Den inneren Nachhaltigkeitsschweinehund überlisten
Holcim-Forum
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Den inneren Nachhaltigkeitsschweinehund überlisten
Holcim-Forum
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Im Sinne nachhaltiger Prinzipien bauen – technisch ist das längst möglich. Doch wie lässt sich dieses Wissen endlich weltweit nutzbar machen? Beim 3. Holcim-Forum wurden Lösungsansätze sichtbar.
Wenn Ihr Taxifahrer auf die Frage, wie lange die Fahrt zum Hotel wohl dauern wird, „eine halbe bis drei Stunden“ antwortet, wissen Sie, dass es ein ernsthaftes Verkehrsproblem gibt in der Stadt, in der Sie gerade angekommen sind. Wenn Sie dann in Ihrem Badezimmer eine in demonstrativer Nähe zum Zahnputzbecher platzierte Evian-Flasche vorfinden, wissen Sie, dass es darüber hinaus ein gravierendes Problem mit der Trinkwasserqualität gibt. Und das grundlegende Problem dieser Stadt hat Sie ohnehin bereits förmlich angesprungen, wenn Ihnen auf der Fahrt ins Hotel durch die endlosen Siedlungen aus zweigeschossigen Selbstbauhäusern nicht irgendwann die Augen zugefallen sind: Mexiko-City ist schlicht und einfach zu groß. Viel zu groß.
Die „Holcim Foundation for Sustainable Construction“ lud zur dritten Ausgabe ihrer Forumsveranstaltung erneut an einen Ort, der all jenen, die an beschaulicheren Plätzen unserer Erde zuhause sind, ein enormes Megacity-Selbsterfahrungspotenzial bot – und damit die wirklichen Herausforderungen bei der Etablierung nachhaltiger Planungsprinzipien vermitteln konnte. Das letzte Forum hatte vor drei Jahren in Shanghai stattgefunden, wo das Thema „Urban Transformation“ verhandelt wurde (Bauwelt 21.07). Dieses Mal stand die dreitägige Konferenz an der Universidad Iberoamericana unter dem überaus ambitiösen Motto „re-inventing construction“. Sie bildete den Auftakt für den dritten Zyklus der mit insgesamt zwei Millionen US-Dollar dotierten International Holcim Awards, für die sich Architekten und Planer ab Juli bewerben können.
Nachhaltigkeit als hedonistisches Prinzip
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Bauen wurde Mitte April in Mexiko nicht neu erfunden, das hatte ernsthaft wohl auch keiner der rund 200 Teilnehmer erwartet. Doch aus den unzähligen Workshops und Vorlesungen, in denen Architekten, Ingenieure, Stadtplaner, Ökonomen, Politiker, NGO-Vertreter etc. aus allen Teilen der Welt einander ihre Bauten, Projekte und Forschungsansätze vorstellten, konnte man eines ganz sicher mitnehmen: dass die Beherzigung von Nachhaltigkeitsprinzipien beim Bauen und Planen längst keine Frage des (technischen) Könnens mehr ist – sondern eine Frage der richtigen Strukturen zur Implementierung dieser Prinzipien. Oder wie Rolf Soiron, der Vorsitzende des Holcim-Stiftungsbeirats, es auf dem Abschlusspodium formulierte: „Es ist möglich. Aber wie lässt es sich multiplizieren?“ Also alles nur noch eine Frage von politischer Überzeugungs- und Durchsetzungskraft?
Wohl kaum. In nahezu jedem Vortrag schien es an irgendeiner Stelle einmal auf – dieses allzu menschliche Mentalitätsproblem mit dem nachhaltigen Lebensstil. Eine Zukunft, die sich vor allem durch den Verzicht auf so vieles auszeichnen soll, das wir liebgewonnen haben oder das wir zu erreichen such(t)en, ist eine zu unattraktive Perspektive, als dass wir ihr mit besonderer Zielstrebigkeit entgegenarbeiten würden. Wie man die Beteiligten an Planungsprozessen durch Anreize zu nachhaltigem Handeln motiviert, war denn auch Thema eines eigenen Workshops auf dem Forum.
