Bauwelt

Wir haben ein riesen Defizit, ein Bildungsproblem!

Nur fünf feste Gestaltungsbeiräte haben sich bis jetzt in Niedersachsen etabliert. Da sich gerade kleinere Kommunen kein eigenes Gremium leisten können, hat Lothar Tabery, bis März 2018 Vizepräsident der dortigen Architektenkammer, ein Pilotprojekt gestartet. Er hat einen mobilen Gestaltungsbeirat gegründet. Ohne festen Sitz, geht der Beirat dorthin, wo man ihn braucht. In drei Kommunen wurden bereits Bauvorhaben diskutiert; der Bedarf ist da. Bevor weitere Projekte besprochen werden können, muss vor allem auf das Instrument aufmerksam gemacht werden. Dafür ist eins unabdingbar: persönliches Engagement.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

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    Lothar Tabery auf dem Rathausmarkt in Bremervörde.
    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Lothar Tabery auf dem Rathausmarkt in Bremervörde.

    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Der Rathausmarkt in Bremervörde bildet das Zen­trum der 19.000-Einwohner-Stadt.
    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Der Rathausmarkt in Bremervörde bildet das Zen­trum der 19.000-Einwohner-Stadt.

    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Durch fehlende Kanten und eine diagonal kreuzende Buslinie fehlt dem Platz Struktur. Auf Empfehlung des mobilen Gestaltungsbeirats wurde ein Wettbewerb ausgelobt.
    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Durch fehlende Kanten und eine diagonal kreuzende Buslinie fehlt dem Platz Struktur. Auf Empfehlung des mobilen Gestaltungsbeirats wurde ein Wettbewerb ausgelobt.

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    Zwei Bauten sollen ersetzt und ein Teil des Platzes im Norden neu geplant werden, um den Platzcharakter zu stärken.
    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Zwei Bauten sollen ersetzt und ein Teil des Platzes im Norden neu geplant werden, um den Platzcharakter zu stärken.

    Foto: Kirsten Klingbeil

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    Die Hannoveraner Architekten Ahrens & Grabenhorst haben im Realisierungswettbewerb Kirchenstraße 1–3 eine L-förmige Bebauung entlang der Kirchenstraße vorgeschlagen.
    Abb.: Ahrens & Grabenhorst

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    Die Hannoveraner Architekten Ahrens & Grabenhorst haben im Realisierungswettbewerb Kirchenstraße 1–3 eine L-förmige Bebauung entlang der Kirchenstraße vorgeschlagen.

    Abb.: Ahrens & Grabenhorst

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    Der Bau verkleinert den Markt leicht und bildet mit drei großen Giebeln den Abschluss zum Platz. Über Arkaden soll sich das Erdgeschoss zum Platz hin öffnen.
    Abb.: Ahrens & Grabenhorst

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    Der Bau verkleinert den Markt leicht und bildet mit drei großen Giebeln den Abschluss zum Platz. Über Arkaden soll sich das Erdgeschoss zum Platz hin öffnen.

    Abb.: Ahrens & Grabenhorst

Wir haben ein riesen Defizit, ein Bildungsproblem!

Nur fünf feste Gestaltungsbeiräte haben sich bis jetzt in Niedersachsen etabliert. Da sich gerade kleinere Kommunen kein eigenes Gremium leisten können, hat Lothar Tabery, bis März 2018 Vizepräsident der dortigen Architektenkammer, ein Pilotprojekt gestartet. Er hat einen mobilen Gestaltungsbeirat gegründet. Ohne festen Sitz, geht der Beirat dorthin, wo man ihn braucht. In drei Kommunen wurden bereits Bauvorhaben diskutiert; der Bedarf ist da. Bevor weitere Projekte besprochen werden können, muss vor allem auf das Instrument aufmerksam gemacht werden. Dafür ist eins unabdingbar: persönliches Engagement.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

