Coworking Centre in London
Dem Coworking Centre „Brickfields“ gelingen mühelose Maßstabssprünge. Witherford Watson Mann haben den langen Baukörper gestuft und geknickt, Wandflächen und Pfeilerrythmen arrangiert und alles in sanft schimmernden Backstein aus Ostfriesland gekleidet.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Der Haupteingang liegt an der Cremer Street, gegenüber dem Bahnhof Hoxton. Die Ostfassade folgt dem Schwung der Hochbahn
Foto: David Grandorge
Der Haupteingang liegt an der Cremer Street, gegenüber dem Bahnhof Hoxton. Die Ostfassade folgt dem Schwung der Hochbahn
Foto: David Grandorge
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Die Nazrul Street auf der Westseite ist kleinteilig.
Foto: David Grandorge
Die Nazrul Street auf der Westseite ist kleinteilig.
Foto: David Grandorge
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Die Rücksprünge der Längsfassaden erlauben Austritte mit weitem Blick über den Londoner Nordosten. Aber auch die Ziegelarchitektur mit ihren detailreichen Verbänden und Sondersteinen ist hier erlebbar.
Foto: Hélène Binet
Die Rücksprünge der Längsfassaden erlauben Austritte mit weitem Blick über den Londoner Nordosten. Aber auch die Ziegelarchitektur mit ihren detailreichen Verbänden und Sondersteinen ist hier erlebbar.
Foto: Hélène Binet
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Das Gebäude enthält eine große, von Tageslicht erhellte Halle. Das leicht steam-punkige Interior-
Design orientiert sich an der Industriebauästhetik.
Fotos: Philipp Ebeling
Das Gebäude enthält eine große, von Tageslicht erhellte Halle. Das leicht steam-punkige Interior-
Design orientiert sich an der Industriebauästhetik.
Fotos: Philipp Ebeling
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Blick in ein Büro hinter der südlichen Gebäudestirn. Die Aufteilung ist, wie im Bürobau üblich, flexibel.
Foto: Hélène Binet
Blick in ein Büro hinter der südlichen Gebäudestirn. Die Aufteilung ist, wie im Bürobau üblich, flexibel.
Foto: Hélène Binet
Die Cremer Street im Londoner Stadtteil Hoxton ist eine Zäsur: Hier endet die dichte Bebauung des nordöstlichen Zentrums und beginnt die lockere, grünere Struktur der Vorstadt. Vor zwanzig Jahren noch war diese Gegend etwas anrüchig, doch längst ist die Gentrifizierung bis hierher geschwappt. Das macht sich im Angebot wie in der Gestaltung von Läden und Gastronomie bemerkbar, aber auch in bloßen Zahlen, etwa denen einer stetig steigenden Einwohnerzahl. Die Sanierung der auf einem backsteinernen Viadukt geführten Strecke der London Overground mitsamt der neuen, 2010 eröffneten Station „Hoxton“ hat zu diesem Aufschwung beigetragen. Wer den Bahnhof in Richtung Cremer Street verlässt, dem zeigen auch die drei Neubauten, die den kurzen Abschnitt der Straße zwischen Bahnbrücke und der Ecke Kingsland Road in den letzten Jahren verdichtet haben, das sich etwas verändert. Der architektonisch aufwendigste davon ist das Bürohaus „Brickfields“, geplant von den Londoner Architekten Witherford Watson Mann. Es handelt sich um ein Beispiel jener in den letzten Jahren vielerorts entstandenen Coworking Spaces, die mit charaktervoller Architektur um zahlungskräftige junge Klein- und Kleinstunternehmen werben, die inzwischen die Londoner Wirtschaft mit prägen. Die Gemeinschaftsbürogebäude locken mit dem Versprechen eines anregenden, zur Vernetzung einladenden Umfelds und häufig auch ambitionierter Architektur oder zumindest Innenarchitektur (
Bauwelt 35.2015). Auch in anderen europäischen Metropolen sind derartige Bürogebäude inzwischen allgegenwärtig. Im „Brickfields“ stehen den Start-ups Einheiten von 50 bis 200 Quadratmeter Größe zur Wahl, die meisten aber messen 80 Quadratmeter. Als ich William Mann Ende Mai 2019 hier traf, um das Gebäude in Augenschein zu nehmen, war das Äußere fertiggestellt, im Inneren aber blieben noch Restarbeiten zu erledigen; es sollte noch bis zum Herbst 2019 dauern, dass die ersten Mieter einziehen konnten.
Man betritt das Haus durch den repräsentativen, über zwei Geschosse reichenden Eingang an der Cremer Street. Das Gebäude zeigt sich hier mit einer Art Stufengiebel, der sich aus den Rücksprüngen der zwei obersten Geschosse entlang der schmalen Nazrul Street ergibt: eine Anspielung auf das Urbild eines Kaufmannshauses.
