Kritischer Raum
Die Cité de l’Architecture in Paris würdigt Claude Parent
Text: Niemann, Sebastian, Paris
Kritischer Raum
Die Cité de l’Architecture in Paris würdigt Claude Parent
Text: Niemann, Sebastian, Paris
Der junge Parent macht erstmals 1953 von sich reden, als er den Wettbewerb der Zeitschrift Elle für die „Maison française“ gewinnt – mit dem radikalen Vorschlag
einer Betonkonstruktion. Neben Einfamilienhäusern und kleinen kommerziellen Projekten kann er in der Folgezeit u.a. die Maison de l’Iran in der Pariser Cité Universitaire realisieren. Mit dem Wohnhaus Drusch (1963), das einem umgestürzten Würfel
ähnelt, bricht der 1923 Geborene mit den selbstsicheren Ideen einer allumfassenden Moderne.
einer Betonkonstruktion. Neben Einfamilienhäusern und kleinen kommerziellen Projekten kann er in der Folgezeit u.a. die Maison de l’Iran in der Pariser Cité Universitaire realisieren. Mit dem Wohnhaus Drusch (1963), das einem umgestürzten Würfel
ähnelt, bricht der 1923 Geborene mit den selbstsicheren Ideen einer allumfassenden Moderne.
Der junge Parent macht erstmals 1953 von sich reden, als er den Wettbewerb der Zeitschrift Elle für die „Maison française“ gewinnt – mit dem radikalen Vorschlag einer Betonkonstruktion. Neben Einfamilienhäusern und kleinen kommerziellen Projekten kann er in der Folgezeit u.a. die Maison de l’Iran in der Pariser Cité Universitaire realisieren. Mit dem Wohnhaus Drusch (1963), das einem umgestürzten Würfel ähnelt, bricht der 1923 Geborene mit den selbstsicheren Ideen einer allumfassenden Moderne.
Die Retrospektive in der Pariser Cité de l’Architecture et du Patrimoine arbeitet das Prinzip des „kritischen Raums“ als Konstante in Claude Parents Werk heraus, als Konstante all seiner unterschiedlichen Schaffensphasen, die jeweils von der Zusammenarbeit mit wechselnden Persönlichkeiten – u.a. Ionel Schein, André Bloc, Yves Klein, Paul Virilio und Wolf D. Prix – geprägt sind. Die Ausstellungsarchitektur von Jean Nouvel, Weggefährte der 70er Jahre, unterstützt mit ihren schwarzen Scheiben, die von der Decke hängen oder auf dem Boden stehen, diese Lesart, indem sie in dem korridorartigen Galerieraum im Palais de Chaillot sowohl thematische Gruppierungen als auch visuelle Querverbindungen zwischen den einzelnen Abschnitten erzeugt.
Schon Parents Studienprojekte an der altehr-würdigen Pariser Ecole des Beaux-Arts zeugen von seiner Nähe zur plastischen Kunst einerseits und vom Aufbegehren gegen verkrustete Denk- und Lehrstrukturen andererseits. Mit zahlreichen Fotos und Filmausschnitten sowie den für Parent typischen großformatigen Kohle- und Tuschezeichnungen vollziehen die Kuratoren die Entwicklung seines grafischen und gebauten Œuvre nach und verfolgen Parents Suche nach kraftvollen architektonischen Antworten auf die jeweils aktuellen gesellschaftlichen Probleme seines langen Lebens.
Befreiung der Moderne durch die Schräge
Ab Anfang der 60er Jahre werden im Werk des Architekten die Einflüsse der Arbeit des Philosophen Paul Virilio zum Wesen von Bunkern und zur sozialkritischen Seite des Raumes erkennbar. Die gemeinsam mit Virilio gegründete Gruppe „Architecture Principe“ treibt ihre Forschung in Entwürfen und in der von ihr herausgegebenen gleichnamigen Zeitschrift voran. Während die Gruppe Architektur als Motor der Erneuerung der Gesellschaft versteht und damit dem Geist der Moderne verbunden bleibt, werden ihre erstarrten Ausdrucksformen in Frage gestellt. Räumlich drückt sich der Wille zur Überwindung der zwischen der Vertikalen und der Horizontalen gefangenen Moderne durch die Einführung einer schrägen Ebene aus, der „fonction oblique“.
Die Kirche Sainte-Bernadette in Nevers (1962–66) wird zum gebauten Manifest dieses Gedankens: Das Gotteshaus setzt sich aus zwei miteinander verschränkten, schräg angeschnittenen Volumina zusammen, deren abgerundete Oberflächen aus grob geschaltem Beton hergestellt sind. Die Kirche besticht durch ihre räumliche Kraft, die jener von Bunkern gleicht; diese Assoziation wird jedoch im Wortsinne gebrochen: mit einem Spalt, der das Gebäude in der Mitte teilt.
Theorie und Praxis
Als die Gruppe 1970 den Französischen Pavillon der Architektur-Biennale in Venedig gestaltet, hat sie noch einmal Gelegenheit, das Prinzip diagonaler Flächen zu proklamieren. Doch auf die großen Utopien folgt Ernüchterung: Obwohl Parent versucht, die Idee der schiefen Ebene weiterzuentwickeln, lässt sie sich nicht mit dem Alltag seines erfolgreichen Architekturbüros vereinen. Spätestens Mitte der 70er Jahre kommt es zur deutlichen Trennung zwischen Theorie und Praxis. Während das Büro Aufträge für Schulen, Büro- und Wohngebäude bearbeitet, betätigt sich Parent unabhängig davon weiter als kritische Stimme und zeichnet freie Entwürfe.
