Wunderkammer des Wohnens
Hier wird einem Vorstellungsvermögen abverlangt: 450 Exponate erzählen in einer Ausstellung in Chemnitz die Jahrtausend alte Geschichte des Wohnens
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Wunderkammer des Wohnens
Hier wird einem Vorstellungsvermögen abverlangt: 450 Exponate erzählen in einer Ausstellung in Chemnitz die Jahrtausend alte Geschichte des Wohnens
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Im ehemaligen Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn, seit Mai 2014 Sitz des Sächsischen Museums für Archäologie Chemnitz (smac), wird derzeit die Ausstellung „Home Sweet Home. Archäologie des Wohnens“ gezeigt. Das smac gewährt vielfältige Einblicke in die Entwicklung der Wohnkultur. Über 450 Hausratsobjekte aus über 30.000 Jahren vermitteln eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen einrichteten und wie sich einzelne Wohnfunktionen immer mehr diversifizierten, etwa durch die Widmung eigener Zimmer für die Körperhygiene und die Schlafstätte (was, wie die Beispiele von Wohnjurten mongolischer Nomaden zeigen, auch heute noch keineswegs eine weltweite Selbstverständlichkeit ist).
„Am Anfang war das Feuer“ (Titel einer von insgesamt acht Ausstellungsstationen, die auf die Themen Licht, Wärme und Kochen fokussiert): Folgerichtig ist eine Schwefelkiesknolle mit Schlagspuren aus der Vogelherdhöhle in Baden-Württemberg, auf circa 30.000 v. Chr. datiert und als „ältestes Feuerzeug Europas“ bezeichnet, das an Jahren reichste Objekt der Ausstellung. Als wertvollste Stücke gelten dagegen das Sitzidol eines Harfespielers aus Santorin, Griechenland (2700–2300 v. Chr.) und eine Trinkschale des sogenannten Makron-Malers aus Athen (um 490 v. Chr., gefunden in Cerveteri, Italien), die von einer schon früh entwickelten hohen Wohnkultur im Mittelmeerraum künden.
Die weiteren Ausstellungsstationen, wie Inseln frei auf der obersten Etage des früheren Kaufhauses aufgebaut, widmen sich dem Schutz und Aufbewahren von Vorräten und Besitztümern, dem Sitzen und Liegen, der Hygiene und dem dekorativen Wohnambiente, aber auch den Fragen, warum, wie und mit wem wir wohnen und wie die Zukunft des Wohnens aussehen könnte. Der finale Ausblick fällt dabei – kein Wunder bei einer Archäologieausstellung – am schwächsten aus. „Home Sweet Home“ verlangt den Besuchern und Besucherinnen Aufmerksamkeit und auch Vorstellungsvermögen ab, denn viele Objekte sprechen nicht einfach für sich und können selbst mithilfe der Erläuterungstexte nicht immer eine Vorstellung vom jeweiligen Wohnambiente vermitteln, das insbesondere in der Frühzeit des Wohnens ohnehin oft im Vagen liegt. Manchmal helfen dabei Grabbeigaben oder Hausurnen: So liefert eine – der Aufbewahrung von Leichenbrand dienende – Hausurne mit abgerundetem hohem Firstdach aus der späten Bronzezeit proportionale Hinweise zu Haus- und Dachformen und zu längst vergangenen organischen Baustoffen frühester von Menschenhand angefertigter Behausungen etwa im heutigen Sachsen-Anhalt.
Die Ausstellung vermag kein Gesamtbild, etwa eine „Geschichte des Wohnens“ zu vermitteln – dazu ist diese Geschichte zu vielfältig, erst recht, wenn der Betrachtungsraum (hier: von Sachsen bis in die Mongolei) auf die hier ausgesparten Weltregionen – Nord- und Südamerika, Australien und Afrika (mit Ausnahme Ägyptens) – erweitert werden würde. So werden den Besuchern wohl vor allem ein paar Kuriositäten im Gedächtnis haften bleiben: Zum Beispiel ein sogenanntes Bauopfer aus Leipzig (Keramik und Hundeskelett, 14. Jahrhundert), ein um 1780 in Meißen angefertigter Nachttopf, auf dem sich angeblich gleich drei Berühmtheiten entleert haben sollen (Napoleon, Friedrich Wilhelm II. von Preußen und Prinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I.), sowie ein vermutlich aus den 1920er-Jahren stammender Küchenstuhl, der von Walter Ulbricht angefertigt worden sein soll.
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