Witherford Watson Mann sind Meister darin, ihre Architektur in eine Situation einzupassen und sich gleichzeitig in ihr zu behaupten – mit dem Umbau von Astley Castle in Warwickshire hatten sie vor neun Jahren einen ersten Beleg dafür geliefert (
Bauwelt 42.2012), das Opernhaus in einem Landgut in den Midlands (
Bauwelt 2.2019) war ein weiterer. Bei „Brickfields“ ging es auf den ersten Blick nicht um den direkten Umgang mit historischer Substanz, doch das ist nur die halbe Wahrheit: Das Coworking Centre nutzt vorhandene Fundamente weiter. Zuvor stand auf diesem Grundstück eine Geschossfabrik, die in den achtziger Jahren anstelle einer in den Siebzigern abgerissenen Reihenhausbebauung errichtet worden war. Dass diese nun dem Coworking Centre weichen musste, ist ein Fingerzeig auf den sozioökonomischen Wandel, der London in den letzten vierzig Jahren erfasst hat. Ihre Geschosshöhen waren zu niedrig, die Fenster zu klein, die Substanz zu schlecht, als dass ein Umbau in Frage gekommen wäre. Um zumindest die Fundamente nutzen zu können, haben Witherford Watson Mann das Coworking Centre als Stahlskelettbau konstruiert, der das Gewicht reduzieren hilft. Gegenüber der Fabrik wurde die Grundfläche um rund dreißig Prozent vergrößert, indem der Neubau näher an den Bahndamm reicht und bis direkt an die Cremer Street.
Kern der Aufgabe war es, das bis zu sechs Geschosse hohe Gebäude städtebaulich und atmosphärisch in die dichte, kleinteilige Umgebung einzupassen – die Cremer Street ist eine „conservation area“ des Bezirks Hackney. Neben den schon erwähnten Rücksprüngen an den Längsseiten leisten dies auch die Knicke der Fassaden: in den Drittelspunkten an der Nazrul Street auf der Westseite, etwa in Gebäudemitte auf der Ostseite, zur Bahn hin. Dort fängt der Knick die auf dieser Seite nur einmalige Stufung des Baukörpers auf, so dass die Fassade in einer Ebene aufragen kann, an der Südspitze allerdings ein Geschoss weniger hoch. „Brickfields“ zeichnet sich durch ein in hohem Maße bearbeitetes Volumen aus, ändert seine Erscheinung mit fast jedem Schritt.
Diese Lebendigkeit setzt sich fort in einem sich wandelnden architektonisch-konstruktiven Ausdruck: Während Nord-, Ost- und Südfassade als Wandarchitektur erscheinen, gibt das Gebäude entlang der schmalen Nazrul Street mit Pfeilervorlagen seine Konstruktion als Stahlskelettbau zu erkennen und der langen Abwicklung vis-à-vis der kleinteiligen Nachbarbebauung einen passenden Maßstab. Zudem ändert sich das Raster: Da auf der Seite zur Bahn der Lichteinfall größer ist, können die Räume tiefer und deshalb auch breiter sein.
Dass das Gebäude nicht zerfällt in eine Sequenz von Einzeleindrücken, ist vor allem dem dunklen Ziegel zu verdanken, mit dem seine Fassaden verkleidet worden sind. Zum Einsatz kamen Bockhorner Klinker, vermauert im Verband „enlish garden wall“ mit Binderschicht in jeder vierten Lage – da hierfür auch Ausschuss verwendet werden konnte, ließen sich die Kosten der immerhin einen Stein starken, bei den Setbacks noch halbsteindicken, selbsttragenden Vormauerschale reduzieren. „As repetitive as possible“ sollte das Kleid sein, doch diese Aussage von William Mann ist typisch britisches Understatement. Denn die Architekten haben die Klinkerhülle auch im Detail noch bearbeitet: In den Brüstungsfeldern der Pfeilerfassadenabschnitte etwa sind die Klinker in einer Art Korbgeflecht-Muster vermauert, wie es ähnlich schon Egon Eiermann in den dreißiger Jahren praktiziert hat, wenn er einen Skelettbau mit Klinker ummanteln ließ – die Auer-Fabrik in Berlin-Moabit ist dafür ein Beispiel.
Fabrikarchitektur stand auch für das Innere Pate, denn auch Londoner Start-ups favorisieren Industrial chic. Das hohe Atrium, das für Tageslicht sorgt und Begegnungssituationen schafft, wird geprägt von der sichtbar belassenen, nur mit einem Feuerschutzanstrich versehenen Stahlkonstruktion – die „British steal beams“ seien überhaupt eines der wenigen in England hergestellten Elemente des Projekts, so William Mann mit Anspielung auf den zum Zeitpunkt unseres Besuchs noch etwas ungewissen Brexit-Ablauf und seine Folgen für die britische Bauindustrie.
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