Trotz seines fundamental-kritischen Denkens bewegt sich Claude Parent ironischerweise von Anbeginn an in genau jenen elitären Kreisen der Hochkultur, die er fortwährend in Frage stellt: Geboren im schicken Vorort Neuilly-sur-Seine, Veröffentlichung in Elle, Biennale-Ausstellung in Venedig, Aufnahme in die Académie des Beaux-Arts und schließlich die seinem Lebenswerk gewidmete Ausstellung im Palais Chaillot. Vielleicht erlaubt genau dieser Gegensatz, dass Parent hier – durchaus zu Recht – als einer der Vordenker der zeitgenössischen französischen Architektur dargestellt werden kann.
Die Retrospektive in der Pariser Cité de l’Architecture et du Patrimoine arbeitet das Prinzip des „kritischen Raums“ als Konstante in Claude Parents Werk heraus, als Konstante all seiner unterschiedlichen Schaffensphasen, die jeweils von der Zusammenarbeit mit wechselnden Persönlichkeiten – u.a. Ionel Schein, André Bloc, Yves Klein, Paul Virilio und Wolf D. Prix – geprägt sind. Die Ausstellungsarchitektur von Jean Nouvel, Weggefährte der 70er Jahre, unterstützt mit ihren schwarzen Scheiben, die von der Decke hängen oder auf dem Boden stehen, diese Lesart, indem sie in dem korridorartigen Galerieraum im Palais de Chaillot sowohl thematische Gruppierungen als auch visuelle Querverbindungen zwischen den einzelnen Abschnitten erzeugt.
Schon Parents Studienprojekte an der altehr-würdigen Pariser Ecole des Beaux-Arts zeugen von seiner Nähe zur plastischen Kunst einerseits und vom Aufbegehren gegen verkrustete Denk- und Lehrstrukturen andererseits. Mit zahlreichen Fotos und Filmausschnitten sowie den für Parent typischen großformatigen Kohle- und Tuschezeichnungen vollziehen die Kuratoren die Entwicklung seines grafischen und gebauten Œuvre nach und verfolgen Parents Suche nach kraftvollen architektonischen Antworten auf die jeweils aktuellen gesellschaftlichen Probleme seines langen Lebens.
Befreiung der Moderne durch die Schräge
Ab Anfang der 60er Jahre werden im Werk des Architekten die Einflüsse der Arbeit des Philosophen Paul Virilio zum Wesen von Bunkern und zur sozialkritischen Seite des Raumes erkennbar. Die gemeinsam mit Virilio gegründete Gruppe „Architecture Principe“ treibt ihre Forschung in Entwürfen und in der von ihr herausgegebenen gleichnamigen Zeitschrift voran. Während die Gruppe Architektur als Motor der Erneuerung der Gesellschaft versteht und damit dem Geist der Moderne verbunden bleibt, werden ihre erstarrten Ausdrucksformen in Frage gestellt. Räumlich drückt sich der Wille zur Überwindung der zwischen der Vertikalen und der Horizontalen gefangenen Moderne durch die Einführung einer schrägen Ebene aus, der „fonction oblique“.
Die Kirche Sainte-Bernadette in Nevers (1962–66) wird zum gebauten Manifest dieses Gedankens: Das Gotteshaus setzt sich aus zwei miteinander verschränkten, schräg angeschnittenen Volumina zusammen, deren abgerundete Oberflächen aus grob geschaltem Beton hergestellt sind. Die Kirche besticht durch ihre räumliche Kraft, die jener von Bunkern gleicht; diese Assoziation wird jedoch im Wortsinne gebrochen: mit einem Spalt, der das Gebäude in der Mitte teilt.
Theorie und Praxis
Als die Gruppe 1970 den Französischen Pavillon der Architektur-Biennale in Venedig gestaltet, hat sie noch einmal Gelegenheit, das Prinzip diagonaler Flächen zu proklamieren. Doch auf die großen Utopien folgt Ernüchterung: Obwohl Parent versucht, die Idee der schiefen Ebene weiterzuentwickeln, lässt sie sich nicht mit dem Alltag seines erfolgreichen Architekturbüros vereinen. Spätestens Mitte der 70er Jahre kommt es zur deutlichen Trennung zwischen Theorie und Praxis. Während das Büro Aufträge für Schulen, Büro- und Wohngebäude bearbeitet, betätigt sich Parent unabhängig davon weiter als kritische Stimme und zeichnet freie Entwürfe.
Trotz seines fundamental-kritischen Denkens bewegt sich Claude Parent ironischerweise von Anbeginn an in genau jenen elitären Kreisen der Hochkultur, die er fortwährend in Frage stellt: Geboren im schicken Vorort Neuilly-sur-Seine, Veröffentlichung in Elle, Biennale-Ausstellung in Venedig, Aufnahme in die Académie des Beaux-Arts und schließlich die seinem Lebenswerk gewidmete Ausstellung im Palais Chaillot. Vielleicht erlaubt genau dieser Gegensatz, dass Parent hier – durchaus zu Recht – als einer der Vordenker der zeitgenössischen französischen Architektur dargestellt werden kann.
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