Landratsamtsanbau in Starnberg
Nach vierzig Jahren haben Auer und Weber einen seinerzeit von ihnen selbst entworfenen Verwaltungsbau vergrößert.
Text: Förster, Yorck, Frankfurt am Main
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Die Anlage wurde nach Süden erweitert um ein weiteres Atrium und vier nach Osten, Süden und Westen weisende Büroflügel.
Foto: Aldo Amoretti
Die Anlage wurde nach Süden erweitert um ein weiteres Atrium und vier nach Osten, Süden und Westen weisende Büroflügel.
Foto: Aldo Amoretti
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Die Köpfe der beiden nach Westen gerichteten Riegel.
Foto: Aldo Amoretti
Die Köpfe der beiden nach Westen gerichteten Riegel.
Foto: Aldo Amoretti
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Übergang in den bestehenden Trakt
Foto: Aldo Amoretti
Übergang in den bestehenden Trakt
Foto: Aldo Amoretti
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Die gebäudehohen Atrien gliedern die Grundrisse und erleichtern die Orientierung in dem weitläufigen Gebäude.
Foto: Aldo Amoretti
Die gebäudehohen Atrien gliedern die Grundrisse und erleichtern die Orientierung in dem weitläufigen Gebäude.
Foto: Aldo Amoretti
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Die modulare Tragkonstruktion ermöglicht ...
Foto: Aldo Amoretti
Die modulare Tragkonstruktion ermöglicht ...
Foto: Aldo Amoretti
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... eine individuelle Einteilung der Büroräume nach Bedarf.
Foto: Aldo Amoretti
... eine individuelle Einteilung der Büroräume nach Bedarf.
Foto: Aldo Amoretti
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Das ist der Altbau aus den 80er Jahren: Ein Teich vor dem Sitzungstrakt im Nordosten führt die Landschaftsarchitektur der angrenzenden Wassersportsiedlung fort.
Foto: Aldo Amoretti
Das ist der Altbau aus den 80er Jahren: Ein Teich vor dem Sitzungstrakt im Nordosten führt die Landschaftsarchitektur der angrenzenden Wassersportsiedlung fort.
Foto: Aldo Amoretti
Vom Starnberger Bahnhof führt der Weg direkt zum Strandcafé, dann am Ufer mit Blick auf den sich weit nach Süden ziehenden See entlang, vorbei am Fähranleger und dem Ruderclub von 1880. Quer durch den Bürgerpark sind es nur noch wenige Meter bis zur neuen Erweiterung des Starnberger Landratsamts. Auch wenn ein Großteil der Belegschaft, Besucher und Besucherinnen mit dem Auto über die unmittelbar nördlich des Amts verlaufende Bundesstraße 2 kommen dürfte, die außergewöhnliche Lage und die Qualität des Gebäudes waren von Anfang an auffällig: „Ein Haus an einem Ort, ein Ort. Qualitäten des Ortes, Vorhandenes: Wasser, Weite, Kanäle, Dächer, und Dazukommendes: das Gerüst, die Struktur, die Konstruktionen, die Materialien werden zu einem Ganzen“, schwärmte poetisch die Jury zum Deutschen Architektur Preis 1989 unter dem Vorsitz von Harald Deilmann.
Vorbild Japan und Bootshäuser
Fritz Auer und Carlo Weber hatten 1982 für ihren Beitrag zum Wettbewerb (mit insgesamt 57 teilnehmenden Büros) die Erscheinung von reichlich unterschiedlichen Gebäuden assoziiert. Zum einen – naheliegend, aber für ein öffentliches Behördenhaus ungewöhnlich – das Bild der hölzernen Bootshäuser in nächster Nachbarschaft. Dazu kam bei Fritz Auer die Erinnerung an eine Japanreise und den Besuch des kaiserlichen Nebenpalastes in Kyōto, der Katsura-Villa. Es ist ein Gebäudeensemble, das, statt auftrumpfend repräsentativ zu sein, aus einer aufgelockerten Gruppierung von Bauten mit maximal einem Obergeschoss, flach geneigten, auskragenden Dächern und umlaufenden Galerien besteht.
Wie in Kyōto sollte Starnberg eine offene, feingliedrige Gebäudestruktur erhalten, die eng mit Landschaft und Wasserflächen verzahnt ist. Das Bassin der angrenzenden Wassersportsiedlung wird mit einem großen Teich um den doppelgeschossigen Sitzungstrakt im Nordosten der Anlage fortgesetzt. Der kammartig aufgebaute – und jetzt ergänzte – Verwaltungsbereich im Westen hat eine wechselnde Bepflanzung aus Gehölzen und Stauden, dazwischen sind nun Kiesflächen und Findlinge platziert.
