Bauwelt

Häuschen im Spreewald


Die Reste einer Scheune? Die Urhütte? Die europäische Variante des Teehauses? Der Architekt Tom Kühne hat ein im bes­ten Wortsinn seltsames Häuschen in einen Spreewälder Ahornhain gehängt. Ja: gehängt.


Text: Enssle, Isabell, Grafenau


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    Holzkapelle? Heuschober? Refugium eines Eremi­ten? Das Ferienhaus ruft manche Assoziation auf.
    Foto: Tom Kühne

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    Holzkapelle? Heuschober? Refugium eines Eremi­ten? Das Ferienhaus ruft manche Assoziation auf.

    Foto: Tom Kühne

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    Auch das Häuschen einer – ganz sicher freundlich gesinnten – Hexe mag einem in den Sinn kommen
    Foto: Tom Kühne

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    Auch das Häuschen einer – ganz sicher freundlich gesinnten – Hexe mag einem in den Sinn kommen

    Foto: Tom Kühne

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    Der abgetrennte Schlafraum mit Gartenblick im „Heck“ des Häuschens.
    Foto: Tom Kühne

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    Der abgetrennte Schlafraum mit Gartenblick im „Heck“ des Häuschens.

    Foto: Tom Kühne

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    Foto: Isabell Enssle

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    Foto: Isabell Enssle

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    Statisch gesehen, bilden die biegesteifen Dach­flächen eine Art Brückenträger aus, ...
    Foto: Tom Kühne

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    Statisch gesehen, bilden die biegesteifen Dach­flächen eine Art Brückenträger aus, ...

    Foto: Tom Kühne

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    ... der an vier Bäumen, „lebenden Stützen“, verankert ist.
    Foto: Tom Kühne

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    ... der an vier Bäumen, „lebenden Stützen“, verankert ist.

    Foto: Tom Kühne

Seltsam riecht es im Bahnhof von Golßen. Der Übeltäter ist schnell ausgemacht: eine Fischfutter-Fabrik neben den Gleisen. Hier, am Rand des Urlaubs- und Erholungsgebiets Spreewald, gibt es kaum Tourismus. Das Ernährungsgewerbe macht einen Großteil der Wirtschaft in der Re­gion aus. Neben zweihundert Fischfutter-Sorten werden Fleisch- und Wurstwaren und natürlich die Spreewald-Konserven hergestellt.
Zusammen mit dem Architekten Tom Kühne treffe ich am Bahnhof seinen Bauherrn Enrico Molitor, der in einem knallorangefarbenen VW-Bus auf uns wartet. Es geht Richtung Westen nach Schenkendorf – ein idyllisches Örtchen mit rund achtzig Einwohnern. Unsere Fahrt endet am einsam gelegenen Gelände des ehemaligen Postkutschen-Umspannhofs. Früher war das ein wichtiger Ort: Hier wurden erschöpfte Kutschpferde aus- und neue, kräftige Pferde eingespannt. Auch für das Kutschenpersonal gab es die Möglichkeit zur Rast.
Enrico Molitor hat das Gelände vor ein paar Jahren gekauft, um an Wochenenden dem Berli­ner Großstadttreiben entfliehen zu können. Von außen beließ er die beiden alten Scheunen und das Wirtshaus unverändert. Im Innern der einen Scheune ließ er das Nötigste renovieren, sie dient jetzt als Veranstaltungssaal mit Bar und Tanzfläche. Molitor vermietet das Ensemble an zehn Wochenenden im Jahr für Hochzeitsfeiern – samt dem neu gebauten Ferienhäuschen.
Wir treten hinter das alte Wirtshaus auf die Veranda, von der sich ein weiter Blick über das Gartengrundstück bietet. Die Sonne glitzert durch einen Ahornhain hindurch. Tom Kühne erzählt von dem uralten Postkutschenweg, der bis heute, von Ahornbäumen gesäumt und unbefestigt, am Grundstück vorbeiführt. In Gedanken verlieren wir uns in der Vergangenheit: Wir lassen Kutschen vorbeiruckeln, Pferde schnauben und lauschen den Gesprächen von Männern in alten Post-Beamten-Uniformen.
Etwas versteckt in dem Hain, scheint das Ferienhaus über dem Waldboden zu schweben. Es wendet sich von den Bestandsgebäuden ab und öffnet sich mit einer großflächigen Verglasung in Richtung des alten Postkutschenwegs. Tatsächlich steht das Häuschen nicht auf dem Waldboden auf – sondern hängt in den Bäumen. Um genau zu sein: Es ist in einem halben Meter Höhe an vier Bäumen verankert, mit Garnier-Schrauben, die die Lasten in die Stämme leiten, ohne Schaden an den Bäumen anzurichten. Tom Kühne hat vier Bäume ausgewählt, die sechs bis acht Me­ter voneinander entfernt stehen und einen rechteckigen Grundriss ermöglichten; einer stößt sogar durch das Haus hindurch. Die zeltartige Gestalt des Hauses folgt dem Wuchs der Pflanzen und weiteren natürlichen Gegebenheiten, wodurch sich eine leichte Asymmetrie ergab.
Tom Kühne entwirft normalerweise Möbel und andere Einrichtungsgegenstände in seinem Studio in Berlin. Das Ferienhaus hat er nicht nur entworfen, sondern auch selbst gebaut. Fünf Wochen lang arbeitete er allein auf der Baustelle. Alles entstand in Handarbeit – ohne den Einsatz von Maschinen. Kühne bezieht sich auf die japanische Wabi-Sabi-Philosophie. Sie sieht die Schönheit in der Schlichtheit, der Natürlichkeit und der Unvollkommenheit von Objekten. Sei­nen Ursprung hat das ästhetische Konzept in der Tradition der Teezeremonien des Zen-Buddhismus. Üblicherweise ist die organisch geformte japanische Teehütte das Leitbild der Wabi-Sabi-Architektur. Hier diente dem Architekten die europäische Urhütte als Inspiration.
Die Fassaden des Hauses bestehen aus zwei Lagen sibirischer Lärchenschindeln und sind ohne Dämmung ausgeführt. Doch durch den Schatten der Bäume ist es selbst an heißen Sommertagen angenehm kühl, in der Übergangszeit, wenn die Laubbäume ohne Blätter sind, erwärmt die Sonne die Dachflächen, und im Winter wird das Haus ohnehin nicht genutzt. Hier und dort sitzt ein Fenster in den ansonsten weitgehend geschlossenen Fassaden. Hundert Jahre alte Scheunenfenster haben hier ihre neue Bestimmung gefunden. Die Konstruktion des Hauses inklusive der Verbindungen besteht fast ausschließlich aus Holz. Durch den Verzicht auf ein Betonfundament und jegliche Art von Kunststoffverbindung ist der ökologische Fußabdruck minimal.
Wir betreten das Ferienhaus über ein Holzpodest, das den halben Meter Niveauunterschied zum Waldboden überbrücken hilft. Durch die Tür in der gläsernen Giebelfassade kommt man direkt in den Wohnbereich mit einem Holzofen, einem Bücherregal und einem Schaukelstuhl. Eine Leiter führt hinauf zur oberen Etage in einen offenen Schlafbereich. Hinten gibt es zwei weitere Räume: ein kleines Bad mit Dusche und Streutoilette; und ein separates Schlafzimmer mit Blick in den Garten – der perfekte Ort für eine japanische Teezeremonie.



Fakten
Architekten Tom Kühne, Berlin
Adresse Schenkendorf 17, 15938 Steinreich


aus Bauwelt 16.2018
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