Tom Kundig
Houses 2
Text: Drewes, Frank F., Herzebrock-Clarholz
Tom Kundig
Houses 2
Text: Drewes, Frank F., Herzebrock-Clarholz
Der überwiegende Teil unserer architektonischen „Erfahrung“ beruht auf purer Betrachtung von Abbildern und Planmaterial. Idealisierte Illustrationen und imaginäre Projekte gibt es zwar schon seit Jahrhunderten, aber erst die Erfindung und Perfektionierung der Fotografie und ganz besonders der Computertechnologie ermöglichte die komplette Verschmelzung von Realität und Utopie bzw. Absicht.
Nicht selten sucht man nach Standort und Baujahr eines grandiosen Gebäudes, um dann zu erfahren, dass es sich lediglich um ein perfekt visualisiertes Projekt handelt. Was ursprünglich als Mittel zur Abbildung von realen Personen, Orten und Gebäuden gedacht war, unterliegt heute häufig der bizarren Überhöhung von Perfektion und Wunschbild.
So scheinen auch die Wohnhäuser von Tom Kundig zunächst einmal aus einer anderen Welt zu sein. Großzügig in arkadische Landschaften komponiert, lichtdurchflutet, weitläufig in ihrer Erscheinung und ganz weit vom architektonischen Alltag entfernt. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich die zumeist in der Pacific Northwest Region um Seattle gelegenen Wohn- und Ferienhäuser aber als sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft verankert. So ist die omnipräsente Technik in Kundigs Häusern keine kühle Hightech oder Gebäudeautomation, die den Menschen zu ihrem Sklaven macht, sondern vielmehr ein Element, das Berührungspunkte mit der Architektur ermöglicht. Aus rohem Stahl gefertigt, schaffen die technischen Komponenten wie bewegliche Glasfassaden oder verschiebbare Stahlwände eher Bezüge zur Vergangenheit als zur Gegenwart. Nicht aseptisch, sondern haptisch kommen die Materialien und Details in diesen Häusern daher.
Die effizienten und bei aller Großzügigkeit kompakt organisierten Funktionsbereiche wirken einladend, was zum großen Teil an der natürlichen Materialität und den recycelten Baustoffen liegt. Aber auch der einfühlsame Kontextualismus Kundigs trägt ein Übriges dazu bei, dass die Wohnhäuser nie protzig wirken, sondern sich wie selbstverständlich in ihre Umgebung einfügen. So gelingt es auch, durch leichte Variationen mit demselben Vokabular, sowohl in Seattle als auch in Los Angeles oder auf Maui kontextuell zu erscheinen.
Tom Kundig Houses 2 ist der Folgeband zu Tom Kundig: Houses (Heft 25.07) und stellt siebzehn gebaute Projekte seit 2005 vor. Das großzügige Format und die oft ganz- bzw. doppelseitigen Fotos schaffen nachhaltige und komplexe Eindrücke der Häuser. Die jeweiligen Texte und das knappe, aber sehr gut lesbare Planmaterial sind rein zweckdienlich und enthalten sich jeglicher Didaktik oder theoretischen Diskurses.
Neben einem einführenden Text von Juhani Pallasmaa und einem Essay von Daniel S. Friedman gibt es noch eine Chronologie der Projekte von Tom Kundig (der ebenso als Partner in Olson Kundig Architects firmiert) sowie Daten zu den hier illustrierten Bauten als auch eine Bibliografie. Dank der „unakademischen“ Aufmachung des Buches, der Thematik Wohnen und der gleichzeitig immanenten architektonischen Komplexität, ist diese Publikation für Laien wie für Fachleute gleichermaßen interessant.
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