Ein Mann, zwei Türme
Álvaro Siza im Aedes Architekturforum Berlin
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Ein Mann, zwei Türme
Álvaro Siza im Aedes Architekturforum Berlin
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Kaum einem Architekten hat das Aedes Architecture Forum so viele Ausstellungen gewidmet wie dem Portugiesen Álvaro Siza. Bereits vor 38 Jahren – zur Zeit der Internationalen Bauausstellung – konnte er, innerhalb seiner ersten Aedes-Ausstellung „Projekte für Berlin 1978–1984. Ein Skizzenbuch“ einen seiner ersten Turm-Entwürfe präsentieren: ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus im Rahmen eines Wettbewerbs für das Prinz-Albrecht-Palais. Nun schließt sich gewissermaßen ein Kreis, denn anlässlich seines 90. Geburtstages am 25. Juni präsentiert Aedes nun erneut zwei – kürzlich fertiggestellte – Turmbauten aus der Hand des mittlerweile hochdekorierten Architekten.
Türme, von denen er ab 1979 viele gezeichnet, aber nur wenige gebaut hat, gehören zu den von Siza am meisten geschätzten Entwurfsaufgaben. Dass es ihm in der Spätphase seiner Karriere gelang, gleich zwei von ihnen zu realisieren, darf als Glücksfall verbucht werden. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, denn bei dem einen handelt es sich um ein luxuriöses Apartmenthaus nahe dem Hudson River in New York City (2014–22), bei dem anderen um einen Beobachtungs- und Aussichtsturm auf dem Gipfel einer Bergkette im portugiesischen Proença-a-Nova (2018–21). Sie haben dennoch erstaunlich viel gemeinsam: „Beide Türme sind strategisch am Rande platziert, thronen über dem Eingang und öffnen ihre Ecken, um ganze Panoramen nach innen zu verlagern, eingerahmt von Glas in Manhattan oder der Schwerkraft trotzend in Proença-a-Nova“, erläutert António Choupina, der Kurator der Ausstellung.
Im white cube von Aedes kommen beide Türme gut zur Geltung: großformatige, luftig gehängte Fotos, mehrere Arbeitsmodelle und zahlreiche der berühmten Handskizzen Sizas – auch von früheren Turmprojekten, etwa dem Water Tower in Aveiro (1988) – lassen die Besucher die Genese der beiden Bauwerke nachvollziehen. Etwas irritierend ist allerdings, dass ihnen ständig Álvaro Siza (als lebensgroße Pappfigur) über die Schulter schaut; aber in Zeiten, in denen Avatare sogar Konzerte aufführen, wird man sich vielleicht auch daran gewöhnen müssen.
Der nur 16 Meter hohe Turm auf einem 616 Meter messenden Quarzitkamm der Serra das Talhadas dient einerseits der Beobachtung zur Früherkennung von Waldbränden und andererseits der weiten Aussicht von Wanderern in den umliegenden UNESCO-Geopark Naturtejo. Anstelle eines früheren Turms errichtet, rekonstruierte Siza dessen Betonfundament, um darüber eine reine Stahlkonstruktion mit vier unterschiedlich weit auskragenden, jeweils quadratischen Aussichtsplattformen und einem Flachdach zu errichten. Anklänge an Pagoden, aber auch an Frank Lloyd Wrights Johnson Wax Research Tower in Racine, Wisconsin, sind dabei unverkennbar.
Von ganz anderer Erscheinung ist dagegen Sizas erstes Bauwerk in den USA, dem er selbst, wohl aufgrund seiner Schlankheit und seines speziellen „Kopfes“, den Spitznamen „Giraffe“ gegeben hat. Der Tower 611W56 erscheint mit seinen gerade mal 137 Metern Höhe geradezu bescheiden im Vergleich zu manch anderem New Yorker Skyscraper – für Siza kein Problem, reichte es ihm doch, „den Himmel zu streicheln, anstatt ihn zu zerkratzen“. Das mit Kalkstein („Perla Bianca“) verkleidete und durch ein regelmäßiges Raster großformatiger Fenster gegliederte Bauwerk fügt sich gerade aufgrund seiner gestalterischen Klarheit gut ein in den Jahrmarkt der architektonischen Eitelkeiten, der inzwischen auch das Stadtviertel Hell’s Kitchen prägt. Gerne würden die Besucher mehr auch über die innenräumlichen Qualitäten der auf 34 Geschossen angeordneten Wohnungen erfahren. Leider präsentiert die Ausstellung lediglich einen Überblick über die Grundrisse und eine einzige Innenaufnahme, bei der es sich um den Übereck-Ausblick aus einem Bad mit zwei Panoramafenstern handelt. Eine fotografische Impression von den eigentlichen Wohnbereichen fehlt dagegen.
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