Bauwelt

Oh Gott, hoffentlich geht das gut!


Ein Pfarrer und ein Graffiti-Künstler wagten ein beispielloses Experiment. Aus einer dem Abriss geweihten Kirche in Kehl-Goldscheuer wurde eine Pilgerstätte der Popkultur. Ein Gespräch mit Thomas Braunstein und Stefan Strumbel


Text: Kraemer, Oriana, Dublin


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    Außen wurde die katholische Kirche konservativ saniert.
    Foto: Reinhold Schäfer; ©VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Außen wurde die katholische Kirche konservativ saniert.

    Foto: Reinhold Schäfer; ©VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Thomas Braunstein (l.) ist seit 2007 Pfarrer in Goldscheuer. Mit dem Künstler Stefan Strumbel verbindet ihn inzwischen eine vertrauensvolle Freundschaft. Ihn fasziniert, wie Strumbels Kunst „die alten Symbole in ein neues, kraftvolleres Licht gesetzt hat“.
    Stefan Strumbel Offenburger Künstler und ehemaliger Graffiti-Sprayer. In der Kommunikation mit der Kirchengemeinde war er Braunstein sehr dankbar, dass dieser seine Ideen „immer wieder noch mal theologisch interpretiert hat“.
    Foto: Oriana Kraemer

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    Thomas Braunstein (l.) ist seit 2007 Pfarrer in Goldscheuer. Mit dem Künstler Stefan Strumbel verbindet ihn inzwischen eine vertrauensvolle Freundschaft. Ihn fasziniert, wie Strumbels Kunst „die alten Symbole in ein neues, kraftvolleres Licht gesetzt hat“.
    Stefan Strumbel Offenburger Künstler und ehemaliger Graffiti-Sprayer. In der Kommunikation mit der Kirchengemeinde war er Braunstein sehr dankbar, dass dieser seine Ideen „immer wieder noch mal theologisch interpretiert hat“.

    Foto: Oriana Kraemer

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    Den Innenraum gestaltete Stefan Strumbel mit knappem Budget vor allem durch Farbe und Beleuchtung. Hinter der Kreuzigungsgruppe sind LEDs in fünf Farben anwählbar.
    Foto: Reinhold Schäfer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Den Innenraum gestaltete Stefan Strumbel mit knappem Budget vor allem durch Farbe und Beleuchtung. Hinter der Kreuzigungsgruppe sind LEDs in fünf Farben anwählbar.

    Foto: Reinhold Schäfer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Eine Lichtspur im First ­verbindet die Kreuzigungsgruppe mit der Madonna. Maria trägt auf dem Kopf die „Maschenkappe“ der lokalen Tracht.
    Foto: Reinhold Schäfer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Eine Lichtspur im First ­verbindet die Kreuzigungsgruppe mit der Madonna. Maria trägt auf dem Kopf die „Maschenkappe“ der lokalen Tracht.

    Foto: Reinhold Schäfer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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    Sprechblasen aus spiegelndem Klavierlack nehmen Kerzen und Fürbitten der Gläubigen auf.
    Foto: Reinhold Schäfer; Imageagency.com

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    Sprechblasen aus spiegelndem Klavierlack nehmen Kerzen und Fürbitten der Gläubigen auf.