Das aufgelockerte Fassadenbild der umlaufenden Galerien – die als Verschattung, Wartungsgang und Rettungsweg dienen – verleiht dem Baukomplex eine unprätentiöse, nahbare Anmutung. Innen und Außen gehen ineinander über, der Zugang ist mehr ein Gleiten in das Gebäude als das Überschreiten einer Grenze.
Eine perfekte Synthese
Dass das konzeptionell gelungen ist und das Landratsamt außerordentliche Wertschätzung erfährt, wurde schon 2007 offensichtlich. Damals veranstaltete der Landkreis einen Festakt und gab eine umfangreiche Festschrift über das Gebäude heraus – zwanzig Jahre nach der Einweihung! „Zu den beeindruckendsten Bauwerken in Deutschland zählt das Landratsamt Starnberg“, schrieb man damals und dass es „ein Beispiel perfekter Synthese aus Natur, moderner Architektur und sich stets verändernden Anforderungen der Gesellschaft (ist).“ So viel Lob liest sich fast schon wie zu viel, war aber genau so gemeint. Erst kurz zuvor hatte sich gezeigt, wie anpassungsfähig das Gebäude ist: Der Landkreis hatte ein Konzept für einen Servicebereich, für Schalter mit Ansprechpartnern für Bürgerinnen und Bürger beim Behördengang entwickelt. Die lichten, doppelgeschossigen Atrien – von denen noch die Rede sein wird – waren dafür perfekt geeignet.
Intimität statt Anonymität
Die Tätigkeiten in Verwaltungen haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch gewandelt. Auch wenn das Tischfußballzimmer als Ort für informelle Gespräche bei Behörden wahrscheinlich nie ankommen wird, hat sich auch die Arbeit im Starnberger Landratsamt geändert: Als es eingeweiht wurde, gab es noch eine eigene Schreibstube für das Sekretariat. Die Anpassung der IT und technische Nachrüstungen begleiten seither auch dieses Gebäude und nehmen Einfluss auf die Raumorganisation. Die Büroflächen sind in Fingern entlang eines Mittelkorridors organisiert, ein Ausbauraster von 1,2 Metern erlaubt eine flexible Anpassung, ob nun Einzel-, Doppel-, Teambüros oder Besprechungsräume notwendig sind. Die Flure erhalten durch Oberlichtbänder entlang der Büros Tageslicht, schlanke, vertikale Glaselemente neben den Türen (die nicht bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beliebt sind) nehmen ihnen den hermetischen Charakter. Büroseitig sind hinter den mit Eschenfurnier umkleideten Wandelementen die notwendigen Schränke eingebaut. Soweit ist es ein freundliches, lichtes, aber auch konventionelles Organisationsschema. Der Kunstgriff der Architekten sind die schon erwähnten doppelgeschossigen, quadratischen Atrien zwischen den Fingern. Im Verlauf der Nord-Südachse bilden sie einen Versatz, scheinbar endlose Korridore werden so vermieden, stattdessen sind alle Abschnitte relativ kurz und überschaubar – Intimität statt Anonymität ist der Grundcharakter der ganzen Anlage. Entsprechend bilden die Atrien Zonen der Begegnung und schaffen mit der offenen Treppe Sichtbarkeit. Durch den hohen Hallencharakter funktioniert solch ein Atrium aber eben auch perfekt als Schalterbereich für den Bürgerservice oder, in vergrößerter Form im östlichen Gebäudetrakt, als Sitzungssaal.
Weiterbauen am „Häuser-Haus“
Es war der Zuwachs an Verwaltungsaufgaben, der zu Überlegungen zu einer Erweiterung des Landratsamts führte. Schließlich ging es um Flächen für 160 Arbeitsplätze, Besprechungs- und Sozialräume. Die Überraschung war dann, als von Auer Weber auf eine entsprechende Anfrage der Vorschlag kam, einfach weiterzubauen. Allerdings nicht nach Osten, wie es die Planungen aus den 1980er Jahren vorgesehen hatten, sondern nach Süden auf die Festwiese. Der Bestand sollte mit der Erweiterung einen visuell zusammenhängenden Komplex bilden, „dem Häuser-Haus“ sollten einfach weitere Häuser hinzugefügt werden. Und das ohne Glasfuge und ohne Verbindungssteg. Wo bleibt da das (immer auch symbolische und nicht nur technische) Zeitgenössische? Das war auch die Diskussion im Kreistag. Schließlich fiel die Entscheidung dennoch zugunsten einer Erweiterung der vertrauten Gebäudestruktur.