Herr Tabery, wie steht es um die niedersächsische Baukultur?
Das muss man differenziert betrachten. In den großen Städten wie Hannover, Braunschweig, auch Oldenburg oder Osnabrück und Wolfsburg gibt es gute Entwicklungen. Die Ämter sind qua­lifiziert besetzt und können Vorarbeit leisten, die dann in den politischen Gremien akzeptiert und umgesetzt wird. Auf dem flachen Land ist das anders. Zum einen sind die Verwaltungen nicht so stark besetzt, zum anderen mischen sich politische Vertreter oft stärker ein, auch wenn sie mit der Materie wenig vertraut sind. Hinzu kommt, dass kleinere Kommunen für qualifizierte Leute aus dem Bereich Stadtplanung und Stadtentwicklung nicht so interessant sind: Es wird einfach zu wenig Qualität geplant. Natürlich könnten sie gerade in den kleinen Kommunen etwas bewirken. Dementsprechend sieht dort die Architektur und vor allem auch die Stadtplanung, vorsichtig ausgedrückt, überarbeitungsbedürftig aus. Das merkt man oft schon an der Ortseinfahrt, dass nicht vorhandenes Qua­litätsbewusstsein in der Planung den Ort kaputt machen.
Gibt es denn für kleine Orte keine Entwicklungspläne?
Wir haben in Deutschland das Problem, dass das Baugesetzbuch Vorgaben macht, was rechtliche Vorgehensweisen bei der Flächennutzungs- und Bebauungsplanentwicklung betrifft. Der Flächennutzungsplan ist eine eher lockere Planung, die mehr oder weniger große „Briefmarken“ über den Ort legt: dort haben wir Wohnen, hier Gewerbegebiete. Der Bebauungsplan ist dann schon Parzellen scharf. Aber das, was dazwischenliegt, die Entwicklung eines großen Ansatzes bis hin zum konkreten Bauvorhaben, bedarf einer sehr viel sorgfältigeren Planung. Die hierfür erforderliche „informelle Planung“ findet aber auf dem flachen Land oft nur rudimentär statt.
Für größere Bauvorhaben müssen auch in kleinen Kommunen Wettbewerbe ausgeschrieben werden. Kann dadurch Einfluss auf die Architektur genommen werden?
Ich saß beispielsweise im Preisgericht für eine Schulerweiterung in Bremervörde. Es wurde ein europaweiter Wettbewerb ausgelobt. Für das Gelände gibt es keinen Masterplan, oder überhaupt einen Plan, der die städtebauliche Strukturfestlegt. Gewonnen hatte in 2014 das Kölner Büro Schilling Architekten. Also ein wirklich gutes Büro. Was hat man gemacht? Man hat den Entwurf rausgekauft und wird die Schule nun mit einem Totalübernehmer umsetzen. Die Kommunen machen manchmal Wettbewerbe, bezahlen hierfür Geld und schmeißen die Architekten hinterher raus. Dieses Beispiel zeigt: Baukultur erfordert auch Planungs- und Verfahrenskultur.
Wirtschaftliche Zwänge, kein Rückhalt aus der Politik, wenig Bewusstsein für das gebaute Umfeld. Wie etabliert man da einen Gestaltungsbeirat?
Zunächst einmal mit viel Eigeninitiative. In Bremervörde, meiner Heimatstadt, hatte der mobile Beirat seinen ersten Auftrag. Es gibt hier eine Städtebauförderung für verschiedene Stadt­sanierungsgebiete und der mobile Gestaltungsbeirat wurde für eine Teilaufgabe der Sanierung der Stadtmitte gerufen, oder besser gesagt: Ich habe ihn angeboten! Denn es war eine Aufgabe, an der sich die Stadt schon etwas festgebissen hatte. So war es später auch in Buxtehude. Pa­rallel dazu gab es Gespräche in der Architektenkammer, auch mit dem Sozialministerium, die beide die städtebaulichen und architektonischenPlanungen im Land fördern und den Gestaltungsbeirat in Bremervörde als Pilotprojekt finanziell unterstützt haben. Man hatte erkannt, dass der Gestaltungsbeirat ein Instrument zur Verbesserung der Baukultur im Land sein kann.
Worin bestand die Aufgabe?
Der Rathausmarkt, an dem auch das Rathaus aus den 80er Jahren steht, wird zwar als Platz bezeichnet, ist aber eigentlich keiner. Seine Struktur ist sehr offen, ihm fehlt die Fassung und eine Belebung durch Publikum. Er ist nicht vergleichbar mit einem historischen Stadtplatz. Zudem kreuzt eine Buslinie diagonal. Durch das Einbeziehen des mobilen Gestaltungsbeirats konnten Experten von außen geladen werden, auch ein Verkehrsplaner, die sich mit der städtebaulichen Problematik an diesem Ort befasst haben.
