Bauwelt

Mit offenen Sinnen

Wilhelm-Wagenfeld-Retrospektive in Bremen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Mit offenen Sinnen

Wilhelm-Wagenfeld-Retrospektive in Bremen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Das Wort Design mochte er nicht, auch „Formgebung“ war ihm fremd. Als „Formfindung“ betrachtete Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) seine Arbeitsweise. Das Wilhelm Wagenfeld Haus in seiner Heimatstadt Bremen, seit 1998 in der ehemaligen ­Ostertorwache gegenüber der Kunsthalle untergebracht, hat nun zum 110. Geburtstag des Gestalters eine Auswahl der stetig wachsenden Sammlung von derzeit rund 5000 Originalen, einigen hundert Zeichnungen und persönlichen Dokumenten zu einer umfangreichen Jubiläumsausstellung zu Werk und Person aufbereitet.
Dies geschieht in dem hauseigenen didaktischen Impetus. In mehreren Großvitrinen, die durch ihre fehlende Eleganz so gar nicht mit dem Thema korrespondieren, sind Zeitabschnitte und Werkgruppen zusammengestellt; eine Lichtchoreographie setzt Teile der Exponate abwechselnd in Szene. Der Rundgang beginnt mit Wagenfelds Jugend in Bremen und seiner Lehre bei einer traditionsreichen Silberwarenmanufaktur. Sein Lehrherr ermutigte ihn zur weiteren künstlerischen Ausbildung, die Wagenfeld zuerst an der Zeichenakademie in Hanau, ab 1923 dann als Geselle am Bauhaus in Weimar absolvierte. In dieser Zeit entwickelte er zusammen mit Karl J. Jucker die legendäre Tischleuchte, die zu einer Inkunabel der Bauhausästhetik wurde. Ironie dieses Entwurfs: Auch in der Reedition (seit 1980) wird sie eher manufakturell denn industriell hergestellt und als teures „Designerstück“ vermarktet – ganz im Widerspruch zu Wagenfelds Absichten.
Sein Verhältnis zur Bauhauslehre bezeichnete Wagenfeld stets als einen „inneren Zwiespalt“, ihm schien vieles „zu gedacht, wenig nur der Wirklichkeit abgelauscht“. Statt intellektueller Erklärungen setzte er auf seine offenen Sinne, um sich kulturelle Ernsthaftigkeit zu erschließen. Folgerichtig blieb Wagenfeld nach der Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau an dessen Nachfolgeinstitut, der Bauhochschule, in Weimar. Unter der Direktion von Otto Bartning leitete Wagenfeld die Metallwerkstatt bis zur Auflösung der Schule 1930.
Im Anschluss folgte seine über 50-jährige, enorm ergiebige Tätigkeit für die Industrie. Diese lässt sich weniger in stilistische Abschnitte, eher nach Auftraggebern und bearbeiteten Materialien gliedern. Zu Beginn war es die Glasproduktion, unter anderem die Heimarbeit für Christbaumschmuck im Thüringer Wald, die Wagenfeld, wenn auch nur partiell, auf ein anspruchsvolleres Niveau zu heben vermochte. Aber auch um die industrialisierte Produktion stand es damals kaum besser. Der Handwerksberuf des Glasmachens war zu einer Anlern­tätigkeit verkommen, so dass Wagenfeld erst qualitätsvollere Ergebnisse gelangen, nachdem er Ausbildung und Entlohnung der Arbeiter in den Fabriken verbessern konnte. Seine maßstabsetzenden Entwürfe für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weißwasser entstanden ab 1936; auch ­einfaches Pressglas wurde durch vorbildliche Haushaltswaren fortan gesellschaftsfähig.

Ikonen demokratischer Produktzivilisation
Nach dem zweiten Weltkrieg waren es Wagenfelds symbiotische Zusammenarbeit mit WMF – hier nobilitierte er preiswertes Cromargan als Ersatz für teures Silber in der Tischkultur –, seine zahllosen Leuchtenentwürfe für Lindner in Bamberg und Peill & Putzler in Düren, sowie Türbeschläge, Geschirr für die Lufthansa, ein Phonogerät für Braun und vieles mehr. Das alles wurde fester ikonografischer Bestandteil einer demokratischen Produkt- und Wohnzivilisation der jungen Bundesrepublik, die auch im Ausland positiv rezipiert wurde. Und: Wagenfeld blieb zeitlebens ein kritischer Geist. So verließ er 1955 den wiedergegründeten Werkbund, da er dessen Treiben für viel zu „harmlos und wirklichkeitsfremd“ hielt, um einer zunehmend restaurativen Orientierung in der Gesellschaft mit klaren Positionen persönlicher Verantwortung entgegen zu treten. Er unterschrieb einen Aufruf gegen die Wiederaufrüstung und atomare Bewaffnung Westdeutschlands und handelte sich damit persönliche Nachteile ein.
Den heutigen Bildungspolitikern (und nicht nur ihnen) sei Wagenfelds Polemik aus dem Jahr 1967 anempfohlen: gegen die Hochschulfabriken, die am laufenden Band unter anderem Architekten her­anbilden. Architekten, allerdings, „die dann sagen und beweisen, dass Bauen für sie Auftrag ist, Geschäft und niemals Aufgabe“.
Fakten
Architekten Wilhelm Wagenfeld (1900–1990)
aus Bauwelt 25.2010
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