Ein Hybridbau aus den 1980er Jahren
Das Ziel, die Neuplanung weitgehend visuell an den Bestand anzuschmiegen, war auch möglich, weil die Außenerscheinung des Landratsamts so unaufgeregt ist, ohne Wendung hin zu einem postmodern-kunstgewerblichen Gestaltungsüberschuss, wie er sich bei Gebäuden aus dieser Zeit häufig findet. Nur das Türkis der Brüstungselemente lässt die Entstehungszeit erahnen – oder ließ es, bis zu dem neuen Erweiterungsbau. Ebenfalls ungewöhnlich für einen Verwaltungsbau aus den 1980er Jahren ist die Beton-Holz-Stahl-Hybridkonstruktion. Betonfertigteile in Gestalt eines doppelten H bilden im Zentrum des Baus steife Rahmen. Daran sind horizontal seitlich eingespannt hölzerne Zangen als Tragstruktur für die Decken, die dann über außenliegende, Holzstützen abgelastet werden. Die Tragwerke der Atrien sind als Stahlkonstruktion entstanden.
Dieser strukturelle Aufbau wurde adaptiert und – kaum sichtbar – modifiziert. Denn beim Blick auf die noch von Hand gezeichneten alten Pläne wurde schnell offensichtlich, dass sie weder im Brandschutz noch energetisch oder statisch den heutigen Anforderungen genügen – die Erweiterung ist, wie sollte es anders sein, ein Neubau. Entsprechend gibt es eine ausgedehnte Photovoltaikanlage auf dem Dach, die den Strom für die Grundwasserwärmepumpe erzeugt. Die Heizung und Kühlung erfolgt durch die Bauteilaktivierung der Stahlbetonverbunddecke. Darin integriert sind jetzt auch Leerrohre für die Beleuchtung und Elektroinstallation. Die Fassade besteht aus hochgedämmten Sandwichelementen mit Dreifachverglasung. Insgesamt wurde die Erweiterung ein KfW-55 Effizienzhaus.
Sichtbar ist die Adaption nur beim genauen Blick. Die Treppe im neuen Atrium etwa hat in den sägezahnförmigen Auflagern für die Stufen nicht mehr die kreisrunden, lochblechartigen Bohrungen, die in den 1980ern so modern waren. Auch die etwas verspielt gestalteten Ecken und türkis lackierten Metallstäbe zwischen der
gläsernen Brüstung und dem Handlauf sind verschwunden. Umgekehrt wurde die Idee aufgegeben, dass sich der Holzton der Außenstützen allmählich von selbst der Patina der Bestandsstützen angleicht; inzwischen sind sie in einem Grauton lasiert.
Das Neue – als ob es schon immer da gewesen wäre
Das Neue sollte nicht aussehen wie etwas Neues, sondern als ob es von vornherein da gewesen sei. Das sagt natürlich auch etwas über die Einschätzung des Bestands, nämlich, dass er vielleicht nicht zeitlos, aber auf jeden Fall in seiner ganzen Erscheinung ein noch immer gültiger Entwurf ist. Oder einfach nachhaltig gestaltet ist? Die Moderne trat mit der Vorstellung des Gebäudes als einem technischen Ingenieurentwurf an: Das (technisch bessere) Neue triumphiert über das Alte. Dieser Logik entspricht, dass das Neue auch immer als das aktuell Zeitgenössische erkennbar sein muss. Die legendäre Glasfuge ist nicht nur eine Distanzierung vom Vorgängerbau, sondern verbürgt gewissermaßen auch, dass auf der einen Seite der Fuge etwas Aktuelles und auf der anderen etwas Veraltetes zu finden ist. Mit dieser Logik bricht die Erweiterung in Starnberg. Ganz beiläufig verweist die optische Annäherung der Gebäudeteile darauf, dass sich zwar die Haustechnik weiterentwickelt, Baunormen und Produktionsverfahren sich ändern und natürlich mit der Veränderung der Gesellschaft auch die Nutzungserwartungen – sich das alles aber in einer schon gegebenen Baustruktur abbilden lässt. Sofern diese dafür elastisch, sprich adaptierbar genug ist. Das gilt vor allem, wenn ein Gebäude von vornherein konzipiert war, „kein Amt, keine Behörde, kein auftrumpfendes Gebäude“ (so die Jury 1989) zu sein. In seinem Statement als Jurymitglied zum DAM Preis 2023 schreibt Andreas Ruby: „Das Gebäude seinem ursprünglichen Entwurfsgedanken entsprechend weiterzubauen, ist ein bauliches Plädoyer für die prinzipielle Unabgeschlossenheit von Architektur.“ Trotzdem schmerzt das Türkis der Brüstungselemente etwas.
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