Wohnhochhäuser sind ein sehr kleines Marktsegment
Gibt es einen Wohnhochhausboom? Kann man im Hochhaus Luxus- und Sozialwohnungen mischen? Wohnt in den teuren Apartments überhaupt jemand? Wir haben beim Immobilienökonomen Günter Vornholz nachgefragt
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Wohnhochhäuser sind ein sehr kleines Marktsegment
Gibt es einen Wohnhochhausboom? Kann man im Hochhaus Luxus- und Sozialwohnungen mischen? Wohnt in den teuren Apartments überhaupt jemand? Wir haben beim Immobilienökonomen Günter Vornholz nachgefragt
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht im Wirtschaftsteil einer Zeitung über Wohnhochhäuser geschrieben würde. Man kann den Eindruck eines regelrechten Booms in Deutschland bekommen. Stimmt das?
Günter Vornholz Es sind ziemlich viele Projekte am Markt, sie genau zu beziffern ist aber schwer. Das ändert sich auch ständig: Ein Entwickler gibt bekannt, dass er etwas plant, dann verschwindet das Projekt in der Versenkung, stattdessen kommt woanders ein neues auf. Das Marktforschungsunternehmen bulwiengesa führt eine Liste über solche Projekte. Die kommen im Augenblick auf knapp hundert, die bis Anfang 2022 in Deutschland entstehen sollen. Man muss allerdings davon ausgehen, dass etliche davon letzten Endes nicht realisiert werden.
Wo finden sich diese Projekte?
Aufgrund der Exklusivität eines Wohnhochhauses und des Kundenpotenzials beschränkt sich das auf die sieben A-Städte – Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart. Ein kleineres Projekt kann sich im Ausnahmefall auch einmal in einer B-Stadt befinden.
Noch vor kurzem wäre es unvorstellbar gewesen, in dieser Größenordnung über neue Wohnhochhäuser nachzudenken. Ihr Image war einfach zu schlecht. Woher kommt ihre plötzliche Beliebtheit bei Projektentwicklern?
Das ist sicherlich eine direkte Folge der Diskussion um Wohnungsknappheit. Ich sage bewusst nicht Wohnungsnot – Wohnungsnot gab es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist es Wohnungsknappheit, bei der nicht jeder den Wohnraum findet, den er sich vorstellt.
Wir erleben es fast jeden Tag: Sobald in einer Stadt eine Planung beginnt, gibt es einen Wettbewerb um diese Flächen. Denn wir reden nicht nur von Wohnungsknappheit, auch im Bürobereich sinken die Leerstände auf eine Quote unterhalb von fünf Prozent; potenzielle Büromieter beklagen ebenfalls, sie würden nichts Adäquates finden. Aus dem Bereich Einzelhandel ist dasselbe zu hören, ebenso aus der Logistik. Es gibt also viele Ansprüche aus den verschiedensten Bereichen. Deshalb die Frage: Wie kann man den knappen Raum, den knappen Boden am besten nutzen? Da liegt die Idee nahe, in die Höhe und nicht in die Breite zu gehen.
Das funktioniert natürlich nur, wenn man gleichzeitig die Dichte erhöht.
Das ist derzeit der Knackpunkt bei der Stadtentwicklung: Aus jedem Immobilienbereich kommen Ansprüche, und gleichzeitig haben die Bewohner Ansprüche. Sie wollen in der Stadt auch Grün- und Erholungsflächen haben. Und sie bekämpfen die negativen Folgen der Verdichtung ganz energisch. Dieser Konkurrenzkampf um die Flächen ist ein Grund mehr für die Überlegung: Wir bauen Wohnhochhäuser.
Wer sind die typischen Kunden bei einem Wohnhochhausprojekt?
Wegen der hohen Quadratmeterpreise sind das – ganz klar – reiche Bevölkerungskreise. Es geht bei diesen Projekten nicht um Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten, wie das oftmals bei den Wohnhochhäusern der fünfziger und sechziger Jahre der Fall war. Alle Projekte, die zurzeit geplant werden, sind Projekte auf gehobenem bis zum höchsten Niveau.
Gegen Luxuswohnen ist erst einmal nichts zu sagen. Stadtunverträglich wird es aber, wenn solche Wohnungen gar nicht zum Wohnen genutzt werden, sondern als „gebaute Bankschließfächer“ meist leer stehen. Gibt es Statistiken über sogenannte kalte Betten?
