Und kein Ende in Sicht
Sich selbst fressende Schlangen. Spiegelkabinette. Eine Kamera, die ein Tonband filmt, das die Geräusche der Kamera aufnimmt, die das Tonband filmt. Alles über den Loop im Kunstmuseum Wolfsburg
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Und kein Ende in Sicht
Sich selbst fressende Schlangen. Spiegelkabinette. Eine Kamera, die ein Tonband filmt, das die Geräusche der Kamera aufnimmt, die das Tonband filmt. Alles über den Loop im Kunstmuseum Wolfsburg
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Der Loop ist allgegenwärtig – sei es in der Musik oder der Videokunst, sei es in Hotellobbys und Wohnzimmern, wo auf Monitoren Kaminfeuer endlos flackern oder Fische im Aquarium umherflirren. Zugleich ist der geschlossene Kreislauf, die Endlosschleife, spätestens seit der Antike ein wesentlicher Topos der Kulturgeschichte, Alchemie und Philosophie. So begründet das Kunstmuseum Wolfsburg seine aktuelle Ausstellung, die als gewohnt umfangreiches Themenpanorama dem Phänomen mit 14 Kapiteln in 26 räumlichen Setzungen sowie unendlicher Materialfülle nachgeht. Als Novum spielt ein Audioguide synchron zum individuellen Rundgang Erläuterungen, Text- und Musikpassagen ganz komfortabel an passender Stelle automatisch ein.
Zu Beginn wird es grundlegend: Archäologie und Geistesgeschichte widmen sich ersten Auftrittsformen der Endlosschleife, dem Ouroboros. Dargestellt durch die Schlange oder ein anderes Reptil, vollzieht sich der Zirkelschluss, indem das Tier sein eigenes Körperende ins Maul fasst, sich zum Kreis formt und so die vorstellbare Welt umschließt. Dieses Symbol ist die Ikone des Loop. Sie findet sich im Totenreich des Tutanchamun, in mittelalterlichen Schriften zur Alchemie, aber auch auf der Grabplatte des Illuminaten Johann Gottfried Herder im Weimar des 19. Jahrhunderts.
Bereits ab dem nachfolgenden Raum wird es unterhaltsamer, denn etwa auch der Eros steckt in der Endlosschleife. Der erste, noch zaghafte Kuss der Kinogeschichte war ein Loop von ganzen 18 Sekunden Länge. Technikpionier Thomas Alva Edison führte ihn 1896 zusammen mit anderen Miniloops öffentlich auf. 1963/64 dauert der Endloskuss aus der Produktion von Andy Warhol dann 54 Minuten; das Duo Marina Abramović/Ulay wiederum variiert 1977 das Thema. Bei verschlossener Nase ist das wechselseitige Einatmen der ausgestoßenen Atemluft des Partners zur Idee erhoben. Womit unmittelbar der Ouroboros zitiert wird, dessen Nahrung ja, eher unappetitlich, aus dem eigenen Körper oder dessen Ausscheidungen bestanden haben muss.
Dass sich nicht alle Kulturprodukte gleichermaßen für repetitive Strukturen eignen, verwundert nicht. Paradebeispiele sind der Film – und sei es heutzutage als schier endlose Unterhaltungsserie im Fernsehen –, dessen dezidiert künstlerische Variante als „seamless loop“ aktueller musealer Präsentation, die Literatur und die (elektronische) Musik. Prototypisch sind selbstreferenzielle und absurde Versuchsanordnungen. Der Schweizer Markus Raetz, der sich auch mit endlosen Möbiusbändern als musikalische Notation beschäftigt, ersann 1969 eine kleine Installation: Eine Kamera filmt einen Kassettenrecorder, dessen Mikrofon wiederum das Geräusch der laufenden Kamera aufnimmt. Der in Mexiko lebende Belgier Francis Alÿs vollzog einen weltweiten Loop: 1997 verbrachte er 35 Tage mit einer Reise vom mexikanischen Tijuana zum US-amerikanischen San Diego. Er umrundete den gesamten Pazifik, um so auf die zunehmende politische Restriktion des direkten Grenzübertritts zwischen Mexiko und den USA hinzuweisen.
Bei der materialisierten Nutzform der Architektur hapert es dann zwangsläufig. So ist der Aspekt „Architektur ohne Ende“ unter anderem mit dem 2008 fertiggestellten CCTV-Gebäude in Peking von OMA illustriert. Sicherlich: Dieses „signature building“ als mehrfach abgewinkelter, in sich zusammengeschlossener Rohrquerschnitt ist die tektonisch spektakuläre Wiederkehr des Ouroboros. Wäre aber nicht entscheidend, ob die Architektur in ihrem Innern die postulierte Geste als endloses Raumkontinuum dann auch bestätigt?
Die Ausstellung soll nicht nur „mentale Rotationen“ bieten, so Museumsdirektor Ralf Beil, sondern auch räumlich-körperliche Erfahrungen. Zu konkreten Selbstversuchen animieren mehrere begehbare Installationen. In dem kleinen Rundum-Spiegelkabinett der Japanerin Yayoi Kusama etwa kann man in die raum- und zeitlose Trance millionenfacher, fast kosmischer Lichtpunkte entgleiten. In der gleichfalls verspiegelten „Music Hall“ mag der mechanistische Elektronik-Ohrwurm von Donna Summer „I feel love“ zum kurzen Disco-Revival verführen. Gregor Schneider hingegen hat auf 500 Quadratmetern eine obsessive Folge aus 21 identischen Sanitärräumen hintereinandergeschaltet, die es in toto zu durchschreiten gilt. Der Stillstand in der Bewegung, symptomatisch für den Loop, hat durchaus pathologische Dimensionen. Zum Teufelskreis ist es nie weit.
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