Bauwelt

Stadthaus am Markt in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt/Main

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Stadthaus am Markt in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt/Main

Die Pressekommentare waren eindeutig: „Haus ohne Leben“, „bieder“, „enttäuschend“ und „Murks wie erwartet“. Selbst bei den Fachwerkfreunden fielen sie durch, die am 17. Dezember preisgekrönten Entwürfe für das Stadthaus am Markt, das über dem derzeit freiliegenden Ausgrabungsfeld in der Frankfurter Altstadt gebaut werden soll.
Dabei war die Juryentscheidung des auf 30 Teilnehmer beschränkten Wettbewerbs für die Überbauung des sogenannten Archäologischen Gartens ein Kniefall vor dem Altstadtverein (Heft 27–28.09), und der zuständige Stadtrat war glücklich. „Einstimmig“ habe das Preisgericht seine Entscheidung getroffen, jubilierte Edwin Schwarz (CDU) vor Journalis­ten. Vertreter der größten Römer-Fraktionen wären eingebunden gewesen, so dass die Gewähr bestehe, dass der Vorschlag von Winking Architekten mit Martin Froh (1. Preis) nach dem Abriss des Techni­schen Rathauses und der Baureifmachung des Are-als, also Ende dieses Jahres, gebaut werden könne. Doch der sich seiner Pensionierung entgegensehnende Planungsdezernent hatte die Rechnung ohne seine Parteifreunde gemacht. Der „Kasten“ gefalle mehreren CDU-Politikern nicht, meldeten die Lokalzeitungen, sie sähen erheblichen Überarbeitungsbedarf. Auch die oppositionelle SPD, die eine Vertreterin in die Jury schicken durfte, die sich aber, laut Protokoll, kurz vor der endgültigen Entscheidung entschuldigte, äußerte erhebliche Bedenken. Somit dürfte auch der Plan nicht aufgehen, weitere Diskussionen über das Wettbewerbsergebnis zu verhindern.
Die Überbauung des „Archäologischen Gartens“ mit dem geplanten Stadthaus am Markt ist allein aus logistischen Gründen das Schlüsselprojekt der Altstadtrekonstruktion. Obwohl die Stadt für sich in Anspruch nimmt, es handele sich dabei „um ein archäologisches Denkmal allerersten Ranges, das für die Identität der Stadt Frankfurt und ihr historisches Bewusstsein ein herausragendes Zeugnis“ darstelle, ist das zwischen Schirn und Technischem Rathaus gelegene Areal bislang eher ein Unort. Die ältesten baulichen Zeugnisse Frankfurts – Grundmauern ei­nes im Jahre 70 n. Chr. errichteten römischen Militär­stützpunktes, Mauern einer karolingisch-ottonischen Königspfalz aus dem 9. Jahrhundert, Mauern spätmittelalterlicher Bürgerhäuser – werden ohne große Inszenierung und wenig Information als bloße Überreste in einer Grube präsentiert. Der Neubau des „Stadthauses am Markt“ bietet die letzte Gelegenheit, diesem Missstand abzuhelfen.
Doch schon die Wettbewerbsankündigung erntete Kritik. In Sachen Altstadt-Gestaltung sehr sensible Stadtparlamentarier waren nicht informiert worden und zwei eingeladene Teilnehmer als Mitglieder des neu geschaffenen Altstadtbeirates im Gespräch, die sich jedoch vor Beginn zurückzogen. Unabhängig davon aber gab es ein grundsätzliches Problem: Die Grundfläche der im Krieg zerstörten Altstadthäuschen­reihe, deren Rekonstruktion viele wünschen, wird die Mauerreste des Archäologischen Gartens teilweise überlagern. Für das neue Stadthaus hatte die Auslobung wenig Präzises formuliert, es als „einladen­den Ort der Begegnung mit multifunktionaler Begegnungsstätte und stadtgeschichtlicher Ausstellung“ beschrieben. Auffallend im Auslobungstext ist zu­dem der ebenso laxe wie diffuse Umgang mit dem Terminus „historisch“. Mehr als einmal wird von der „historischen Rekonstruktion des Stadtgrundrisses“ gesprochen. Doch ein Blick auf die Schichtungen im Archäologischen Garten genügt, um zu sehen, dass von „dem Historischen“ keine Rede sein kann: Wenn die Frankfurter Rekonstruktionsdebatte die „historische Identität“ im Munde führt, ist immer der status ante Bombenkrieg, also der Zustand der Altstadt vor ihrer Zerstörung im Jahr 1944 gemeint. So forderte die Auslobung auch den Wiederaufbau zweier Fachwerkhäuser im Norden des Grundstücks („Goldene Waage“ und „Rotes Haus“) und legte die Rekonstruktion der Häuserzeile nahe, die früher dazwischen gelegen hatte.