Analysen darüber gibt es meines Wissens nicht. Doch ohnehin: Auch ein Investor, ein Wohnungskäufer, hat ein Interesse daran, dass seine Immobilie tatsächlich genutzt wird. Entweder von ihm selbst, oder er vermietet sie. Kein Investor hat etwas davon, wenn er eine Wohnung in einem Hochhaus in bester Lage kauft und keinen Mie-ter findet. Das wäre vollkommen unökonomisch. Dass hierzulande mit Wohnhochhäusern im großen Stil Orte entstehen, die nur zu bestimmten Zeiten genutzt werden und ansonsten leer stehen – wie das zum Beispiel auf einigen Nordseeinseln, auf Sylt besonders, der Fall ist –, das ist nicht zu befürchten.
Projektentwickler werben häufig mit Aussagen wie: „Unsere Kunden kommen aus soundso vielen Ländern.“ Woher stammen ausländische Investoren, die in Deutschland zurzeit Wohnungen in Hochhäusern kaufen?
Das ist regional unterschiedlich. Internationale Käufer in Berlin kommen vermutlich eher aus Osteuropa. In München eher aus arabischen Ländern. Genaue Übersichten, wer genau wo kauft, gibt es aber nicht, da ist in Deutschland der Datenschutz vor. Weil Sie die „kalten Betten“ ansprachen: Bei Käufern aus dem Ausland kann es natürlich sein, dass sie ihre Wohnung nur ab und zu nutzen, als Sommer- oder Winterresidenz oder als Feriendomizil.
Wie werden Wohnungen in Hochhäusern verkauft? An einzelne Kunden? Oder im Paket, an eine Versicherungsgesellschaft etwa, die ihre Wohnungen dann vermietet?
Es gibt beide Arten von Investoren: Einerseits Einzelinvestoren, die eine Wohnung kaufen, um sie selbst zu bewohnen oder zu vermieten. Andererseits institutionelle Investoren – Pensionsfonds, Versicherungen –, die aus dem Motiv der Kapitalanlage als Bestandhalter agieren; sie erwirtschaften mit der Anlage in Wohnen eine langfristige, nicht besonders hohe Rendite. Für Fonds aus dem Ausland, die opportunistisch handeln – also Wohnungsbestände aufkaufen, um sie dann einzeln gewinnbringend weiterzuverkaufen –, für die sind solche Projekte nichts.
Im Grunde läuft die Entwicklung eines Wohnhochhausprojekts also nicht anders ab, als bei einem anderen gewerblichen Wohnprojekt.
Es ist eine andere Größe, eine andere Klientel – aber vom Prinzip her funktioniert das wie eine andere Projektentwicklung auch. Auch hier wird es z.B. Vorbedingungen und Auflagen der Finanzierer geben, wie viele Wohnungen schon verkauft oder vermietet sein müssen, damit das Projekt überhaupt Fremdkapital-finanziert wird.
Die Baukosten bei einem Wohnhochhaus liegen zehn bis fünfzehn Prozent über einem vergleichbaren Projekt unterhalb der Hochhausgrenze. Woraus ergeben sich die Mehrkosten?
Je höher das Objekt wird, desto höher sind die Kosten für Brandschutz, Statik und für den Bau selbst, sie brauchen höhere Kräne, die teurer sind, die Logistik ist aufwendiger, sie müssen länger bestimmte Bereiche absperren etc.
Gemäß einer Wohnhochhaus-Studie von bulwiengesa aus dem letzten Jahr liegen die Investitionskosten für solche Projekte bei durchschnittlich 4600 Euro pro Quadratmeter (zwischen 3000 und 7300 Euro). Die Verkaufspreise betragen im Durchschnitt 6500 bis 10.000 Euro. Mit dem Produkt Wohnhochhaus kann man als Entwickler gerade eine Menge Geld verdienen.
Wenn Sie ein erfolgreiches Projekt durchführen, können sie als Projektentwickler immer viel Geld verdienen. Hier kommt nun gerade etwas dazu, das man in der Volkswirtschaft als „First-Mover Advantage“ bezeichnet. Also: Derjenige, der etwas als erster macht, hat noch einmal einen Extra-Profit. Aber auch ein Projektentwickler im Bereich Einzelhandel etwa kalkuliert vorab mit 10 bis 20 Prozent Rendite. Dass das tatsächlich eintritt, ist bei einem solch großen Projekt wie einem Wohnhochhaus natürlich mit einem sehr viel höheren Risiko verbunden. Und dieses Risiko lässt sich der Entwickler entsprechend vergüten.
