Schrödingers Foto
Das Baukunstarchiv NRW zeigt neun Blicke auf die Lockdown-Leere
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Schrödingers Foto
Das Baukunstarchiv NRW zeigt neun Blicke auf die Lockdown-Leere
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Dass die vergangenen Jahre der Pandemie auch positive Aspekte besaßen, ist gelegentlich schon festgestellt worden. Von der ungewöhnlichen Ruhe auf den Straßen war die Rede oder von der Entschleunigung des Alltags, die mit dem Teillockdown verbunden waren. Zu diesen Erfahrungen gehörte auch die Wahrnehmung der Stadt und ihrer Architektur: Sie nämlich kommt weit stärker ans Licht, wenn Verkehr und Passanten nicht die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Dass leere Straßen und ihre architektonischen Einfassungen gerade Fotografen interessieren, liegt insofern auf der Hand: Das Thema gehört seit Eugène Atgets Aufnahmen des Vieux Paris um 1900 bis zu Thomas Struths „Unbewußte Orte/unconsious places“ in den 1980er Jahren zu den klassischen Themen der Fotografie: Die Abwesenheit (von Leben) betont die Intensität des künstlich Geschaffenen.
Die Pandemie mit ihren individuellen Verlust- bzw. Abwesenheitserfahrungen war der Ausgangspunkt für acht Fotografen und eine Fotografin (alle hatten sie zudem ein sogenanntes Corona-Stipendium erhalten), die sich als Mitglieder des Bundesverbands der Architekturfotografie kannten und zu einer Ausstellung im Dortmunder Baukunstarchiv NRW zusammenfanden. So vielfältig die Ansätze waren, der rote Faden des Themas ließ sich klar erkennen.
Jörg Hempel motivierte der Lockdown, der bekanntlich auch die sogenannten „körpernahen Dienstleistungen“ betraf, dazu, jene meist in Rottönen gehaltene Hinterhöfe oder Straßenzüge zu porträtieren, in denen dem sogenannten ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen wird. Von Menschen entleert, wird dieses Ambiente in seiner fast skurrilen Dimension erkennbar.
Marion Brand erinnert mit seiner Serie großer und kleiner Impf- und Testzentren an die provisorischen Zweckarchitekturen, die damals fast den Status von Überlebenseinrichtungen annahmen. Am stärksten betont die urbane Leere vielleicht Lukas Roth, der die Kölner Domplatte und andere mehr oder weniger bekannte Straßenzüge der Stadt nicht nur menschenleer fotografierte, sondern sie zusätzlich von Ampeln, Werbe- und Straßenschildern digital befreite; selten wurde der Bühnencharakter von Stadtarchitektur deutlicher.
Mit einer persönlichen und tragischen Form der Abwesenheit hatte Axel Hausberg es zu tun. Er hatte bei der Flut im Ahrtal vor einem Jahr sein gesamtes Hab und Gut einschließlich seines Fotoarchivs verloren und präsentierte nun neben einem der wenigen geretteten Bilder mehrere neuere Innenarchitektur-Aufnahmen, die er – nur scheinbar paradox zum Thema – digital um Personen ergänzte.
Jens Kirchner mit der Serie „ABRISS“ und Hans Jürgen Landes mit „Ögel“, dem Porträt einer Straße in Dortmund, die „schon bessere Tage gesehen hat“, präsentierten städtische Räume des Niedergangs, aber auch eines potenziellen Neuanfangs. Während Constantin Meyer mit „Wollseifen“ einen verlassenen Ort in der Eifel, der vom belgischen Militär als Truppenübungsplatz genutzt wurde, vergegenwärtigte, fokussierte Stefan Schilling die Schwundstufen des Betons in seiner Heimatstadt Neviges, dem Ort des berühmten Mariendoms von Gottfried Böhm.
Last but not least: Annika Feuss hielt mit „374 Pixel“ per Handykamera die Spaziergänge durch die Natur fest, die damals den Corona-Alltag strukturierten, und abstrahierte sie durch die Vergrößerungen kleiner Ausschnitte. Fazit: Die Fotografie macht nicht nur bauliche Facetten der Stadt sichtbar, sie hält in ihrer Zeitgebundenheit einen Moment unserer Erfahrung fest, der heute fast schon wieder vergessen scheint.
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