Die heilenden Sieben
Auch weil die Menschen immer älter werden, steht der Krankenhausbau vor großen Aufgaben. Die aktuelle Ausstellung im Architekturmuseum der TU München präsentiert humane Alternativen zur Gesundheitsmaschine.
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Die heilenden Sieben
Auch weil die Menschen immer älter werden, steht der Krankenhausbau vor großen Aufgaben. Die aktuelle Ausstellung im Architekturmuseum der TU München präsentiert humane Alternativen zur Gesundheitsmaschine.
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Wer einen Menschen durch Krankenhäuser und Reha-Zentren begleitet hat, der kennt das oftmals typische Ambiente: verwinkelte Gänge, öde Wartebereiche, fahles Neonlicht, muffige Gerüche. Im Vorfeld der Münchner Ausstellung hat die Architekturkritikerin Laura Weißmüller aus eigenem Erleben als Patientin einen berührenden Text im Magazin der Süddeutschen Zeitung (Heft 27. 2023) veröffentlicht: „Kranke Häuser“ nennt sie die Mehrzahl der Gebäude. Dabei gab es auch in der Architektur der Moderne schon früh beispielhafte Lösungen für ein am Menschen ausgerichtetes Planen und Bauen. So orientierte sich etwa Alvar Aalto bei seinem 1933 vollendeten Sanatorium im finnischen Paimio am „liegenden Patienten“ und seinen Bedürfnissen. Sanatorien kommen in der Ausstellung bewusst nicht vor – sie zeigt Krankenhäuser unterschiedlicher Größe sowie Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen.
Im 20. Jahrhundert wurde der Bautypus Krankenhaus immer stärker von den Kriterien Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Rationalisierung geprägt. Ein prägnantes Beispiel ist das 1978 fer-tig gestellte Universitätsklinikum Großhadern in München mit seinem 205 Meter langen Bettenhochhaus. Solche hoch technisierten Anlagen haben durchaus schädliche Nebenwirkungen: Der menschliche Maßstab geht verloren, die psychosozialen Folgen sowohl für die Patienten als auch für die Pflegekräfte sind nicht zu unterschätzen. Neue Ansätze für eine „Healing Architecture“ bildeten sich in den 1980er Jahren zunächst in Nordamerika. Inzwischen wird die Reform des Krankenhausbaus auch in Europa intensiv diskutiert. Hier setzt die Ausstellung an, die auf einem zweijährigen Forschungsprojekt an der TU München unter Leitung der Gastprofessorin Tanja C. Vollmer beruht. Zusammen mit Gemma Koppen hat die Architekturpsychologin, zugleich Mitkuratorin der Schau, 2022
die „heilenden Sieben“ für eine neue Krankenhausarchitektur definiert. Dazu gehören Orientierung, Geruchskulisse, Geräuschkulisse, Privatheit und Rückzugsraum, Aussicht und Weitsicht sowie menschliches Maß.
die „heilenden Sieben“ für eine neue Krankenhausarchitektur definiert. Dazu gehören Orientierung, Geruchskulisse, Geräuschkulisse, Privatheit und Rückzugsraum, Aussicht und Weitsicht sowie menschliches Maß.
Die Ausstellung, die sich dem Thema erstmals auf wissenschaftlicher Grundlage widmet, hat den Anspruch, anhand einer internationalen Auswahl herausragender Beispiele „das produktive Wechselspiel von medizinischer, technischer und ökonomischer Anforderung und architektonischer Baukunst“ nachzuzeichnen. Die erste Abteilung zeigt modellhafte Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen, darunter die Spezialklinik REHAB in Basel von Herzog & de Meuron (2002) und das Reha-Zentrum in Arnhem von Koen van Velsen (2010). Beide Anlagen zeichnen sich durch eine maßvolle Höhe, durch eine Organisation als „kleine Stadt“ mit Wegen, Plätzen und Gemeinschaftsräumen sowie großzügige Öffnungen zur grünen Umgebung aus. In der zweiten Abteilung werden dreizehn Projekte anhand der „heilenden Sieben“ analysiert. Für die Variable „Orientierung“ wurde unter anderem das kleine Friendship Hospital Satkhira in Bangladesh von Kashef Chowdhury (2018) ausgewählt. Der niedrige, lebhaft gegliederte Sichtziegelbau wurde 2021 auch deshalb mit dem RIBA International Prize ausgezeichnet, weil ein schmaler Kanal den ambulanten vom stationären Bereich trennt.
Unter dem Kriterium „Menschliches Maß“ ist eines von zwei deutschen Beispielen zu sehen, das Kreiskrankenhaus Agatharied in Oberbayern von Nickl & Partner Architekten aus dem Jahr 1998, das 2013 erweitert wurde. Das Architekturbüro ist auf dieses Gebiet spezialisiert. Im Rückblick sagt Christine Nickl-Weller, das Gebäude sei als „Anti-Krankenhaus“ betrachtet und anfangs als „Haus der langen Wege“ kritisiert worden. Inzwischen ist es ein Leuchtturmprojekt für heilende Architektur, auch weil versucht wurde, „jeden Raum ans Licht zu bekommen“.
Alle Projekte werden im Katalog eingehend präsentiert. Das Buch empfiehlt sich ohnehin zur Vertiefung, weil es neben mehreren Fachaufsätzen auch drei Interviews enthält, darunter eines mit Reinhold Messner.
Von ihrer Gestaltung her ist die Ausstellung eine etwas andere Architekturschau: farbenfroh mit kulissenartigen Wänden und breit fließenden Flächen, die Dokumentation der Projek-te weniger durch Pläne als durch atmosphärisch einprägsame Fotografien und Modelle. „Narra-tive Isometrien“ richten sich besonders an das Laienpublikum – und tatsächlich sind 95 Prozent der Besucher und Besucherinnen keine Fachleute, wie die Kuratorin Lisa Luksch betont. Begleitet wird die Schau von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm mit Vorträgen und Debatten. Bei einem Podium sagte die Frankfurter Architektin Petra Wörner, dass beim Abgleich von Funktion, Technik und Gestalt auch die Schönheit eines Krankenhauses anzustreben sei – weg von der „Gesundheitsmaschine“. Erfreulich ist, dass die innovative Ausstellung wandern wird, zunächst von Mai bis September 2024 an das Vorarlberger Architekturinstitut in Dornbirn.
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