Im europäischen Vergleich erscheinen selbst die hohen Preise, wie sie bei Wohnhochhäusern aufgerufen werden, moderat.
Derartige Vergleiche – zwischen London, Paris und Frankfurt am Main etwa – die kann man vergessen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind sie nicht statthaft. Man kann natürlich sagen: In London bekomme ich für 400.000 Euro eine Garage, hierzulande bekomme ich eine Wohnung dafür. Aber das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Bedingungen auf den einzelnen Märkten sind ganz andere. Man kann höchstens Projekte, auf eine Region, eine Stadt bezogen, einander gegenüberstellen. Dort kann man Vergleiche anstellen, wie hoch der Preis in Toplagen ist und was in Wohnhochhäusern bezahlt wird.
In vielen Städten müssen Entwickler inzwischen einen gewissen Anteil bezahlbarer Wohnungen in ihre Projekte integrieren. Wie klappt die Mischung von Luxuswohnungen und Sozialwohnungen in einem Hochhaus?
Ob eine Stadt wirklich zur Auflage macht, dass die Sozialwohnungen im selben Haus sein müssen, und das beim Projektentwickler durchsetzt – das halte ich für eher unwahrscheinlich. Auch eine Stadt weiß, dass sie in einer Toplage schwerlich Sozialwohnungen wird schaffen können. Wenn ich versuche, derart unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen, besteht nicht zuletzt die Gefahr, dass das Objekt nicht verkauft wird. Sowohl der Kapitalgeber, die Bank, als auch der Projektentwickler werden da Schwierigkeiten sehen.
Aber natürlich gibt es im Hochhaus große Abstufungen bei den Preisen. Dass sich der Preis, der fürs Penthouse bezahlt wird, nicht auf alle Etagen runterbrechen lässt, ist bekannt. Nur: Das schreibt man nicht in der Zeitung über ein solches Projekt. Da werden die 10.000 oder 12.000 Euro pro Quadratmeter angeführt, die das Penthouse kostet, um zu zeigen, wie hochwertig das Haus ist. Die Preise in den unteren Geschossen, vielleicht auf der schlechteren Seite, sind natürlich viel niedriger.
Allein über die Höhenstaffelung ergibt sich also – jedenfalls in gewissem Umfang – so etwas wie eine soziale Mischung?
Wenn Sie so wollen, ja. Aber das geht keinesfalls bis auf das Niveau von Sozialwohnungen. Außer vielleicht, wenn die Stadt massiv subventionieren würde, weil sie das unbedingt möchte.
Um auf einen anderen Aspekt von Mischung zu kommen, auf Nutzungsmischung: Es gibt aktuelle Büro-Wohn-Hochhausprojekte. Eigentlich waren Entwickler und Investoren immer zurückhaltend, wenn es um Mischung ging.
Wenn die Möglichkeit besteht, ein Projekt auf mehrere Beine zu stellen, ist das für den Investor eine Risikoabsicherung. Ich hatte ja vorhin erwähnt, es gibt ebenso wie im Bereich Wohnen auch eine Knappheit im Bereich Büro, und wenn ein solches Projekt an einem Standort entsteht, an dem beides machbar ist: Wieso nicht?
Natürlich bleibt das heikel, weil ich verschiedene Ansprüche unter einen Hut bringen muss. Eine Büronutzung muss klar getrennt sein von der Wohnungsnutzung, es braucht z.B. unterschiedliche Erschließungen, damit die Leute, die in den Wohnungen oben im Turm viel Geld bezahlt haben, nicht im Fahrstuhlstau der darunterliegenden Büronutzer stehen. Und dadurch entstehen zusätzliche Kosten.
Das Wohnhochhaus scheint, wenn ich das alles zusammennehme, keinen Ausweg aus der aktuellen Wohnungsknappheit zu bieten.
Die Wohnhochhausprojekte, die zurzeit allesamt in Toplagen geplant oder gebaut werden – die sind ein kleiner Teilbereich, für eine bestimmte Klientel. Um die Wohnungsknappheit zu verringern? Ein wenig, ja – aber keinesfalls für die breite Masse. Wenn ich für breitere Käuferschichten bauen will, muss ich billiger bauen, und billiger bauen kann ich am Stadtrand – und natürlich kann man am Stadtrand auch Hochhäuser bauen. Doch genau dort besteht die Gefahr, dass erneut die problematischen Wohnsiedlungen entstehen, wie wir sie vor Jahrzehnten schon einmal gebaut haben.
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