Angst vor dem Altstadtverein?
Im vorauseilenden Gehorsam freilich zeichneten die meisten Teilnehmer die kriegszerstörten Häuschen brav in ihre Pläne – und handelten sich damit eine Reihe von Problemen ein, die der Auslober, obwohl im Vorfeld darauf hingewiesen, nicht wahrhaben wollte: Die kleinteilige Bebauung im Norden lässt sich kaum oder nur mit großen Schwierigkeiten natürlich belichten. Während sich Kleihues + Kleihues (2. Preis) um die Belichtung der Häuserzeile überhaupt nicht scheren, versuchen es Braun & Schlockermann (3. Preis) sowie Meurer/Bauer (4. Preis) mit der nicht ganz frischen Idee der Glasfuge. Die Nutzung der Häuserzeile ist durch die fehlende Belichtung konditioniert – von der vielfältigen, nutzungsgemischten Altstadt, wie noch im Rekonstruk-tionsbeschluss gewünscht, kann deshalb kaum mehr die Rede sein. Für die Südfassaden der Häuschen gibt es darüber hinaus kein geschichtliches Vorbild.
Das größte Problem war aber, auf dem Restgrundstück das Raumprogramm des Stadthauses unterzubringen. Befriedigend gelang das keinem der Teilnehmer. Winking/Froh ließen einen minimalen Abstand zwischen Stadthaus und Häuschen. „Wie angeklebt“ und „in die Rückseite der kleinen Häuser gerammt“ lauteten denn auch die Kommentare. Die Möglichkeit, das gesamte Areal mit einem einzigen facettenreichen Gebäude zu überbauen, wie das Wör­ner + Partner, Wandel Höfer Lorch + Hirsch sowie Meixner Schlüter Wendt vorschlagen – interessanterweise alle drei mit einer vielgestaltigen Dachlandschaft –, schloss die Jury (Vorsitz: Franz Pesch) bereits in den ersten Rundgängen aus, wahrscheinlich aus Angst vor den Fachwerkfreunden.
So einhellig, wie Stadtrat Schwarz auf der Pressekonferenz versuchte, die Anwesenden glauben zu machen, stand das Preisgericht nicht hinter dem „etwas holprig“ in die Topographie eingebundenen Siegerentwurf. Wie das Protokoll verzeichnet, wurden die lobenden Worte zweimal mit „jedoch“ eingeleitet. Die mehrfach verwendete Horizontalverglasung über dem Archäologischen Garten sei in der Jury „kontrovers“ diskutiert worden – die Auslobung hatte aus konservatorischen Gründen komplett da­-
von abgeraten. Winkings viergeschossiges, in anderem Kontext sicherlich sehr elegantes Gebäude mit Sandsteinverkleidung und vertikalen Fensterschlitzen sei „schön“, der Baukörper „konsequent aus der Dimension der aula regia entwickelt“. Die „attraktiv zum Dom bzw. zur Schirn hin orientierten“ Räume seien „gut proportioniert und nutzbar“. Kritisiert wurde der Eingang zur Schirn hin „in eher versteckter Lage und in unzureichender Größe“. Das „(scheinbar) einfache Haus“ weise jedoch „hinsichtlich einer eventuellen Weiterentwicklung großes Potenzial“ auf. Diesem Urteil fügte die Jury eine Fünf-Punkte-Liste an Empfehlungen zur Überarbeitung an.
Sicher ist: Wettbewerbe innerhalb der Frankfurter Wallanlagen sind stets Gegenstand heftiger Kontroversen. Nicht immer sicher ist, ob Wettbewerbsergebnisse letztlich auch gebaut werden. Kaum wahrscheinlich ist, dass der Siegerentwurf die etwas verzweifelte Suche nach „historischer Identität“ zufriedenstellt. Die Frankfurter jedenfalls durften bis Ende Januar nur den ersten bis vierten Preis begutachten. Die Ausstellung mit allen eingereichten Entwürfen wird im Rathausfoyer erst ab Februar zu se­hen sein.
Fakten
Architekten Bernhard Winking Architekten, Berlin; Kleihues + Kleihues, Berlin; Braun & Schlockermann und Partner, Frankfurt/Main; Meurer Architekten Stadtplaner Ingenieure, Frankfurt am Main; cba architectes, Luxemburg
aus Bauwelt 05.2010
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