Die Haut des Architekten
Juhani Pallasmaa hat den Schelling Preis erhalten, die wichtigste Auszeichnung im Bereich Architekturtheorie in Deutschland. In Karlsruhe gab es Gelegenheit, mit dem finnischen Preisträger zu sprechen: über die Vernachlässigung einer Architektur der Sinne, über seine Doppelrolle als Schriftsteller und Architekt – und über die Frage, warum er das geplante Guggenheim-Museum in Helsinki für einen Fehlgriff hält und er die amerikanischen Museumsmacher vor die Tür setzen würde
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Die Haut des Architekten
Juhani Pallasmaa hat den Schelling Preis erhalten, die wichtigste Auszeichnung im Bereich Architekturtheorie in Deutschland. In Karlsruhe gab es Gelegenheit, mit dem finnischen Preisträger zu sprechen: über die Vernachlässigung einer Architektur der Sinne, über seine Doppelrolle als Schriftsteller und Architekt – und über die Frage, warum er das geplante Guggenheim-Museum in Helsinki für einen Fehlgriff hält und er die amerikanischen Museumsmacher vor die Tür setzen würde
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Wir sind verabredet im Salon Luise. Juhani Pallasmaa wartet bereits im fensterlosen kleinen Veranstaltungsraum des Hotels Renaissance, das einem Verhörzimmer in einem Sonntagabend-Tatort gleichen würde, wären da nicht die falsche Holzvertäfelung, der dicke Teppichboden und die beschirmten Wandleuchten an den Seiten. Zwei Flaschen Wasser stehen bereit. Ich schalte das Mikro ein.
Geben Sie öfters Interviews in solch einer Umgebung?
Juhani Pallasmaa: Nicht wirklich. Dieser Raum hier ist keine Architektur, er ist aus einem Film.
Eines Ihrer Bücher, das an vielen Architekturschulen weltweit bereits als Klassiker gelesen wird, handelt von der Vernachlässigung der Sinne in der Architektur der Gegenwart: „The Eyes of the Skin“.
Ja, ich glaube, es wurde in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt.
Sie haben das Buch 1996 veröffentlicht und 2005 überarbeitet. Diese Zeitspanne ist interessant, da Sie das Buch geschrieben haben, bevor die digitale Kameratechnik noch in den kleinsten Winkel des städtischen und häuslichen Lebens hineinleuchtete. Sie sprechen von Okularzentrik, von der Dominanz des Visuellen über die anderen Sinne. Was bedeutet der Begriff?
Nun, es ist eine historische Tatsache, dass das Auge seit den Zeiten der Römer als der wichtigste Sinn angesehen wurde. Seine Wahrnehmung wurde mit der Wahrheit assoziiert und war eine Metapher für das Denken und das Verstehen. Es hat also eine lange Geschichte. Im wahren Leben waren, bis zur Industriellen Revolution, andere Sinne wesentlich wichtiger gewesen. Historische Dokumente zeigen, dass die Menschen viel eher in einer von Akustik und Geruchssinn geprägten Welt gelebt haben. Die Okularzentrik ist zu einem Problem geworden, weil die anderen Sinne unterdrückt wurden. Das gilt ganz besonders für die Architektur.
Die Diktatur des Auges hat in den letzten Jahren noch zugenommen.
In jedem Fall! Unser Blick auf die Architektur und die Stadt wird nicht nur immer stärker formalisiert, er wird damit auch vereinheitlicht und kommerzialisierbar gemacht. Aufgabe der Architekturphilosophie ist es, die technischen Beschränkungen aufzuzeigen, denen unsere Wahrnehmung von der Umwelt unterworfen ist. In den letzten 20 Jahren ist aber das Interesse an den anderen vier Sinnen wieder gestiegen. Nicht nur unter Architekten, auch in anderen Bereichen der Wissenschaft, die sich mit der multiplen Sinneswahrnehmung beschäftigen.
Was genau passiert mit dem Blick im Zuge seiner Verwertung durch die neuen Technologien?
Der Computer hat die Dominanz des Sehens beschleunigt. Damit verlassen wir aber die realen Bedingungen des Sehens. Mich interessiert gerade das taktile Element des Blicks. Weil wir mit unseren Augen etwas berühren und uns etwas vorstellen. Diese gleichzeitig versteckte wie subtile Berührung spielt bei den visuellen Technologien kaum eine Rolle. Sie ist aber entscheidend für die Produktion von Architektur.
Was sind die Folgen für die Architektur?
