Bauwelt

Wetterfühlige Soft-Robotik

An der ETH Zürich wird seit einigen Jahren am Prototyp einer Adaptiven Solarfassade gearbeitet. Sie kann je nach Sonnenstand ausgerichtet werden und ist nicht nur energiepositiv, sondern auch gestaltgebend.

Text: Stumm, Alexander, Berlin

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    An der ETH Zürich wird an einem Prototyp einer Adaptiven Solarfassade gearbeitet.
    Foto: Arno Schlüter/ETH Zürich

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    Nicht nur technisch anspruchsvoll: Nachhaltige Gebäudesysteme wie die Solarfassade ...
    Foto: Arno Schlüter

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    Foto: Arno Schlüter

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    ... müssen in Zukunft auch in architekto­nische und stadtplanerische Gestaltung integriert werden.
    Foto: Marco Carocari/ETH Zürich

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    ... müssen in Zukunft auch in architekto­nische und stadtplanerische Gestaltung integriert werden.

    Foto: Marco Carocari/ETH Zürich

Wetterfühlige Soft-Robotik

An der ETH Zürich wird seit einigen Jahren am Prototyp einer Adaptiven Solarfassade gearbeitet. Sie kann je nach Sonnenstand ausgerichtet werden und ist nicht nur energiepositiv, sondern auch gestaltgebend.

Text: Stumm, Alexander, Berlin

Das Raumklima wird maßgeblich von zwei Dingen bestimmt: der Außentemperatur und der Beschaffenheit der Gebäudehülle. Erstere schwankt im Laufe eines Tages und innerhalb eines Jahres mitunter drastisch. Um den Energiebedarf mit architektonischen Mitteln zu re­duzieren, kommen bei Fassaden üblicherweise Dämmstoffe und selektive Verglasung beziehungsweise Verschattungen durch Brise Soleil oder überkragende Bauelemente zum Einsatz. Diese statischen Maßnahmen lassen jedoch ein immenses Potenzial vollkommen ungenutzt – so die Ausgangsthese des Teams um Arno Schlüter, Professor für Architektur und Gebäudesys­teme (A/S) der ETH Zürich. Um auf sich ändernde Großwetterlagen reagieren zu können, müssten Fassaden dynamisch werden. Das sei nicht optional, sondern ein wichtiger Baustein für die Erreichung der avisierten Klimaziele der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Das Team von A/S forscht an einer Adaptiven Solarfassade (ASF), die als Prototyp unter realen Bedingungen am House of Natural Resources (HoNR) auf dem Campus der ETH am Hönggerberg im Einsatz ist. Ein zweiter Prototyp wurde als Teil der HiLo-Unit am Experimentalgebäude NEST in Dübendorf rea­lisiert. Beide Implementierungen werden engmaschig überwacht und liefern Daten für die wei­tere Forschung.
Energiepositiv, multifunktional und lernfähig
Die ASF besteht aus einer Vielzahl kleiner, beweglicher Photovoltaik-Module. Die CIGS-Photovoltaikzellen werden in einer dünnen Schicht direkt auf 40 x 40 Zentimeter große Aluminiumplatten laminiert. Die einzelne Platte ist mit einem weichen pneumatischen Antrieb für solare Nachführsysteme und Tageslichtsteuerung ausgestattet und kann sich innerhalb des konstruktiven Rahmens autonom vertikal und horizontal nach dem Sonnenstand ausrichten. Die Regulierung findet mittels Aktuatoren aus einem Hyb­rid weicher und harter Materialien statt, das Bewegungsprinzip beruht auf der Ausdehnung von Druckluftkammern. Die algorithmisch gesteuerte Soft-Robotik ermöglicht eine bis zu fünfzig Prozent höhere Energiegewinnung als bei statischen Solarpaneelen. Der von der An­lage selbst benötigte Strom beträgt dabei auf das Jahr hin berechnet nicht mehr als drei Prozent der Leistung, die sie im Betrieb erzeugt. Darüber hinaus kann die Fassade überschüssige Energie in Druckluft umwandeln, die gespeichert und bei schlechtem Wetter, wenn keine Ener­-gie erzeugt wird, zur Neujustierung der Module genutzt werden kann. Besonders sinnvoll für die Implementierung sind Fassaden mit Südwest- oder Südostausrichtung, wo morgens beziehungsweise abends eine im Vergleich zu statischen Photovoltaikanlagen höhere Leistung erreicht wird.
In gemäßigten und trockenen Klimazonen kann die ASF nach Angaben des Forscherteams bis zu 115 Prozent des Nettoenergiebedarfs eines Büroraums decken – er ist damit energiepositiv. Diese Testergebnisse entstanden bei Wetterbedingungen von 3 bis 20 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten von bis zu 30 Km/h.
Lernalgorithmen sollen das Bewegungsmuster der Module kontinuierlich verbessern und an die Umgebung sowie das Nutzerverhalten anpassen. Sie funktionieren damit nicht nur als vor die Fassade – und im Zweifelsfall vor die Aussicht – gehängtes Solarkraftwerk en miniature, sondern sorgen vor Glasfassaden zugleich für zusätzliche Verschattung oder mehr Sonneneinstrahlung im Innenraum, wodurch Kosten für Klimaanlagen beziehungsweise Heizung eingespart werden. An einem heißen Sommertag können sich die Paneele im unteren und oberen Bereich einer Etage nach der Sonne ausrich-ten und den Raum gleichzeitig verschatten, während die mittleren Paneele durch eine horizon­tale Stellung die Sicht nach außen gewährleisten. Im Winter dagegen wird der obere Bereich geöffnet, um möglichst viel Licht in den Innenraum zu bringen, lediglich die anderen Paneele orientieren sich nach dem Sonnenstand. Da jedes Element einzeln justierbar ist, könnten dem Forschungsteam zufolge indirekt sogar Nachbargebäude profitieren, indem Sonnenlicht über die ASF reflektiert wird. Unabhängig von der sensorgestützten Orientierung können die Paneele auch individuell vom Nutzer angesteuert werden.
Die ASF lässt sich in variabler Größen auf einer Leichtbaukonstruktion an der Gebäudehülle montieren. Ob ihres geringen Gewichts – es beträgt 95 Kilogramm für eine zehn Quadratme­ter große Installation mit dreißig Modulen – ist siesowohl für Neubauprojekte als auch für Bestandsbauten nutzbar. So könnte auch an Orten Energie gewonnen werden, wo konventionelle Solaranlagen aus konstruktiven Gründen nicht in Betracht kommen. Aus visuell-gestalterischer Perspektive dürfte die ASF für viele Architekten eine Herausforderung sein. Immerhin entsteht eine komplexe Struktur, die mit Licht- und Schatteneffekten überraschende Musterungen erzeugen und durch das kinetische Element einen zusätzlichen Reiz bieten kann.

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