vorgegebenen Thema“ für offene, undogmatische Systeme der Wahrnehmung und Kategorisierung des Wahrgenommenen, die er für die architektonische Praxis erschließt. „Weltanschauung“ und „Gestalt‘, auch im Englischen verwendete Begriffe, sind im Grunde dasselbe, so Turnovský. Ein Umstand, der die gedoppelten philosophischen Erkenntniszugänge jedoch mit Autonomie und Differenzen ausstatte. Während die Gestaltbildung, eher subjektiv, in vergleichenden Prozessen gesammelte Informationen zu einem benennbaren Ganzen zusammenfügt, nähert sich die Weltanschauung ihrem Betrachtungsgegenstand bereits mit verfestigtem Wissen. Beide fordern die Sinne wie auch den Intellekt, Aristoteles setzte eine dritte Sphäre dazwischen, die Fantasie.
Ästhetische Gestalt lässt sich manipulieren, in ihrer Wirkung instrumentalisieren. Architekten verstärken gemeinhin diese architektonische Rhetorik mit einer ästhetischen Botschaft, die Form kann dann Oberhand gewinnen über die Interpretationsmöglichkeit der Nutzer. Dem setzt Turnovský sein naturanaloges System aus stabilem Charakter und sich perpetuierenden Kodierungsweisen entgegen, es gibt keine endgültige Realität.
Diese für Architekten eher schwer verdauliche Kost ist mit sieben eigenen Grafiken bereichert, so zu 18 Varianten, einen vierlöchrigen Knopf anzunähen, die „variable Befestigung eines vorfabrizierten Elements“. Sie ergeben 18 Gestalten, die sich in 18 Weltanschauungen ausdeuten lassen. In Text und Bild schwingt immer die Vermutung mit, dass alles auch ganz anders sein könnte, zumindest wird durch Jan Turnovský nirgends bierernst doziert.
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