Bauwelt

Museumsdepot in Rotterdam


Mit dem Depot des Rotterdamer Museums Boijmans Van Beuningen haben MVRDV ihr Talent bewiesen, eine komplex erscheinende Frage aufs Wesentliche zu reduzieren. In diesem Fall: Wozu noch Museen?


Text: Schulz, Bernhard, Berlin


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    Anpassung war gestern: Das Depot macht sich mit seiner spiegelnden Fassade die Umgebung vielmehr zu eigen.
    Foto: Ossip van Duivenbode

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    Anpassung war gestern: Das Depot macht sich mit seiner spiegelnden Fassade die Umgebung vielmehr zu eigen.

    Foto: Ossip van Duivenbode

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    Der Ausstellungsbereich inszeniert das Sammeln. Die Besucher durchstreifen den Kunstbestand.
    Foto: Ossip van Duivenbode

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    Der Ausstellungsbereich inszeniert das Sammeln. Die Besucher durchstreifen den Kunstbestand.

    Foto: Ossip van Duivenbode

Die Welt ist ungerecht. Die Elbphilharmonie beispielsweise wird zu ihrem fünften Geburtstag rundum bejubelt, sie ist zu einem Wahrzeichen Hamburgs geworden, einerlei für wie funktio­nal man das Konzept eines Konzertsaals halten mag, der auf ein bestehendes Speichergebäu­de aufgepfropft wurde. Das Depot des Rotterdamer Museums Boijmans Van Beuningen hingegen, das ebenfalls das Zeug zu einem städtischen Wahrzeichen hat, erntete bei seiner Fertigstellung im vergangenen November eine Fülle von Kritik, ja Schmähungen wie der, beim Entwurf habe die preisgünstige Salatschüssel eines bekannten Discounters Pate gestanden.
Vielleicht muss man in Rotterdam nur fünf Jah­re warten, um ähnlich enthusiastischen Zuspruch zu erlangen, wie er in Hamburg zu haben ist. Gute Bauwerke altern nicht, sie reifen; wenn schon nicht physisch, so doch in der Beurteilung durch Fachleute und Öffentlichkeit. Doch Bauten können sich auch abnutzen, optisch veralten, und Fragen der Funktionalität, die zuvor unter ästhetischen Erwägungen hintangestellt worden waren, brechen mit einem Mal hervor, und nicht zugunsten des betreffenden Gebäudes.
Solche Unsicherheit wird auch das Depotgebäude des Museums begleiten, das hier seine 151.000 Objekte umfassende Sammlung nicht nur an einem einzigen Aufbewahrungsort zusammengeführt hat, sondern sie zugleich öffentlich zugänglich macht. In der Beurteilung des Bauwerks vermischen sich demnach zwei Betrachtungen: die der Architektur und die der Nutzung. Letztere stellt ein Novum dar, nämlich die vollständige Öffnung eines Sammlungslagers. Und wie es bei einer neuartigen Bauaufgabe der Fall ist, steht noch kein erprobter Gebäudetypus bereit, an dem die Architekten sich hätten orientieren, den sie hätten umsetzen oder abwandeln können.
Natürlich gibt es seit jeher Lagerhäuser. Der „Speicher“ ist einer der ältesten Gebäudetypen der Architektur. Aber es gibt in Rotterdam – vielleicht nicht zum allerersten Mal, aber doch zum ersten Mal in solcher Entschiedenheit – die neuartige Verbindung von Aufbewahren und Sichtbarmachen von noch dazu empfindlichen Objekten. Für diese Aufgabe, die, recht betrachtet, einen Widerspruch in sich selbst birgt, nämlich den von störungsfreier Lagerung und aufstöbernder Besichtigung, hatte das in einem etwas kurvenreichen Wettbewerbsverfahren siegreiche Büro MVRDV eine Form zu finden, die es nicht aus Bestehendem ableiten konnte, wollte sie dem Vorhaben gerecht werden. Etwas Drit­tes kam noch hinzu, es wurde eingangs angesprochen: die Zeichenhaftigkeit des Gebäudes für die Stadt, zusammengesetzt aus der Prominenz des Ortes und der Prominenz des Nutzers. Das städtische Museum als Ausweis von Bürgerstolz und der Bauplatz im hochgeschätzten Museumspark verlangten gleichermaßen nach einer signifikanten Architektur.