Der dänische Architekt Bjarke Ingels etwa findet, dass Nachhaltigkeit viel zu häufig mit einer Art Neo-Protestantismus verwechselt werde. Dabei müsse nachhaltig Gestaltetes eben einfach mehr Spaß machen als die nicht-nachhaltige Alternative. Damit könne man der Falle entgehen, dass wir immer nur dann gemäß nachhaltigen Prinzipien handelten, wenn wir gerade einmal in der Stimmung seien, das richtige zu tun. „Hedonistic Sustainability“ nennt Ingels diese Strategie. Und die scheint in der Tat aufzugehen – zumindest wenn man den Erfahrungen einer Aktion glauben schenkt, die vergangenes Jahr im Rahmen der Initiative „The Fun Theory“ in der Stockholmer U-Bahnstation Odenplan stattfand. Um die Passanten anzuregen, statt der Rolltreppe einmal die Treppe zu benutzen, hat man die Stufen zu riesigen Klaviertasten umgebaut. Tatsächlich erfreute sich das kakophonische Spektakel der „Pianotrappan“ größerer Beliebtheit als der bequemere Weg direkt daneben.
Wenn das Locken mit dem Zuckerbrot einmal nicht ausreicht, lässt sich auch die Peitsche auf subtile und zugleich wirkungsvolle Weise einsetzen. Davon gab Mona Serageldin vom Institute for International Urban Development in Cambrigde ein charmantes Beispiel. Sie berichtete von einer Neubausiedlung am Rand von Kairo, wo die Planer die Dächer statt als Flachdächer einfach als Kuppeln ausgebildet haben – um zu verhindern, dass die Bewohner ihre Häuser später illegal aufstocken und die Siedlung da- mit viel zu stark verdichten. Die Maßnahme war entschieden wirkungsvoller, als es Verbote je hätten sein können.
Die emphatische Zivilisation
Das komplexe und mühevolle System aus Anreizen und Reglementierungen könnte irgendwann allerdings obsolet werden, wenn Jeremy Rifkin Recht hat mit seiner schönen, aber durchaus umstrittenen Theorie von der „emphatischen Zivilisation“. Die emphatische Zivilisation sei Voraussetzung für die Herausbildung einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft, meint der US-amerikanische Soziologe und Ökonom. Dazu müsse sich allerdings das menschliche Bewusstsein verändern: Wir müssten uns selbst in die Lage versetzen, unsere Empathiefähigkeit global auszudehnen. Unsere Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, habe sich, so Rifkin, im Laufe der Geschichte ohnehin stets erweitert: von der Familie über den Stamm und später die Religionszugehörigkeit bis hin zur Nation. Entscheidend für diese Entwicklung sei stets ein Fortschritt in der Kommunikationstechnologie gewesen. Und das passende Werkzeug, um ein „Biosphären-Bewusstsein“ zu entwickeln hätten wir inzwischen: das Internet. Endlich können wir die gesamte Menschheit als unsere Familie begreifen, um die wir uns kümmern müssen.
Die „Holcim Foundation for Sustainable Construction“ lud zur dritten Ausgabe ihrer Forumsveranstaltung erneut an einen Ort, der all jenen, die an beschaulicheren Plätzen unserer Erde zuhause sind, ein enormes Megacity-Selbsterfahrungspotenzial bot – und damit die wirklichen Herausforderungen bei der Etablierung nachhaltiger Planungsprinzipien vermitteln konnte. Das letzte Forum hatte vor drei Jahren in Shanghai stattgefunden, wo das Thema „Urban Transformation“ verhandelt wurde (Bauwelt 21.07). Dieses Mal stand die dreitägige Konferenz an der Universidad Iberoamericana unter dem überaus ambitiösen Motto „re-inventing construction“. Sie bildete den Auftakt für den dritten Zyklus der mit insgesamt zwei Millionen US-Dollar dotierten International Holcim Awards, für die sich Architekten und Planer ab Juli bewerben können.
