Museum Küppersmühle in Duisburg
Herzog & de Meuron haben nach einer Wiedervorlage das Museum Küppersmühle in Duisburg erweitert. Der Backsteinbau bietet ausreichend Platz für eine private Sammlung und vervollständigt als einer der letzten Bausteine im städtebaulichen Masterplan die Umwandlung des einst größten Binnenhafen Europas.
Text: Spix, Sebastian, Berlin
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Die aus zwei Quadern und einem dreieckigen Volumen bestehende Erweiterung bildet den Schlusspunkt derHafen-Revitalisierung. Ein Abstandsgebot zur 40 Meter entfernten A59 ergab Platz für einen Park aus Bäumen.
Foto: Simon Menges
Die aus zwei Quadern und einem dreieckigen Volumen bestehende Erweiterung bildet den Schlusspunkt derHafen-Revitalisierung. Ein Abstandsgebot zur 40 Meter entfernten A59 ergab Platz für einen Park aus Bäumen.
Foto: Simon Menges
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Der erste Erweiterungsentwurf von 2008 sah einen transluzenten Container vor, der auf die Silos gesetzt werden sollte. Ein Baustellenbrand sowie festgestellte gravierende Ausführungsmängel an den Schweißnähten sorgten für den Baustopp und der Entsorgung der unfertigen Stahlkonstruktion.
Visualisierung: Herzog & de Meuron
Der erste Erweiterungsentwurf von 2008 sah einen transluzenten Container vor, der auf die Silos gesetzt werden sollte. Ein Baustellenbrand sowie festgestellte gravierende Ausführungsmängel an den Schweißnähten sorgten für den Baustopp und der Entsorgung der unfertigen Stahlkonstruktion.
Visualisierung: Herzog & de Meuron
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Kunst und Tageslicht: Lange schmale Lichtschlitze in der Fassade prägen das äußere Erscheinungsbild der Erweiterung und belichten sorgsam die zusätzlichen 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche.
Foto: Simon Menges
Kunst und Tageslicht: Lange schmale Lichtschlitze in der Fassade prägen das äußere Erscheinungsbild der Erweiterung und belichten sorgsam die zusätzlichen 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche.
Foto: Simon Menges
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Auch die Übergänge zwischen den 36 neuen Galerieräumen sind von vertikalen Durchbrüchen geprägt.
Foto: Simon Menges
Auch die Übergänge zwischen den 36 neuen Galerieräumen sind von vertikalen Durchbrüchen geprägt.
Foto: Simon Menges
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Sitzgelegenheiten im Vorraum zwischen Silo und Galerien bieten die Möglichkeit zum Verweilen.
Foto: Simon Menges
Sitzgelegenheiten im Vorraum zwischen Silo und Galerien bieten die Möglichkeit zum Verweilen.
Foto: Simon Menges
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Durch das Herausnehmen von sechs inneren Röhren im Silo-Turm entstand ein atemberaubender, 45 Meter hoher Stahlschacht. Ein Betonbau auf den Silos bildet eine Dachterrasse aus. Zwei Stahlbrücken im ersten und zweiten Obergeschoss bilden im Hohlraum der Silos Übergänge zwischen Bestandsbau und neuer Erweiterung.
Foto: Simon Menges
Durch das Herausnehmen von sechs inneren Röhren im Silo-Turm entstand ein atemberaubender, 45 Meter hoher Stahlschacht. Ein Betonbau auf den Silos bildet eine Dachterrasse aus. Zwei Stahlbrücken im ersten und zweiten Obergeschoss bilden im Hohlraum der Silos Übergänge zwischen Bestandsbau und neuer Erweiterung.
Foto: Simon Menges
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Im größten Ausstellungsraum des Erweiterungsbaus wird aktuell eine Sonderschau mit Werken von Erwin Bechtold gezeigt.
Foto: Simon Menges
Im größten Ausstellungsraum des Erweiterungsbaus wird aktuell eine Sonderschau mit Werken von Erwin Bechtold gezeigt.