Und heraus kam eine Salatschüssel. Das Wort ist in der Welt, seit es die Kritik verbreitet hatte, zurückgehend auf die flapsige Darstellung des Designprozesses durch MVRDV-Prinzipal Win­ny Maas, der sein Heureka beim gemeinsamen Mittagsmahl der Bürobelegschaft erlebt haben will. Muss die gebaute Architektur darum schlecht sein?
Das nicht; doch legt diese Geschichte, gera­de weil sie gewissermaßen unter der Messlatte anspruchsvollen Entwerfens hindurchsegelt (und nebenbei den popkulturellen Status des Rotterdamer Büros bekräftigt), die Problematik des ausgeführten Bauwerks bloß. Es ist womöglich nicht ernsthaft genug. Nicht, weil Architektur per se ernsthaft sein müsste, sondern weil diese spezifische Aufgabe es verlangt. Ein Museum, jedenfalls eines wie das alle Epochen umfassende Boijmans Van Beuningen, ist tendenziell für die Ewigkeit gedacht, seine Sammlung weist über den Horizont der Lebenden hinaus in eine Zukunft, die sie dereinst als Erbe annehmen soll.
Das will das „Depot“ nicht zeigen. Seine spiegelnde Verkleidung zielt vielmehr auf die momentane Überraschung, ein Gebäude zu sehen und zugleich nicht zu sehen, weil es das, was es als Spiegelbild herzeigt, aus seiner Umgebung von Park und Nachbarbauten ausborgt. Im Inneren setzt sich das Spielerische fort. Die Besucher schweben in verglasten Aufzügen oder klettern über stählerne Treppen und Brücken. Sie sind sich dabei selbst genug; wozu noch seitlich in die – durch das Kreisrund des Grundrisses nicht optimal nutzbaren – einzelnen Abteilungen eintreten und die Mühe auf sich nehmen, aus der gedrängten Fülle der Objekte etwas Bestimmtes herauszusuchen?
Das berührt nun weniger die Architektur, als vielmehr die Diskussion über die Zukunft des Museums. Denn von dort ging der Wunsch aus, das Sammlungslager, bis dahin der Ort allein für Museumsmitarbeiter, allgemein zugänglich zu machen. Das Museum als Institution ist sei­ner selbst unsicher geworden. Es stellt seine Aufgabe, aus der unendlichen Fülle von Artefakten die erhaltenswerten auszuwählen und auszustellen, zur Disposition – zur Disposition der Besucher, die aus der Überfülle der Lagerbestände eine Auswahl nach je eigenem Geschmack treffen sollen, wenn sie überhaupt mehr verlangen als das bloße Erlebnis des Auf und Ab im Treppenturm, gekrönt vom Besuch des Restaurants auf dem Dach.
Für die unsicher gewordene Position des herkömmlichen Museums hat das „Depot“ eine treffende Form gefunden. Wie sich in seiner Außenhaut die Umgebung zu einem Vexierbild verwandelt, ist sein Inneres ein Spiegel der Ratlosigkeit, die das Museum als Institution befallen hat. Was wird gesammelt und wozu? Wo die Rangordnung abhanden kommt, der „Kanon“, den das traditionelle Museum behauptet, bleibt nur die Zurschaustellung des Sammelns an sich, ohne die strenge Unterscheidung, die die Schausammlung vom Lagerbestand abgrenzt.
Mag sein, dass das „Depot“ in fünf oder zehn Jahren bereits überholt ist, weil sich andere Kriterien des Sammelns bemächtigen. Es kann eben nicht, wie die Elbphilharmonie, auf eine Tradition bauen, die unabhängig ist von ihrer baulichen Gestalt. Ob die Schausammlung, ob das begehbare Depot eine Zukunft hat, die über die modische Annullierung des „Kanons“ hinausgeht, wird sich zeigen müssen. Am Mittagstisch haben Winny Maas und MVRDV eine architektonische Form gefunden, die diese Fragen unabweisbar vor Augen führt.



Fakten
Architekten MVRDV, Rotterdam
Adresse Museumpark 18, 3015 CX Rotterdam, Niederlande


aus Bauwelt 7.2022
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