Nachhaltigkeit als hedonistisches Prinzip
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Bauen wurde Mitte April in Mexiko nicht neu erfunden, das hatte ernsthaft wohl auch keiner der rund 200 Teilnehmer erwartet. Doch aus den unzähligen Workshops und Vorlesungen, in denen Architekten, Ingenieure, Stadtplaner, Ökonomen, Politiker, NGO-Vertreter etc. aus allen Teilen der Welt einander ihre Bauten, Projekte und Forschungsansätze vorstellten, konnte man eines ganz sicher mitnehmen: dass die Beherzigung von Nachhaltigkeitsprinzipien beim Bauen und Planen längst keine Frage des (technischen) Könnens mehr ist – sondern eine Frage der richtigen Strukturen zur Implementierung dieser Prinzipien. Oder wie Rolf Soiron, der Vorsitzende des Holcim-Stiftungsbeirats, es auf dem Abschlusspodium formulierte: „Es ist möglich. Aber wie lässt es sich multiplizieren?“ Also alles nur noch eine Frage von politischer Überzeugungs- und Durchsetzungskraft?
Wohl kaum. In nahezu jedem Vortrag schien es an irgendeiner Stelle einmal auf – dieses allzu menschliche Mentalitätsproblem mit dem nachhaltigen Lebensstil. Eine Zukunft, die sich vor allem durch den Verzicht auf so vieles auszeichnen soll, das wir liebgewonnen haben oder das wir zu erreichen such(t)en, ist eine zu unattraktive Perspektive, als dass wir ihr mit besonderer Zielstrebigkeit entgegenarbeiten würden. Wie man die Beteiligten an Planungsprozessen durch Anreize zu nachhaltigem Handeln motiviert, war denn auch Thema eines eigenen Workshops auf dem Forum.
Der dänische Architekt Bjarke Ingels etwa findet, dass Nachhaltigkeit viel zu häufig mit einer Art Neo-Protestantismus verwechselt werde. Dabei müsse nachhaltig Gestaltetes eben einfach mehr Spaß machen als die nicht-nachhaltige Alternative. Damit könne man der Falle entgehen, dass wir immer nur dann gemäß nachhaltigen Prinzipien handelten, wenn wir gerade einmal in der Stimmung seien, das richtige zu tun. „Hedonistic Sustainability“ nennt Ingels diese Strategie. Und die scheint in der Tat aufzugehen – zumindest wenn man den Erfahrungen einer Aktion glauben schenkt, die vergangenes Jahr im Rahmen der Initiative „The Fun Theory“ in der Stockholmer U-Bahnstation Odenplan stattfand. Um die Passanten anzuregen, statt der Rolltreppe einmal die Treppe zu benutzen, hat man die Stufen zu riesigen Klaviertasten umgebaut. Tatsächlich erfreute sich das kakophonische Spektakel der „Pianotrappan“ größerer Beliebtheit als der bequemere Weg direkt daneben.
Wenn das Locken mit dem Zuckerbrot einmal nicht ausreicht, lässt sich auch die Peitsche auf subtile und zugleich wirkungsvolle Weise einsetzen. Davon gab Mona Serageldin vom Institute for International Urban Development in Cambrigde ein charmantes Beispiel. Sie berichtete von einer Neubausiedlung am Rand von Kairo, wo die Planer die Dächer statt als Flachdächer einfach als Kuppeln ausgebildet haben – um zu verhindern, dass die Bewohner ihre Häuser später illegal aufstocken und die Siedlung da- mit viel zu stark verdichten. Die Maßnahme war entschieden wirkungsvoller, als es Verbote je hätten sein können.
Die emphatische Zivilisation
Das komplexe und mühevolle System aus Anreizen und Reglementierungen könnte irgendwann allerdings obsolet werden, wenn Jeremy Rifkin Recht hat mit seiner schönen, aber durchaus umstrittenen Theorie von der „emphatischen Zivilisation“. Die emphatische Zivilisation sei Voraussetzung für die Herausbildung einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft, meint der US-amerikanische Soziologe und Ökonom. Dazu müsse sich allerdings das menschliche Bewusstsein verändern: Wir müssten uns selbst in die Lage versetzen, unsere Empathiefähigkeit global auszudehnen. Unsere Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, habe sich, so Rifkin, im Laufe der Geschichte ohnehin stets erweitert: von der Familie über den Stamm und später die Religionszugehörigkeit bis hin zur Nation. Entscheidend für diese Entwicklung sei stets ein Fortschritt in der Kommunikationstechnologie gewesen. Und das passende Werkzeug, um ein „Biosphären-Bewusstsein“ zu entwickeln hätten wir inzwischen: das Internet. Endlich können wir die gesamte Menschheit als unsere Familie begreifen, um die wir uns kümmern müssen.
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