Foto: Simon Menges
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Treppe als Erlebnisraum: Im Prisma befindet sich ein Pendant zum Bestand.
Foto: Simon Menges
Treppe als Erlebnisraum: Im Prisma befindet sich ein Pendant zum Bestand.
Foto: Simon Menges
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Der ebenfalls mit Ziegelstaub rot gefärbte Sichtbeton wurde gebogen statt polygonal geformt.
Foto: Simon Menges
Der ebenfalls mit Ziegelstaub rot gefärbte Sichtbeton wurde gebogen statt polygonal geformt.
Foto: Simon Menges
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Prägnante Struktur: für das Mauerwerk der Ostfassade wurden knapp 1000 Klinkersteine gebrochen, handgeschliffen und verbaut.
Foto: Simon Menges
Prägnante Struktur: für das Mauerwerk der Ostfassade wurden knapp 1000 Klinkersteine gebrochen, handgeschliffen und verbaut.
Foto: Simon Menges
Julia Stoschek ist enttäuscht. Die Videokunstsammlerin und Erbin aus der Autozulieferer-Dynastie Brose sah sich 2020 mit einer „saftigen“ Mietsteigerung ihrer Ausstellungsräume im ehemaligen tschechischen Kulturzentrum in Berlin-Mitte konfrontiert. Seither moniert Stoschek einen Mangel an Wertschätzung ihres Engagements seitens der Berliner Kulturpolitik. Laut Zeit-Recherche ist die Kaltmiete der Sammlerin seit 2019 pro Quadratmeter von 1,66 Euro auf 3,50 Euro gestiegen. Zum Vergleich: Für ein Atelier im Ortsteil Berlin-Oberschöneweide wird von Kunstschaffenden mehr als das doppelte an Kaltmiete (4,50–7,50 Euro) verlangt. Ausstellungsräume in Großstädten sind rar, gerade für nicht arrivierte Künstler gibt es im Zentrum immer weniger Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten. Bekanntes Beispiel ist das ehemalige Berliner Kunsthaus Tacheles, dessen Areal seit 2019 unter der Generalplanung von Herzog & de Meuron zu einem neuen Stadtquartier mit Einkaufspassage (wiederbelebter Friedrichstraßenpassage), Büros, Mini-Appartements und einem Hotel umgebaut wird (
Bauwelt 23.2019).
Ortswechsel: Duisburg
Der Duisburger Innenhafen befindet sich bereits seit 1990 nach einem Masterplan von Norman Foster in städtebaulicher Transformation. Im Rahmen der internationalen Bauaustellung „Emscher Park“ sollte aus dem ehemals größten Binnenhafen Europas, der einstigen Kornkammer des Ruhrgebiets, ein Dienstleistungsareal mit Büro- und Wohnflächen, Gastronomie und Kulturangeboten werden (
Bauwelt 43.1999). Seither haben internationale Architekten wie Zvi Hecker (Jüdisches Gemeindezentrum), Dani Caravan (Garten der Erinnerung), Nicholas Grimshaw (Five Boats-Bürokomplex) und Ortner & Ortner (Landesarchiv NRW) am Industriepfad entlang des Ufers gebaut. Mit experimentellen Projekten wurden Akzente gesetzt und für eine Wiederbelebung des einst von der Stahlindustrie geprägten Eingangstor zum Rhein- und Ruhrgebiet gesorgt.
Unternehmer und Kunstmäzen
Eine besondere Aufgabe wurde bereits 1997 einem Industriedenkmal am östlichen Ende des Hafens zuteil: der Küppersmühle, einem Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert, der bis zu seiner Stilllegung 1927 als Mühle fungierte und dessen Abriss durch eine Bürgerinitiative verhindert wurde. Auf einem ehemaligen Kohle-, Holz- und Getreide-Umschlagplatz gelegen, sollte mit der Umwandlung zum Museum der letzte Baustein der Hafen-Transformation, die wenig kulturaffine und schrumpfende Halbmillionenstadt Duisburg endlich einen international strahlenden Kulturstandort bekommen. Immerhin haben die Nachbarn aus Essen das von David Chipperfield realisierte Museum Folkwang erhalten (
Bauwelt 5.2010), in Dortmund wandelten Gerber Architekten das einstige Kellereihochhaus in ein neues Kulturzentrum um (
Bauwelt 45.2010).