Anders als es meist im Gestaltungbeirat der Fall ist, stand kein konkretes Bauvorhaben im Fokus, sondern eine städtebauliche Problemstellung. Auf Rat des mobilen Gestaltungsbeirats wurde dann für diesen Ort ein Wettbewerb ausgelobt, den das Hannoveraner Büro Ahrens & Grabenhorst gewonnen hat. Wird dieser nun umgesetzt?
Wir haben für den Wettbewerb die Eckdaten erarbeitet und die Stadt hat den Wettbewerb ausgeschrieben. Man wollte eine städtebauliche Idee haben, die schon stark an eine Realisierung heranreicht. Gemeinsam mit dem Wettbewerbssieger sollte dann ein Investor gesucht werden, der das Ganze umsetzt. Mittlerweile gibt es zwei Investoren, die am Platz bauen möchten, aber ihre eigene Idee umsetzen wollen. Das gute Ergebnis des Wettbewerbs wird von der Stadt als nicht bindend betrachtet. Es wäre natürlich fatal, wenn man das alles umschmeißt und anderen Investoren plötzlich die Tür öffnet, die sich nicht an die Rahmenbedingungen halten, die wir empfohlen hatten. Aber momentan ist alles noch offen!
Es gab weitere Sitzungen des Gestaltungsbeirats. Auch hier ging es noch nicht um konkrete Bauvorhaben, sondern eher um Moderationen.
Genau, in Buxtehude ging es auch um eine Platzgestaltung, allerdings mit anderen Problemen. Die Gestaltung des St.-Petri-Platzes, ein zentraler Ort in der Stadt, rief örtliche Diskussion her­-vor. Durch das Wirken des mobilen Gestaltungsbeirats konnten diese positiv beeinflusst werden. In Westerstede hatte uns ein Vertreter der Stadt tatsächlich angerufen. In diesem Fall haben wir nur mit dem Leiter des Amts für Stadtentwicklung gesprochen, zunächst nicht mit dem Bauausschuss, und dargestellt, wie man so eine Sitzung organisieren würde. Die Sitzung, die daraufhin stattgefunden hat, war dann eher eine interne Fortbildungsveranstaltung für die Bauverwaltung. Inzwischen wurde das Sitzungsergebnis in Westerstede von mir im Bauausschuss vorgetragen und fand einhellig Zustimmung in allen Fraktionen. Man kann sich dort vorstellen den Beirat bei anderen Aufgabenstellungen wieder einzuladen. Also man sieht, es gibt verschiedene Facetten und Thematiken, bei denen der Beirat gerufen werden kann. Das macht die Sache spannend. Bei jedem Auftrag muss man sich auf die Sachlage neu einstellen und reagieren. Es bedarf zudem eines relativen Feingefühls, mit den Menschen umzugehen, sich in die Problemlage hinein zu denken, um einen Dialog zu beginnen.
Was kann der Gestaltungsbeirat möglich machen, wo der Verwaltung sonst die Hände gebunden sind?
Viele Bauverwaltungen schätzen es, wenn sie von neutraler Seite konstruktiven Rat zur Planung bekommen. Wie es so schön heißt: Der Prophet im eigenen Land ist nichts wert. Gerade bei kleinen Kommunen, wo es im Grunde kaum Gestaltungsansprüche gibt, um das mal so platt auszudrücken, wiegt so ein Urteil stärker. Manchmal gibt es Problemsituationen, sei es durch Investoren oder innere Beziehungen, bei denen eine örtliche Verwaltung nicht offen agieren kann, um fachlich qualitativ zu urteilen. Da sind Leute, die von außen kommen, freier. Sie können ihre Meinung sagen und legen durchaus mal den Finger in die Wunde. Deswegen waren wir der Meinung, in Niedersachsen muss es so ein Instrument geben. Wir haben es nur noch nicht flächendeckend kommuniziert, da sind wir aber gerade dabei.
Sie müssen nun erst einmal Akquise betreiben.
Ja, als eine erste Aktion haben wir einen Frage­bogen entwickelt, um herauszufinden, welche stadtentwicklungsrelevanten Probleme die Kommunen haben. Das Ergebnis war schon ganz interessant: Fast alle antworteten, dass sie mehr Personal brauchen. Genau das, was wir ja schon erkannt hatten. Zusätzlich wird ein Forum des Netzwerks Baukultur mit dem Thema „Gestaltungsbeiräte“ stattfinden. Und zusammen mit der Leibniz Universität Hannover laufen gerade Vorbereitungen für ein weiteres Forum, auf dem erörtert werden soll, wie man die Kommunen in der Personalgewinnung unterstützen kann.
