Bauwelt

Umnutzung von Kirchengebäuden in Deutschland | Eine kritische Bestandsaufnahme

Text: Tietz, Jürgen, Berlin

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Umnutzung von Kirchengebäuden in Deutschland | Eine kritische Bestandsaufnahme

Text: Tietz, Jürgen, Berlin

„Von Nutzungsproblemen sind auch die historischen Kirchen zunehmend betroffen: Sie sind unter anderem durch die Wandlungen der innerstädtischen Bevölkerungsstruktur vielfach zu groß geworden und verschiedentlich sogar insgesamt überflüssig.“ So deutlich beschrieb der Denkmalpfleger August Gebeßler das Kirchen-Nutzungs-Problem bereits 1975 in dem Katalog „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ zum Europäischen Denkmalschutzjahr.
Obwohl man also frühzeitig um die Herausforderung wusste, war die Aufregung in den Kirchen, der Öffentlichkeit und der Denkmalpflege groß, als es in Berlin in den 80er Jahren zu den ersten Kirchenumnutzungen kam. Inzwischen haben etliche christliche Gotteshäuser eine erweiterte Nutzung erfahren, sind vollständig umgenutzt – oder im schlimmsten Fall abgerissen worden. Einen Überblick über den Stand der Umnutzungsdiskussion in den Jahren 1997 und 2006 liefert ein von Albert Gerhards und Martin Struck heraus­gegebener Band anhand von Veranstaltungen des „Vereins christlicher Kunst“ im Erzbistum Köln und Bistum Aachen. Sein Spektrum reicht von den konkreten Hoffnungen und Befürchtungen von Stadt- und Landpfarrern bis hin zu politischen Sonntags­reden, die die Bedeutung der Kirchen für das Stadtbild hervorheben. Dabei zeigt sich, dass sich die seit Längerem absehbare Bedrohung von Kirchengebäuden in einem Jahrzehnt dramatisch zugespitzt hat –  auch wenn gerade Kirchenvertreter noch heute für Gelassenheit plädieren.
Wie unterschiedliche die Ziele bei Umnutzung oder Umbau von Kirchen sind, verdeutlichen die Interviews, auf denen Rainer Fischs solide Studie zur Umnutzung von Kirchengebäuden in Deutschland
aufbaut. Bei aller Unterschiedlichkeit der Rahmenbedingungen hilft Fischs gut strukturiertes Buch, einen Überblick und auch Lösungsansätze zu finden. Der Autor gliedert seine Untersuchung in drei große Kapitel, in denen er die Voraussetzungen skizziert, den (Umnutzungs-)Prozess dokumentiert und die Resultate vorführt.
Eine seiner entscheidenden Feststellungen (die aber in Diskussionen keineswegs von allen Beteiligten klar ausgesprochen wird) ist, dass es angesichts der demographischen Entwicklung und des seit Jahrzehnten rückläufigen Gottesdienstbesuches schlicht zu viele Kirchen in Deutschland gibt. Als wenig stichhaltig entlarvt Fisch das Argument, sinkende Kirchensteuereinnahmen würden den Kirchenunterhalt gefährden: Betrug das Kirchensteueraufkommen der evangelischen Kirche 1970 ca. 2,2 Milliarden DM, so waren es 1992 rund 8,4 Milliarden DM. Seitdem sind die Einnahmen zwar rückläufig – gleichwohl würden lediglich „ca. 10% der Ausgaben der Evangelischen und Katholischen Kirche in Deutschland in Kirchenbau- ten fließen“. Hinzu kommt, dass die Kirchen keineswegs allein für die Finanzierung ihrer Baulasten zuständig sind. Vielmehr obliegt sie „aus einer geschichtlichen Verpflichtung heraus häufig den Bundesländern“, so Fisch. Jede denkmalpflegerisch noch so verträgliche Maßnahme, jede architektonisch noch so gelungene Nutzungserweiterung einer Kirche wird letztlich scheitern, wenn der sakrale Restraum keine Christen mehr zum Gottesdienst anlocken kann.
Das Buch stellt die Diskussion um die Zukunft von Kirchenbauten dank klar benannter Fakten und Zahlen auf ein solides Fundament und liefert zudem einen guten Überblick über bisherige Umnutzungen. Es betont die Notwendigkeit eines offenen Diskussionsprozesses zwischen allen Beteiligten, um zu einer theologisch, wirtschaftlich, denkmalpflegerisch, gesellschaftlich und emotional nachhaltigen Lösung zu gelangen.
Fakten
Autor / Herausgeber Rainer Fisch
Verlag Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Zum Buchshop
aus Bauwelt 15.2010

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