Da sich derartige Projekte mit gewünschtem „Bilbao-Effekt“ selten aus öffentlicher Hand finanzieren lassen, trat der Duisburger Bau- und Immobilienunternehmer Hans Grothe auf den Plan. Gemeinsam mit der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn initiierte er vor 22 Jahren den Museumsbau und fand in ihm ausreichend Platz für seine private Sammlung deutscher Nachkriegskunst. Darunter Werke von Anselm Kiefer, Sigmar Polke, A. R. Penck und Gerhard Richter. Mit der Aufgabe das ehemalige Speichergebäude zu einem modernen Museum umzurüsten, betraute Grothe damals Herzog & de Meuron. Quasi als Prolog ihres Entwurfs für die Tate Modern Gallery in London, verwandelten die Basler Architekten den Getreidespeicher in einen Kunsttempel aus variierenden White-Cube-Räumen und mit einer herausragenden Treppenskulptur aus terrakotta gefärbtem Beton (
Bauwelt 17.1999).
Gescheiterte Public-private-Partnership
Ob aus finanziellen Gründen oder weil die Preise am Kunstmarkt günstig standen, jedenfalls verkaufte Hans Grothe 2005 seine Kunstwerke an das Sammlerpaar Ströher – das Museum Küppersmühle hatte urplötzlich ein Platzproblem. Sylvia Ströher, Erbin des Darmstädter Kosmetikkonzerns Wella, verfügte ebenfalls über eine umfangreiche Sammlung deutscher Nachkriegskunst, die nun gemeinsam mit der Grothe-Sammlung auf 1500 Werke angeschwollen war. Ergänzend zu den vorhandenen 3500 Quadratmetern wurden 2008 erneut Herzog & de Meuron mit einem Erweiterungsentwurf für zusätzliche 2500 Quadratmeter beauftragt, welchen die Schweizer ähnlich der Hamburg Elbphilharmonie spektakulär auf dem Dach andocken wollten. Anstelle eines Zeltes, sollte eine riesige, leuchtende Ausstellungsbox auf den 45 Meter hohen Siloschächten der Küppersmühle schweben (
Bauwelt 48.2008). Doch das von den Ströhers gemeinsam mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEBAG als Public-private-Partnership entwickelte Projekt scheiterte grandios. Konstruktionsmängel am Stahlskelett und auf 30 Millionen Euro angewachsene Baukosten mündeten in der Pleite der Stahlbaufirma sowie einen beinah Konkurs der GEBAG (
Bauwelt 29.2011).
Privater Neustart
Drei Jahre nach dem Fiasko fingen die Ströhers durch die Gründung der Museum Küppersmühle Stiftung (MKM) die Kosten auf (bereits 2004 spülte der Verkauf von Wella an Procter & Gamble rund 3 Milliarden Euro in die Kassen des Ehepaars) und wurden alleinige Eigentümer. Ohne langes Zögern wagten sie einen Neustart und beauftragten Herzog & de Meuron zunächst mit einer Machbarkeitsstudie zum Ausloten des Erweiterungspotentials und schlußendlich mit einem neuen Entwurf. Der daraus folgende Ergänzungsbau der Schweizer, für den 2017 der Grundstein gelegt wurde (
Bauwelt 10.2017), fiel bei weitem nüchterner aus, als der gescheiterte Leuchtquader.