    Foto: Reinhold Schäfer; Imageagency.com

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    Foto: Reinhold Schäfer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Die Kirche, in der wir hier sitzen, hat eine außergewöhnliche Metamorphose hinter sich. Dabei sollte sie eigentlich abgerissen werden.
Thomas Braunstein Ja, die Kirche sollte als Erste in der Diözese Freiburg aufgegeben werden. Es war eigentlich kein lebendiger Ort mehr. Grüner Teppichboden, lange Bänke, die Fensterfront mit riesigen Pflanzen zugestellt, Beichtstühle noch davor. Auf der Empore war alles dreckig, es gab keine Hochzeiten oder Taufen. Es war schwierig, das als einen Ort zu verkaufen, den man erhalten sollte. Aber die Gemeinde wollte die Kirche nicht verlieren und hat Geld für eine kleine Sanierung gesammelt. Das hat die Diözese umgestimmt.
Wie sind Sie ins Spiel gekommen, Herr Strumbel?
Stefan Strumbel Wir standen schon länger im Email-Dialog. Ich hatte in Thomas Braunstein ­einen Pfarrer gefunden, der sich mit mir über meine künstlerischen Ideen austauscht. Das ist mir wichtig, da ich mich in meinem Werk religiöser Motive bediene, damit aber niemanden verletzen will. Die Kunst in den Kirchen hat mich schon ­immer sehr fasziniert. Dann kam Thomas auf mich zu und fragte, ob ich in seinem Problemkind, der Goldscheurer Kirche, eine temporäre Aktion ­machen könnte.
In welchem Zustand haben Sie die Kirche vorgefunden?
SSt Ich kam rein und fühlte mich wie in einer Schulsporthalle, die vor der Renovierung steht. Es haben nur die Sprossenwände gefehlt. Alles war grau. Es war sehr trostlos. Selbst die Fenster haben nicht gewirkt. Ich fand aber die Größe und die architektonische Grundlage sehr spannend, es war nicht verbaut oder verschnörkelt.
Sie haben dann doch mehr gemacht als nur ­etwas temporär bemalt.
SSt Im Dialog kam die Idee auf, das ganzheitlicher anzugehen und ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Für mich war das ein Traum, so ein Kirchenschiff als Installation zu verwirklichen. Ich wollte einen Ort schaffen, an den die Leute immer wieder zurückkehren, einen Ort der Heimat. Ich habe dann Vorschläge gemacht.
War es schwierig, die extreme Umgestaltung der Kirche durchzusetzen?
TB Es gab natürlich am Anfang Widerstände. Insbesondere die Diözese in Freiburg hatte große Bedenken. Aber auch im Pfarrgemeinderat haben wir lange diskutiert, ob wir das wirklich wagen sollen. Stefan Strumbel war in der Region als Graffitisprayer bekannt, das weckte Sorgen, wie laut er an die Sache herangehen würde. Bei einer der Sitzungen sagte schließlich ein Mann: „Bisher kam auch niemand in die Kirche. Weniger können es gar nicht mehr werden.“ Dann siegte die Lust, diesen Aufbruch zu wagen und der Pfarrgemeinderat hat es einstimmig bewilligt.
SSt Am Anfang war ich schon der Bad Boy. Es waren, glaube ich, die ersten Kirchengemälde, die gesprayt wurden. Und viele konnten sich trotz meiner Visualisierungen nicht vorstellen, wie ­das wirken würde. Irgendwann haben wir ­­die Renderings dann gelassen und es einfach gemacht, immer nach 18 Uhr. Je mehr dazu kam, desto mehr Zustimmung gab es.
Was ist das künstlerische Konzept?
SSt Da das Budget knapp war, habe ich über die Farbe Lautstärke hereingebracht und Zusammenhänge geschaffen. Außerdem haben wir mit Symbolen gearbeitet. Aber es ist keine voll durchkonzipierte Kirche, Vieles ist einfach so entstanden. Der Maria hatte ich zunächst einen Bollenhut aufgesetzt, der für Heimat stehen sollte. Doch das Klischee hat keiner verstanden. In Goldscheuer gibt es aber eine eigene Tracht, die Maschenkapp – die trägt die Maria jetzt. Für den Heiligenschein um die Kreuzgruppe hatten wir mehrere Konzepte. Als ich die Strahlen gemalt hatte, war das alles zu flach. Da war die Maria hinten stärker als der Altar vorne. Das haben ­­­wir dann über das leicht abgesetzte gotische „Fenster“ und die Untermalung mit Licht ausgeglichen.
