Wettbewerb unter Freunden
Schelling Architektur- und Theoriepreis 2014
Text: von Mende, Julia, Berlin
Wettbewerb unter Freunden
Schelling Architektur- und Theoriepreis 2014
Text: von Mende, Julia, Berlin
Am 12. November 2014 hat Diébédo Francis Kéré (Berlin) den Schelling Architekturpreis erhalten. Nominiert für die im Zweijahresrhythmus vergebene Auszeichnung der Karlsruher Schelling-Architekturstiftung waren außerdem Carla Juaçaba (Rio de Janeiro) und Anna Heringer (Laufen). Der Preis für Architekturtheorie ging an den finnischen Architekten und Theoretiker Juhani Pallasmaa für die Entwicklung seines phänomenologischen Denkansatzes.
„Zum ersten Mal wird meine Arbeit in Deutschland ernst genommen“, kommentierte Kéré die Auszeichnung. Der aus Burkina Faso stammende Architekt kam mit einem Stipendium der Carl Duisberg Gesellschaft nach Deutschland und studierte in Berlin Architektur. Noch als Student gründete er mit Hilfe von Freunden den Verein „Schulbausteine für Gando e.V.“, mit dem Ziel, die Lebensbedingungen der Menschen in seiner Heimat zu verbessern und begann mit dem Bau einer Schule für sein Heimatdorf. Seine Arbeit ist gekennzeichnet durch den Einsatz lokaler Materialien und Techniken sowie den unkonventionellen Transfer in Europa erworbener Kenntnisse auf lokale Bautraditionen, indem er zum Beispiel den Lehmbau durch Zusatz von Zement langlebiger macht. Unter seiner Anleitung versetzt er die Menschen vor Ort in die Lage, ihre Lebensbedingungen selbst zu verbessern. Kéré ist heute ein international gefragter Architekt mit Lehrerfahrung an der Harvard University und in Mendrisio. Neben Schlingensiefs Operndorf in Afrika, arbeitet er an Projekten in Asien und Europa, dazu gehört aktuell die Konversion eines ehemaligen US-Militärgeländes in Mannheim.
Entsprechend dem übergeordneten Thema des diesjährigen Preises „Indigenous Ingenuity – direkt vor Ort“ zeichnen sich auch die Arbeiten der beiden weiteren Nominierten durch die Auseinandersetzung mit lokalen Bedingungen aus. In ihren ersten Wohnhausprojekten stelle sich Carla Juaçaba Fragen nach der Verhältnismäßigkeit des Materialeinsatzes und erreicht gerade dadurch eine besondere Ästhetik. Errichtet wurden die Bauten mit Handwerkern vor Ort, Pläne wurden erst im Nachhinein zu Publikationszwecken gezeichnet. Als sie beauftragt wurde, ein nachhaltiges Gebäude für Veranstaltungen parallel zur UN Rio +20 Konferenz 2012 zu entwerfen, waren es die am Bauplatz Forte de Copacabana vorgefundenen Eventzelte, die sie inspirierten, den 170 m langen und 20 m hohen "Humanidade 2012 Pavillon" aus wiederverwendbaren Gerüststangen zu errichten.
Für Anna Heringer ist nachhaltiges Bauen vor Ort nicht nur eine Frage der Materialien, sie weitet den Begriff auch auf die lokale Ökonomie aus. Beim Bau einer Schule in Bangladesch leistete sie bereits mit ihrer Diplomarbeit einen Beitrag zur Architektur und zur Selbsthilfe und arbeitete mit den Menschen vor Ort. Dafür erhielt sie, ebenso wie Francis Kéré für sein Schulprojekt, den Aga-Khan-Preis für Architektur.
Anna Heringer bezeichnete im Vorfeld die Konstellation der Nominierten als „Wettbewerb unter Freunden“. Kéré antwortete darauf am Abend der Preisverleihung mit der großzügigen Geste, das Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro mit seinen Mitbewerbern zu teilen. Die Stiftung rundete daraufhin die Preissumme spontan auf 30.000 Euro auf.
Die Vergleichbarkeit der Arbeiten aller Nominierten war vom Wahlkuratorium beabsichtigt, weshalb man erstmals ein übergeordnetes Thema festgelegt hatte. Dieses Vorgehen erleichtert aber nicht unbedingt die Wahl des Preisträgers. Das führte die inhaltliche Nähe von Kérés und Heringers vom Bottom-up-Ansatz geprägten Arbeiten gegenüber dem noch nicht in diesem Maße entfalteten Profil von Carla Juaçaba vor Augen. Für Kéré entschied man sich letztendlich aufgrund der Übertragbarkeit seiner ganzheitlichen Herangehensweise auch auf andere Orte. Juhani Pallasmaa, der als Theoriepreisträger stimmberechtigtes Mitglied des Wahlkuratoriums am Abend der Entscheidung war, betonte außerdem, dass Kérés Ansatz Grundlegendes über Architektur vermittele, was hierzulande möglicherweise bereits verloren gegangen sei.
Angesichts der Reihe von Schellingpreisträgern wie Wang Shu und Lu Wenyu (2010), Al Borde (2012) und Kenneth Frampton (2012), Begründer des „Critical Regionalism“ erscheint das Thema „Indigenous Ingenuity – direkt vor Ort“ als Fortführung der bisherigen Preisträgerwahl und Konkretisierung dessen, was heute unter dem Stiftungsziel der Förderung „zukunftsweisender Entwurfsideen und Projekte“ verstanden werden kann.
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