Angesichts der ikonischen Gebäude, die weltweit entstehen, mag das überraschend klingen. Aber all die großen Gebäude, die heute computergeneriert entworfen werden, sehen für mich gleich aus. Sie sind sich ähnlich, weil sie als Folge von mathematischen Berechnungen aus dem virtuellen Raum heraus realisiert werden. Architektur, die aus der menschlichen Vorstellungskraft entsteht, ist aber auf den Kontext bezogen und einzigartig.
Schwindet also die architektonische Qualität?
Das ist meine Überzeugung. In meinem Buch „The Thinking Hand“ mache ich klar, das Architekten auch heute nicht aufhören sollten, zu zeichnen und mit der Hand und dem eigenen Körper zu arbeiten.
Nach „The Eyes of the Skin“ haben Sie sich in weiteren Büchern mit den anderen Sinnen des Körpers beschäftigt. Ihr aktuelles Thema?
Das neue Buch, das ich gemeinsam mit der Amerikanerin Sarah Robinson geschrieben habe, handelt von der Neurologie. Wir beschäftigten uns mit dem Nutzen, der sich aus den Erkenntnissen der Neurologie für die Architektur ziehen lässt. Gleichzeitig ist das Buch eine Warnung, dass diese Wissenschaft das Potenzial hat, eine neue Technokratie zu werden. Interieur Designer sind den Architekten weit voraus, wenn es darum geht, die Psyche und die Sinne des Menschen im Sinne der Atmosphären, die uns umgeben, zu manipulieren.
Zum Beispiel beim Design eines Einkaufszentrums, dem genaue Untersuchungen zugrunde liegen, wie sich die Kunden durch diese Räume bewegen?
Die Werbung ist zum großen Teil auf solche Forschungen gebaut.Geräusche, Gerüche, die Eye-Catchers der Innenarchitektur – all das ist geplant. Ich halte aber daran fest, dass es die Aufgabe der Architektur ist, die Individuen zu befreien, zu emanzipieren und allen die Möglichkeit zu geben, die Realität um uns herum wahrzunehmen, ohne die Konditionierungen, denen wir ausgesetzt sind. Das Drama liegt darin, dass viele Architekten solchen Formen atmosphärischen Entwerfens viel zu wenig Aufmerksamkeit widmen, ja sie im Grunde nicht einmal verstehen wollen. Damit fallen wir hinter das Know-How von Restaurant- und Ladendesignern immer weiter zurück.
Juhani Pallasmaa, Sie selbst könnte man als einen unkonventionellen Generalisten bezeichnen: Sie haben als Architekt, als Designer, als Kurator, als Museumsdirektor und als Schriftsteller gearbeitet. Sie hatten bis vor kurzem ein eigenes Büro und haben als ausführender Architekt Steven Holls Kiasma-Museum in Helsinki realisiert (Bauwelt 10.1998). In seiner dramatischen Wegeführung ist gerade auch dieses Museum ein Beispiel dafür, wie Architektur die Sinne des Besuchers stimulieren kann. Kamen Ihre Ideen in der Zusammenarbeit mit Steven Holl zum Tragen?
Ich muss aufrichtig sagen, dass ich mit dem Entwurf des Museums nichts zu tun habe. Das ist Stevens Werk. Ich habe mir damals einfach vorgenommen, dass wir mit unserem Büro Stevens Ideen ausführen würden, Punkt für Punkt. Ich habe aber die Außenanlage des Museums entworfen und bin allein verantwortlich für die Platzierung der Statue von Feldmarschall Carl Gustav Emil Mannerheim vor dem Museum.
Sie sprachen bereits davon, wie wichtig das taktile Empfinden für die Architektur ist. Können Sie etwas über die Materialien sagen, die in diesem Museum verwendet wurden?
Diese Entscheidungen hat alle Steven getroffen. Er wollte – und ich fand das sehr überzeugend – einen „gröberen Ort“ entwickeln, als wir es sonst in Museen gewohnt sind. Vielen neue Museen haben das Problem, dass sie zu steril sind und zu perfekt. Die Kunstwerke darin sind jedoch nicht perfekt und eher wie menschliche Wesen. Sie verlangen eigentlich nach einem Echo aus ihrer Umgebung. Es ist bezeichnend, dass die besten Museen ehemalige Industriebauten sind und nicht neue Gebäude.
Wenn man die große Rampe durch das Museum in Helsinki nach oben läuft, hat man das Gefühl, dass einem der Raum entgleitet ...
Für mich ist das Erfahren eines Raumes wie eine Umarmung. Gute Räume werden mit einer erotischen und sinnlichen Umarmung wahrgenommen. In solchen Momenten kommt das Taktile der Architektur zum Tragen.