TB Für mich ist die Streifenoptik am stärksten, die in vielen Baustilen in der Gegend vorkommt. Du hast immer gesagt, „Biedermeieroptik“. Und dass Du die Laibungen der kleinen Fenster des Kreuzwegs mit Gold ausgelegt hast. Am Anfang habe ich gesagt: „Muss das sein?“ Weil es ungefähr 6000 Euro mehr gekostet hat. Aber die Wirkung ist genial. Auch wenn es draußen dunkel ist, spiegelt das Gold und leuchtet. Kleine Details, die unglaublich viel Stärke entwickelt haben. Wie die Lichtspur in der Decke, die Maria mit der Kreuzgruppe verbindet.
Die Kreuzgruppe können Sie nun in verschiedenen Farben ausleuchten. Ist das nur eine ­ästhetische Spielerei?
TB Nein, das hat schon einen liturgischen Hintergrund. Die Farben wechseln mit dem Kirchenjahr: Bei einer Trauerfeier oder in der Adventszeit ist es violett, an Ostern im Goldton, beim Sonntagsgottesdienst grün, bei einer Taufe golden und bei einer Hochzeit weiß. Ich finde es gut, dass es nicht statisch ist.
Gab es auch bauliche Veränderungen?
TB Wenige. Der Turm wurde saniert, die Elektronik erneuert, wir haben neue Stühle und Teppiche bekommen. Der Altar wurde vom Steinmetz mit der Fensteroptik der Glasfront aufgepeppt. Unterm Strich waren es Gesamtkosten von unter 300.000 Euro. Im Grunde haben wir genommen, was da war und es anders fokussiert.
Was war die größte Herausforderung des ­Projekts?
SSt Bei einem Museum weiß ich, dass nach einigen Monaten die Ausstellung vorbei ist. Als ich hier stand – das war schon ein anderes Gefühl. Ich war mir eigentlich sicher, dass es funktioniert, die Kirche wieder zum Leben zu erwecken. Aber der Druck war trotzdem groß, weil ich mich so aus dem Fenster gelehnt hatte, eine ganze Kirche zu gestalten. Da dachte ich manchmal schon: Oh Gott, hoffentlich geht das gut! In der Galerie hängt man die Dinge ab, dann kommt der nächste Künstler. Hier musste der Schuss sitzen.
TB Die größte Herausforderung von meiner Seite war es, meine Oberbehörde, die Diözese in Freiburg, zu überzeugen. Wenn da nur das Kleinste schief gelaufen wäre, hätte die gesagt: Nein, die Kirche muss abgerissen werden. Wir setzen ein Exempel.
Wird das jetzt anders gesehen?
TB Die kirchliche Baubehörde ist inzwischen Feuer und Flamme. Aus ganz Deutschland waren schon Vertreter hier. Für die ist es ein Leuchtturmprojekt.
Neues Design, neues Glück? Oder haben Sie auch die Art verändert, Gottesdienst zu feiern?
TB Wir haben auch das liturgische Konzept modernisiert. Früher stand der Altar ganz oben ­­an der Wand, direkt unterm Kreuz. Das war die vorkonziliare Lösung, wo man mit dem Rücken zum Volk Gottesdienst gefeiert hat. Den Altar ­haben wir herunter geholt und nach vorne gestellt. Aus der ehemaligen Kommunionbank wurde ­­eine Tabernakelstele geformt. Die oberen Stufen ­haben wir vorgezogen, so dass ein liturgischer Raum für kleinere Gottesdienste und Tauffeiern entstand.
Wie ist das Gemeindeleben jetzt?
TB Mittlerweile heiraten ganz viele Leute hier, und die meisten wollen ihre Kinder hier getauft haben, weil das ein wunderschöner Rahmen ist. Vorher sind alle in die barocken Kirchen ausgewichen, jetzt haben wir diesen den Rang abgelaufen. Auch die Gottesdienstbesuche sind deutlich mehr geworden, weil die Leute sich hier wohler fühlen. Diese irre Distanz, die früher durch die räumliche Abgrenzung zwischen mir und ­­den Gemeindegliedern herrschte, ist einfach weg. Es ist deutlich angenehmer.
SSt Und Besucher kommen von überall her. Es ist eine Pilgerstätte für Schulklassen und Kunstinteressierte. Ganze Reisebusse fahren vor.
TB Wir bieten fast 100 Führungen im Jahr an. ­­­­Die organisiert die ehemalige Pfarrgemeinderatsvorsitzende ehrenamtlich. Am Anfang war sie skeptisch, jetzt lebt sie für diese Kirche.



Fakten
Architekten Pichl, Anton, Obrigheim; Strumbel, Stefan, Offenburg
Adresse Merkurstrasse Goldscheuer


aus Bauwelt 36.2016
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