Vom Bleistift zur Maus
Eine Ausstellung in Berlin beleuchtet den Wandel der Architekturdarstellungen im Zeichen der Digitalisierung
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Vom Bleistift zur Maus
Eine Ausstellung in Berlin beleuchtet den Wandel der Architekturdarstellungen im Zeichen der Digitalisierung
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
„Die Architekturmaschine“ im Architekturmuseum der TU München (2020/21) und jetzt „Architecture Transformed“ im Architekturmuseum der TU Berlin: Erstmals widmen sich Ausstellungen der medienspezifischen Prägung der Architektur durch digitale Entwurfs- und Darstellungsmethoden. In einer kleinen, aber bildgewaltigen Schau illustrieren 51 Beispiele – eine Auswahl an Abbildungen aus den Zeitschriften Bauwelt und ARCH+ und aus Schinkelwettbewerben der Jahrgänge 1980 bis 2020 – gewissermaßen in Zeitraffer die Entwicklung des digitalen Bildes in der Architekturdarstellung. Die Ausstellung, die zuvor schon in Marburg zu sehen war, und der umfangreiche Katalog bilden den Abschluss des dreijährigen Forschungsprojektes „Architecture Transformed – Architekturprozesse im digitalen Bildraum“, das sich das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg und der Lehrstuhl für Architektur und Visualisierung der BTU Cottbus-Senftenberg teilten.
Die Ausstellung zeichnet die Entwicklung des digitalen Architekturbildes über vier Jahrzehnte nach. Eine Originalzeichnung von Oswald MathiasUngers’ Wettbewerbsentwurf „Solarhäuser Melkerei Landstuhl, Kettenhaus“ von 1979 belegt zudem, welch meisterliches Handwerk dabei auf der Strecke geblieben ist. Bei David Chipperfields und Roger Huntleys Explosionszeichnung für den Schinkelwettbewerb 1981 war bereits ein Computer am Werk, wobei sich der Ausdruck des Digitalisats kaum von einer vergleichbaren analogen Zeichnung unterscheidet, was dem rein technischen Charakter der Darstellung geschuldet ist. Wer etwas Atmosphäre, etwa Licht-Schatten-Spiele, in eine Architekturzeichnung einbringen wollte, kam zu jener Zeit um eine händische Überarbeitung von Vektorgrafiken nicht herum, wie Rüdiger Kramms Doppelabbildung vom Projekt Glässingstraße Darmstadt (1982) belegt, die in ARCH+ 77 (1984) – dem ersten deutschen Themenheft zum Computer in der Architektur überhaupt – reproduziert wurde.
Das erste Rendering – im Gegensatz zur digitalen Strichzeichnung – erschien in der Bauwelt 29.1985 und stellte nicht etwa ein architektonisches Werk, sondern einen Würfelbecher dar. Dem ersten Architekturrendering („Les Rocages Saint-Germain-sur-Vienne“ von Lucien Kroll, ebenfalls 1985 in ARCH+ 83 publiziert) lag ein 3D-Drahtmodell zugrunde, das grafisch am Computer überarbeitet wurde, aber noch sehr grob gepixelt ist. Eine erste „gestochen scharfe“ Projektdarstellung (eines Bahnhofes), zudem aus der originellen Perspektive eines Lokführers, reichten Heiko Lukas und Ulrike Seifritz zum Schinkelwettbewerb 1987 ein. Farbe und zugleich etwas Kunstlichtatmosphäre bot die Zumtobel AG Dornbirn mit einer vom Lichtsimulationsprogramm COPHOS 2.0 erzeugten sogenannten Cophographie an (reproduziert in der Bauwelt 27.1989). Eine erste halbwegs fotorealistische Darstellung – der Friedrichstadt-Passagen Berlin Block 207 von Jean Nouvel, Emanuel Cattani et Associés – wurde erstmals in der Bauwelt 21.1993 veröffentlicht. In jener Zeit gab es jedoch auch eine abstrakte „Gegenbewegung“ zur allzu perfekten Visualisierung, wie sie etwa in der sehr artifiziellen Darstellung des Autobahnkontrollzentrums A14 Nanterre in Bauwelt 31. 1995 zu sehen ist.
Einen Quantensprung in der computergenerierten Darstellung eines atmosphärisch aufgeladenen Innenraums – hier mithilfe des Mappings erzeugt – stellt eine (nicht datierte) Visualisierung des Lesesaals in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden dar, die Franziska Megert für O&O Baukunst anfertigte (veröffentlicht in Bauwelt 14.1998). Die Qualität von Renderings, insbesondere bei der Darstellung von Licht- und Beleuchtungseffekten, nahm um die Jahrtausendwende deutlich zu, wie auch eine stimmungsvolle „Blue-Hour“-Perspektive von Mark Brauns SAP-Bürogebäude Berlin in der Bauwelt 8.2003 belegt.
Als autonomes Kunstwerk erscheint Anne Niemanns und Johannes Ingrischs Entwurf „Landmark East Dunwich“, eine Collage aus Landschaftsfotografie und abstrahiert-grafischer Darstellung sechs versunkener Kirchen, die als Silhouetten über dem Meer „schweben“ sollten (in Bauwelt 18.2004). Geradezu ikonischen Status erlangte eine nächtliche Visualisierung der Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron (Bauwelt 1–2.2008), die wesentlich dazu beitrug, dass „aus einer idée fixe (…) Realität wurde“, wie es Hubertus Adam in jenem Artikel formuliert.
In den 2010er Jahren tauchten auch wieder Schwarz-Weiß-Darstellungen auf; Sönke Reteikes Visualisierung einer Innenperspektive der Erweiterung des Bauhaus-Archivs Berlin durch Staab Architekten (in Bauwelt 43.2015) geht so-gar noch einen Schritt weiter, indem die Ecken der Bilddatei, in der Art altmeisterlicher Fotografien, unscharf dargestellt werden. Die Abkehr vom möglichst realistischen digitalen Architekturbild belegt auch die gelegentliche Rückkehr zum Prinzip der Collage, die sich insbesondere in einer Zeit, in der immer mehr Bürgerinnen und Bürger frühzeitig an einer Planung partizipieren wollen, als offene, nicht-persuasive Bildform anbietet. Johannes Hertells Beitrag zum Schinkelwettbewerb 2019, der ein tanzendes Paar in einem baulich zwar gefassten, jedoch im Vagen dargestellten Innenhofbühne zeigt, mag als Sinnbild für die Zukunft des digitalen Architekturbildes dienen: alles ist möglich – atmosphärisch und auch architektonisch.
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