Bauwelt

Formdeutungsversuche

Jürgen Mayer H. bei Magnus Müller

Text: Spix, Sebastian, Liepnitzsee

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Foto: Ludger Paffrath

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Formdeutungsversuche

Jürgen Mayer H. bei Magnus Müller

Text: Spix, Sebastian, Liepnitzsee

„Was könnte das sein?“, fragt sich der Besucher der Ausstellung „Re.Flecks“ in der Galerie Magnus Müller am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz angesichts der dort gezeigten „Architekturskulpturen“ von Jürgen Mayer H.
„Was könnte das sein?“, fragte der Wiener Psychoanalytiker Hermann Rorschach (1884–1922) seine Probanden, wenn er mit ihnen den psychodiagnostischen „Tintenkleckstest“ durchführte. Mit dem Hinweis, es gebe weder richtige noch falsche Antworten, legte er ihnen zehn mit symmetrischen Klecksen versehene Tafeln vor. In der Folge notierte Rorschach Äußerungen, Handhabungen und Reaktionszeit der Testpersonen und versuchte anhand dieser Beobachtungen ihre Persönlichkeit zu ergründen.
„Was könnte das sein?“, fragt sich auch der Besucher der Ausstellung „Re.Flecks“ in der Galerie Magnus Müller am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz angesichts der dort gezeigten „Architekturskulpturen“ von Jürgen Mayer H. Mit einer CNC-Fräse, wie sie im Möbelbau verwendet wird, hat der Architektaus schwarz gefärbten MDF-Platten unterschiedlich große Muster, Raster und Ornamente „schnitzen“ lassen. Drei etwas unförmige, schwarze Tafeln erinnern an aufgespießte Artefakte eines Schmetterlingssammlers, an knochiges Astwerk oder ein unlängstgewebtes Spinnennetz. Eine monströse Skulptur, in der Mitte des großen Ausstellungsraums positioniert, weckt irritierende Assoziationen an eine riesenhafte Fliegenklatsche. Man könnte meinen, als Kammerjäger inmitten von David Cronenbergs Science-Fiction-Horror-Klassiker „Die Fliege“ geraten zu sein, in dem ein Wissenschaftler nach einem misslungenen Forschungsselbstversuch in einer absurden Metamorphose zu einer monströsen Stubenfliege mutiert.
Der Blick auf den Briefumschlag, der im Nebenraum der Galerie unter Plexiglas geschraubt wurde, gibt Aufschluss: Das camouflageartige „Datensicherungsmuster“ auf der Innenseite des Kuverts, ur­sprüng­lich einmal verwendet, um vertrauliche Informationen zu verbergen, bildet die Grundlage für Mayers Arbeiten. Der Architekt sammelt diese Muster seit 20 Jahren; dem Museum of Modern Art in San Francisco war seine skurrile Kollektion vergangenes Jahr eine eigene Ausstellung wert (Bauwelt 14.09). Laut Mayer sollen sie mit ihren grafischenMerkmalen „Verwandlung, Fragmentierung, Freilegung und Verdecken von Informationen“ symbolisch für seine künstlerisch-architektonische Arbeitsweise stehen.
Eine ebenfalls im hinteren Raum an eine Wand projizierte Filmsequenz zeigt schrittweise die faszinierende Entwicklung vom kleinen floralen Kuvert-Muster zum reißverschlussähnlichen Endlosraster; wer Mayers Pläne für das Apartmenthaus in der Berliner Johannisstraße kennt, entdeckt darin vielleicht die Entwurfsidee für dessen wellenartige Fassaden. Eine großformatige Wandverkleidung mit dem überEck tapezierten Kuvertmuster lässt die Lust des Architekten am „Spiel mit Zoom und Maßstäben“ erkennen sowie seinen gestalterischen Anspruch, über grafische Verfahren aus zweidimensionalen Mustern dreidimen­sionale Räume zu formen. Ob sich beinahe hundert Jahre nach Rorschachs „Psychodiagnostik-Verfahren“ auch aus Mayers „Fleckenanlyse“ ein neues architektonisches Formdeutungsverfahren, gar eine baukünstlichere Methodik formulieren lässt?  
Fakten
Architekten Jürgen Mayer H., Berlin
aus Bauwelt 25.2010
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