Bauwelt

Buehrer Wuest Architekten und das Schauhaus in Grüningen

Debüt Nr. 19

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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Martina Wuest und Stephan Buehrer
Foto: Markus Bertschi

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Buehrer Wuest Architekten und das Schauhaus in Grüningen

Debüt Nr. 19

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Der Botanische Garten wollte ein neues Gewächshaus. Stephan Buehrer und Martina Wuest haben es unauffällig zwischen die Bäume gesetzt und darüber hinaus auch neue Gläser entwickeln lassen.
Die Idylle liegt eine halbe Autostunde von Zürich entfernt. 1,7 Hektar botanischer Garten, um­geben von Feldern, warten hier vom Frühjahr bis zum Herbst auf Besucher. Vor drei Jahren entschied die Zürcher Kantonalbank, deren Stiftung den Garten betreibt, die beiden Gewächshäuser inmitten der Anlage zu erneuern und dem Garten zu einer Attraktion zu verhelfen. Buehrer Wuest Architekten haben die Aufgabe auf typisch schweizerische Art gelöst: Das Schauhaus hält sich vornehm zurück. Den Bananenbäumen, Sukkulenten und Farnen bietet es ein klimatisch angenehmes Zuhause und den Besuchern ein Aha-Erlebnis, das zum Nachdenken über die Bauweise der Natur herausfordert. Die Stützen aus schwarz gestrichenem Stahl gleichen Baumstämmen, die Dachträger Baumkronen. Dazwischen klemmen riesige Scheiben, die alles können, was für ein Gewächshaus wichtig ist: dämmen und UV-Licht durchlassen. Nur wer sich von den Architekten Ausgangslage und Lösungsweg erklären lässt, kann die pla­nerische und technische Leistung ermessen, die dahinter steckt.  FM
Ach hier, jetzt seh ich es erst. Wirkt erst auf den zweiten Blick.
Stephan Buehrer | Das war unsere Absicht. Das Schauhaus sollte als Bestandteil des Gartens gelesen werden. Im Unterschied zu botanischen Gärten in der Stadt ist die Anlage in Grüningen stark bewaldet. Das Schauhaus sollte auf den Baumbestand reagieren, die Lichtung füllen.

Wie alt ist der Botanische Garten Grüningen?
SB | Gegründet wurde er 1961 als Privatgarten. 1976 übernahm die ETH die Bewirtschaftung. Seit 1979 ist die Zürcher Kantonalbank Eigen­tümerin und Trägerin der gleichnamigen Stiftung.

Wie sind Sie an den Auftrag gekommen?
SB | Auf der Lichtung gab es ursprünglich zwei Gewächshäuser. Sie wurden für die Pflanzenanzucht und als Schauhaus benutzt. Bloße Sanierungsmaßnahmen am Bestand hat man aus Gründen der Nachhaltigkeit verworfen. Wir erarbeiteten ein Konzept, das die Nutzungen voneinander trennt: In einem Standard-Foliengewächshaus im hinteren Gartenbereich werden die Pflanzen angezüchtet. Dadurch blieben mehr Geld und mehr Platz für ein großzügiges Schauhaus im vorderen Bereich.
Martina Wuest | Aufgrund dieser Vorstudie veranstaltete die Bank einen Wettbewerb mit vier Teilnehmern. Wir haben sehr viel Zeit in die Aus­arbeitung unseres Vorschlags gesteckt, weil wir den Auftrag unbedingt haben wollten. Das hat sich bezahlt gemacht.

Junge Architekten zu beauftragen, das spricht für die Bank.
MW | Die Bauherrnvertreter waren vom Fach und nicht aus der Abteilung der Kostenkalkulation. Sie haben an unser Projekt geglaubt, auch als die ersten Richtofferten weit über dem Budget lagen.

Über welche Beträge reden wir hier?

MW | Wir hatten ein Budget von 1,5 Millionen Schweizer Franken einzuhalten. Das Projekt musste deshalb immer wieder angepasst und überarbeitet werden, zum Beispiel um ökonomische Glasdimensionen einsetzten zu können. Wir sind allerdings überzeugt, dass es durch diese technischen und finanziellen Einschränkungen nur besser geworden ist.
SB | Der Projektleiter sagte: „Die ganze Bank freut sich auf das Haus, es wird gebaut. Wie ihr das schafft, ist euer Ding.“ Das ist ein großer Vertrauensbeweis. Obwohl niemand wusste, ob unsere Idee umsetzbar ist.
Inwiefern?
MW | Wir benötigten zum Beispiel ein Glas, das erstens die Festigkeitswerte für die Statik erfüllt, zweitens die für ein subtropisches Klima notwendige Isolation gewährleistet und drittens auch noch ausreichend UV-Strahlung durchlässt.