Wieso haben Sie eigentlich Ihr Architekturbüro geschlossen?
Meine Entscheidung fiel während der Eröffnung des Kulturzentrums Kurundi mit einer Konzerthalle für das lappländische Kammerorchester. Die Kritik zu diesem letzten Bau von mir fielen so positiv aus, dass ich das Gefühl hatte: Jetzt ist der richtige Punkt zum Aufhören! Nicht erst dann, wenn meine Entwürfe langsam schlechter werden.
Was das Schreiben betrifft, haben Sie diesen Punkt nicht erreicht?
Nein. Ich wollte ja auch mehr Zeit dafür haben. Beim Schreiben habe ich eigentlich keinen Plan, wie ich weitermache. Es gibt am Anfang eine Idee, und dann führt mich ein Projekt zur nächsten Idee. Schreiben ist für mich eine Erkundung, wie etwa beim Skizzieren. Man nimmt seinen Stift und hat keine Ahnung, was passiert. Man beginnt einfach zu arbeiten. Ich schreibe zum Beispiel nie ein Exposé für meine Bücher, außer der Verleger möchte eines vorgelegt bekommen. Das nervt mich dann immer. Wie soll ich dieses Exposé entwerfen, wenn ich noch nicht genau weiß, wohin die Reise geht?
Ist dieses Nicht-Wissen-Wohin beim Schreiben nicht auch nervend?
Der Prozess selbst ist wichtig. Ich schreibe jedes meiner Werke etwa zehn Mal um. Die ersten fünf Mal fühlt es sich an, als würde ich selber schreiben. Danach schreibt der Text sich selbst. Heute morgen im Hotel habe ich bereits so gearbeitet. Das Spannende ist für mich, dass im Text Ideen existieren, auf die ich selbst niemals gekommen wäre.
Letzter Punkt: Sie sind weltweit ein begehrter Juror in vielen Wettbewerben, unter anderem beim Pritzker-Preis. Es gibt derzeit einen Museums-Wettbewerb in Ihrem Heimatland, der Aufsehen erregt. Ich kann Ihnen die Frage über das neue Guggenheim-Museum, eine Art Bilbao II, das im Hafen von Helsinki gebaut werden soll, nicht ersparen. Wie stehen Sie zu dem Wettbewerb?
Ich war nicht Teil dieser Jury, und ich bin absolut gegen dieses Projekt. Das Ganze ist grausames Business und hat kaum etwas zu tun mit der Liebe zur Kunst. Es ist das Handelsdenken von Guggenheim, welches dieses Projekt antreibt. Würden die Guggenheim-Verantwortlichen das Museum selbst finanzieren, wären sie durchaus willkommen. Aber sie wollen, dass ihr Museum von finnischen Steuergeldern bezahlt wird. Das kann ich nicht akzeptieren. Es gibt viele finnische Architekten, die so denken wie ich. Die Kunstszene wird ja mehr und mehr zu einem einzigen, globalen Betrieb. Wo immer man auf der Welt in ein Kunstmuseum geht, man stößt auf dieselben Künstler und dieselben Arbeiten. Wir brauchen aber nicht noch mehr Druck in der Kunstszene, sondern wir müssen die Künstler von diesen Käfigen befreien. Für solche offenen Strukturen sollten Museen gebaut werden.
Ohne politischen Rückhalt hätte es den Wettbewerb nicht gegeben ...
Es überrascht mich schon, dass die Politiker das aufgeblasene Businessprojekt nicht erkennen, das diesem Museumskonzept zugrunde liegt.
Wird es zur Umsetzung kommen?
Daran glaube ich nicht. Der finnischen Wirtschaft geht es aktuell nicht besonders gut, und die Stadt Helsinki hat gerade eine neue Zentralbibliothek gebaut. Die verfügbaren Gelder sind knapp geworden. Ich bin zurzeit in die Jury des neuen Moderne-Museums in Sydney eingebunden und betrachte den Prozess aus der Ferne. Die Amerikaner waren jedenfalls bei der Vorstellung ihres Konzepts in Helsinki etwas undiplomatisch und sagten, dass das neue Guggenheim alle Probleme der finnischen Kultur lösen würde. Ich denke, dass sie das selbst nicht glauben. Ich glaube es jedenfalls nicht! Aber selbst, wenn sie das wirklich denken: sie sollten es so nicht äußern.
Transkription des Interviews aus dem Englischen: Lillith Kreiß
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