Die Frage danach, wie man die Öffentlichkeit und die Politik erreicht, ist eine der schwierigsten für das Instrument Gestaltungsbeirat. Oft wird die Arbeit missverstanden und vermutet, dass es nur um gestalterische Entscheidungen oder gar Geschmacksfragen ginge. Wie kann man bei Fachfremden ein Bewusstsein für Baukultur entwickeln?
Wir haben ein riesen Defizit, ein Bildungsproblem! Wenn es an Bewusstsein fehlt, dann muss man ganz unten anfangen. Man muss die richtige Sprache finden, um auch diejenigen dafür zu interessieren, die normalerweise damit nichts am Hut haben. Es gibt von Vittorio Magnago Lampugnani das Buch mit dem Titel „Architektur als Kultur“. Er beschreibt darin wie die Städte im Mittel­alter in der Toskana, die wir alle so schätzen, zum Beispiel Siena, mit Baukultur umgegangen sind. Bereits damals existierten dort rotierende Beiräte, mit wechselnder Besetzung, die es geschafft haben, eine gemeinsame Kultur und ein baukulturelles Verständnis für ihre Stadt aufzubauen. Wenn man heute nach Siena kommt, dann sieht die Stadt fast noch so aus, wie früher, weil man darauf Wert legt, dass sie so aussieht. Das schaffteine Identifikation. Und genau das ist der wesentliche Punkt, der uns abhanden gekommen ist. Wenn ich in manches deutsche Neubaugebiet gehe, dann steht dort eine Blockhütte, eine toskanische Villa und daneben ein 20er-Jahre-Bauhaus-Verschnitt. Da weiß man dann schon, dass die Leute sehr individualistisch denken und die Stadt nicht als Ganzes sehen. Es wird keine Rücksicht genommen auf das, was nebenan steht.
Das grundsätzliche Verständnis von Stadt sollte eigentlich in der Schule gelehrt werden. Wenn man nicht schon Kindern beibringt, dass sich unsere Kultur auch in der Architektur und im Städtebau wiederspiegelt, dass sie einen besonderen Stellenwert hat, dann wird es hinter­-her schwierig. Ich finde, wir leben hier in unserer Region in der Architekturdiaspora! Insofern ist es eine wichtige Funktion des mobilen Gestaltungsbeirats, einen gewissen Ersatz, wenn auch nur punktuell, zu liefern, um das Qualitäts­bewusstsein vor allem in den Kommunen zu fördern und Anstöße für vernünftige Planung zu
geben.
Aus diesem Grund finden die Sitzungen des Beirats häufig öffentlich statt. Wurde das Ange­-bot wahrgenommen? Greifen die Lokalnachrichten das Thema auf?
In Bremervörde war die Sitzung öffentlich und im Laufe des Tages kamen auch einige wenige Besucher, aber bei der ersten Sitzung ist das nicht ungewöhnlich. In Buxtehude lief etwas mit der Veröffentlichung des Termins schief und in Westerstede hatte die Sitzung einen etwas anderen Charakter. Aber eigentlich streben wir an, die Sache öffentlich zu machen, weil wir zum einen natürlich der Kommune helfen wollen, zum anderen verstehe ich die Arbeit eines Gestaltungsbeirats auch als Öffentlichkeitsarbeit. Die Bremervörder Zeitung spielte eher eine untergeordnete Rolle. Am meisten erreicht man durch Bilder und gute Beispiele, die es im Moment aber aus der Region nur wenig gibt. Damit lässt sich am ehesten eine Idee vermitteln.
Wie geht es nun mit dem mobilen Gestaltungsbeirat weiter?
Wir haben das Instrument „Mobiler Gestaltungsbeirat“ in der Kammer entwickelt und überführen es nach den ersten drei Sitzungen jetzt in das Netzwerk Baukultur Niedersachsen. Das Netzwerk existiert seit längerer Zeit, mitiniti­iert durch das Land Niedersachsen, um unterschiedliche Institutionen, die sich mit Planen und Bauen beschäftigen, zusammenzuführen. Also Architektenkammer, Ingenieurkammer, Verbände, Städte und Gemeinden usw., auch Universitäten, freie Architekturbüros und Personen aus der Wohnungswirtschaft sind dabei. Über das große Netzwerk wollen wir nun versuchen, den mobilen Gestaltungsbeirat an die Kommunen zu bringen.
Fakten
Architekten Tabery, Lothar, Bremervörde
aus Bauwelt 7.2018
Artikel als pdf

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