Ist das etwas Außergewöhnliches?

MW |
Isolierverglasung filtert UV-Strahlung normalerweise heraus. Die meisten Gewächshäuser sind deshalb nur einfach verglast. Um die für das Pflanzenwachstum notwendige UV-Durchlässigkeit auch energieeffizient zu erreichen, musste eine Spezialfolie ins Verbundsicherheitsglas inte­griert werden.
SB | Wir hatten etwa 25 Ausschreibungen verschickt, nur sechs kamen zurück. Kein Stahl-Glasbauer wollte die Arbeit machen. Das Risiko schien zu groß.
Welches Risiko? Gewächshäuser werden doch häufig gebaut.
SB | Bei so komplexen Konstruktionen kann man kaum nachbessern. Hier in Grüningen, auf dem freien Feld, mussten wir mit Windspitzen von bis zu 120 Kilometern pro Stunde und entsprechenden Windlasten rechnen. Unser Entwurf sah eine größtmögliche Transparenz des Hauses vor, das hieß auch möglichst große Glasscheiben. Das Spezialglas, das allen Anforderungen genügt, wurde noch nie so großflächig eingesetzt. Und, bei ei­nem so kleinen Haus wächst prozentual das finanzielle Risiko. Überschreitungen von Baukosten kann man nicht mit anderen Gewerken abfedern.
MW | Und schließlich planten wir einen Prototyp. Die berechneten Glaswerte sind das eine. Was man misst, wenn das Haus fertig ist, das andere.

Eine Bauaufgabe also, die normalerweise Spezialisten bekommen.
SB | Absolut.
MW | Wie viel Feuchtigkeit die Pflanzen abgeben, wie hoch die Sonneneinstrahlung bei entsprechender Bepflanzung ist und wie viel UV-Licht durch das Glas kommt, hat schließlich ein 82-jähriger Gewächshausbauer für uns gerechnet. Er nahm einen DIN-A-4-Block, schrieb zwanzig Seiten voll und sagte uns, was wir bräuchten.
Die Form erinnert ein wenig an die Innenhofüberdachung im Swiss-Re-Gebäude in Zürich-Aldiswil von SAM Architekten und Partner.
MW | Von dem Projekt haben wir lustigerweise erst nachher erfahren. Unsere Formfindung war ein interessanter Prozess: Am Anfang war die Idee von Stützen, die ein schützendes Dach tragen. Die vorhandenen Bäume haben wir um vier stählerne „Bäume“ ergänzt, deren Kronen das Dach
bilden. Die Dachform generierten wir über das Prinzip der Zellteilung. Wie sich die Membrane um die Zellkerne herum bilden, funktioniert nach einer geometrischen Grundregel, die man Voronoi-Interpolation nennt. Wir erfassten die Position der alten und neuen Baumstämme als Zellkerne in einem Diagramm und wendeten die Regel an.

Das Haus wirkt recht niedrig. War die Höhe vorgegeben?
SB | Ja. Der Garten liegt in einem ausgewiesenen Erholungsgebiet. Eingeschossige Gebäude dürfen hier maximal 3,50 Meter hoch sein. Wir haben der Gemeinde 5,50 Meter abgerungen. Lange meinten wir, das sei zu niedrig. Inzwischen sind wir sehr zufrieden. Mit mehr Höhe hätte sich das Gebäude zu sehr in den Vordergrund gedrängt.
Welches Tragsystem steckt dahinter?
SB | Die „Bäume“, wenn man die so nennen will, tragen das ganze, die Last­ableitung führt über die Stahlarme bzw. die Äste.
MW | Die bis zu 5 Meter hohen und 5 Zentimeter dicken 3-Scheiben-Gläser sind nur gestoßen und oben und unten durch ein U-Profil gehalten, sodass sich das Glas mit dem Stahl mitbewegen kann. Wenn wir die Gläser eingespannt hätten, wären sie bei der Deformation vom Stahl gesprungen.

Was war der aufregendste Moment in der ganzen Zeit?
MW | Als die Stämme aufgestellt wurden. Da waren die Dimensionen des Gebäudes erstmals spürbar.
SB | Die Vorfabrikation im Stahlwerk. Du siehst plötzlich die Größe der Träger, alles wird real. Na, und dann das Zusammenschweißen. Die hatten ganze 5 Millimeter Toleranz in der Fuge, mehr nicht. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie das funktioniert hat.
Fakten
Architekten Buehrer Wuest Architekten, Zürich
aus Bauwelt 6.2013
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