Quader und Prisma
Vergangenen September wurde der Neubau nach vier Jahren Bauzeit und einer kurzen pandemiebedingten Verzögerung eröffnet. Rein äußerlich betrachtet erinnert die gestalterische Handschrift, im Vergleich zum spektakulären Wolkenbügel, vielmehr an schweizerisches Understatement. Anhand drei unterschiedlicher Volumen wird der Bestand fortgeschrieben. Gemeinsam bilden sie in einem geometrischen Dreiklang aus zwei Quadern und einem dreieckigen Prisma einen neuen Kopfbau aus, der die Gebäudezeile des Hafenbeckens abschließt. Die Baukörper sind unterschiedlich hoch und orientieren sich hinsichtlich Volumen, Höhe (33, 30 und 27 Meter) und Material am Bestand. Über insgesamt 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche verfügen die beiden Kuben, das Prisma dient der Anlieferung, Versorgung und dem „Art-Handling“. Während sich die Gestalt hier an einer 40-Meter-Anbauverbotszone (im Osten befindet sich die A 59) orientiert, nehmen die Quader die Baugrenzen auf. Additiv zusammengefügt bleiben sie durch leichte Vorsprünge klar ablesbar. Die vorhandene Backsteinfassade wurde unprätentiös um den neuen Kopfbau fortgesetzt und unterscheidet sich vom Bestand einzig durch schmale vertikal „eingeschnittene“ Fensterschlitze anstelle „aufgefüllter“ Bestandsfenster.
Betreten wird das Museum nach wie vor durchdas Bestandsgebäude, an dessen östlicher Seite die beiden Quader angefügt wurden. In über vier Ober- und einem Untergeschoss ließen sich insgesamt 36 Räume in bewährter White-Cube-Gesalt unterbringen. Der mit 450 Quadratmeter größte und beeindruckendste Ausstellungsraum befindet sich im dritten Geschoss. Mit einer Raumhöhe von sieben Metern und einem für Industriehallen typischen Sägezahndach, bietet er ausreichend Platz für großformatige Arrangements, und es eröffnet sich ein einzigartiger Blick über den Hafen. Räumliches Verbindungselement bilden sechs ausgehöhlte Silos, die Herzog & de Meuron nicht als plastischen Selbstzweck dekorativ inszenieren, sondern als einzigartiges Erschließungsscharnier ausformulieren: Durch das Herausnehmen der inneren Silos, Deckenöffnungen und zwei Brückenverbindungen werden die Silos über die gesamte Höhe gleichzeitig zu einem Funktions- und beinah sakralem Erlebnisraum. Eine weitere Besonderheit bildet die im Dreiecksbau positionierte Sichtbetontreppe aus eingefärbtem Ziegelstaub. Anders als polygonal im Bestand, wurden die Wände des Treppenraums im Neubau organisch gebogen geformt. An dieser Stelle wiederholen die Architekten ihren konzeptionellen Kniff, den Museumsbesuch samt Kunstbetrachtung mit einem sinnlichen Wandelgang über ein bildhauerisches Kunstwerk, eine Treppenskulptur, abzuschließen.
Der Lauf der Dinge
Unbestritten reiht sich die Erweiterung nahtlos in das Schaffen der Schweizer ein, deren dezentes Gespür für Materialien und Oberflächen über die eigentliche Bauaufgabe herausragt. Das Ehepaar Ströher hat mit dem privat finanzierten Bau (die Summe wird nicht genannt) einen würdigen Ausstellungsort für seine Werke von Baselitz, Immendorf, Lüpertz und Co. bekommen. Auch die noch immer von der Loveparade-Katastrophe (2010) traumatisierte Stadt Duisburg mag sich von dem Leuchtturmprojekt einen Imagewechsel erhoffen. Es scheint allerdings der unbefriedigende Lauf der Dinge zu sein, dass derartige Großprojekte nur in privat finanzierten Rahmen realisiert werden können; von Vermögenden mit wertvoller Kunstsammlung. Der gemeine Duisburger bekommt Donnerstags freien Eintritt in die Küppersmühle, der gemeine Künstler wird weiterhin als Trüffelschwein und Vorhut die Speckgürtel der Metropolen nach bezahlbaren Werkstätten und Ausstellungsräume durchforsten.
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