Bauwelt

Blecherne Gemütlichkeit

Verkehrsberuhigung gut und schön, doch Blechlawinen dürfen nicht von Blechbeeten abgelöst werden. Ein kritischer Blick auf die Radwegführung in der Berliner Bergmannstraße

Text: Jäger, Frank Peter, Berlin

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Hochbeete, Wegmarken und Schilder lassen die Kiez-Straße im Nebulösen zwischen Verkehrslern­par­cours und Gemeinschaftsgarten.
Foto: Frank Peter Jäger

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Hochbeete, Wegmarken und Schilder lassen die Kiez-Straße im Nebulösen zwischen Verkehrslern­par­cours und Gemeinschaftsgarten.

Foto: Frank Peter Jäger


Blecherne Gemütlichkeit

Verkehrsberuhigung gut und schön, doch Blechlawinen dürfen nicht von Blechbeeten abgelöst werden. Ein kritischer Blick auf die Radwegführung in der Berliner Bergmannstraße

Text: Jäger, Frank Peter, Berlin

Außer Frage steht: Die Verkehrswende ist überfällig. Jeder Quadratmeter Stadt, der dem „motorisierten Individualverkehr“ abgetrotzt und von Fußgängern und Radfahrern genutzt werden kann, ist ein Gewinn. Das Auto muss in die Schranken gewiesen werden – nur: Müssen diese Schranken so hässlich sein? Die meisten von ihnen entfalten stadtzerstörerische Wucht.
Kürzlich bin ich in der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg gewesen, und habe meinen Augen kaum getraut. An einem Abschnitt der beliebten Flaniermeile hat das örtliche Tiefbau- und Grünflächenamt demonstriert, wie man sich die Vollendung der Verkehrswende vorstellt: Dem Autoverkehr bleibt eine Einbahn-Spur mit Buchten für die Anlieferung. Auf der anderen Straßenseite verläuft eine sattgrüne Radpiste mit Richtungsfahrbahnen und in der Mitte fläzen gräserbewachsene Pflanzkästen aus Blech, die Sitzinseln einfrieden. Der dem Autoverkehr abgetrotzte Raum ist zugestellt und funktionsgetrennt zergliedert – statt gewonnener Aufenthaltsqualität nichts als Blechkisten, Poller, Schwellen und ein Wald Verkehrsschilder. Dazu ein wildes Ornament von Fahrbahnmarkierungen, das noch aus dem Weltall zu erkennen sein dürfte.
Dies ist nur ein Beispiel unter vielen. Zahlreiche deutsche Kommunen sind bemüht, die Verkehrswege baulich umzusetzen. So unstrittig das Anliegen, so frappierend ist, wie sich Fehler aus der Frühzeit der baulichen Verkehrsberuhigung wiederholen. Einer ihrer Pioniere, der kürzlich verstorbene Architekt Hans-Henning von Winning, hat bereits 1982 in seinem Planungs-Ratgeber „Verkehrsberuhigung“ vor der „Gefahr einer Übermöblierung und Vergärtnerung“ bau­licher Verkehrsberuhigung gewarnt.
Von Seiten des Berliner Bezirks heißt es, die derzeitige Gestaltung des Straßenabschnitts sei temporär und setze die „Kernerkenntnisse“ eines achtjährigen Beteiligungsprozesses um. Dies erlaube „flexibel zu reagieren und ggf. nachzusteuern“. Der experimentierfreudige Ansatz ist den Planungsverantwortlichen zugute zu halten. Ebenso, dass für die dauerhafte Lösung ein freiraumplanerischer Wettbewerb ausgelobt werden sollen. Doch heißt es in der Stellungnahme weiter: „Die temporäre Lösung nimmt die künftige endgültige Aufteilung des Straßenraums vorweg.“ Welche Spielräume bleiben da im Wettbewerb? Die für eine Straße ohne Durchgangsverkehr übertriebene Fragmentierung der Verkehrsfläche wäre demnach ebenso gesetzt wie die Idee, die Verkehrsinseln in pflanzkübelbewehrte Stuhlkreise zu verwandeln.
Gerade in öffentlichen Räumen mit Funktionsüberlagerung ist bei solch wohlmeinenden Qualifizierungen der Grat zwischen einem Mehr an Aufenthaltsqualität und Beliebigkeit (oder visueller Verwahrlosung) schmal. Der Drang, den Straßenraum in eine Art Kiezwohnzimmer zu verwandeln, erinnert an die Verkehrsberuhigungspraxis der 1980er Jahre. Als „Verordnete Gemütlichkeit“ verspottete Wolf Jobst Siedler das seinerzeit.
Auch der Architekt und Stadtforscher Vittorio Magnago Lampugnani hält es für einen Irrweg, „dass die Klimaagenda nun dazu führen muss, dass wir alle Straßen bepflanzen, ohne auf ihre architektonische und historische Identität zu achten“. Die umgestaltete Bergmannstraße habe „nichts mit Berlin zu tun, nichts mit Kreuzberg und nichts mit Urbanität“. Vor jeder dauerhaften Umgestaltung müsse die Frage stehen: Welchen Charakter soll diese Straße künftig haben?
Planer wie Georg Wasmuth versuchen dieses Credo in die Praxis zu tragen. Für die Berliner Stadtentwicklung betreut der Architekt seit vielen Jahren Bezirke bei der Umgestaltung von Straßen. Dabei versucht er, die Anforderung an Straßenräume – vom sicheren Radverkehr bis zu den Belangen Gehbehinderter – mit gestalterischen Mindeststandards zu verbinden. Auf die Bergmannstraße angesprochen, seufzt er. Lange sei es Konsens gewesen, Poller und andere Gestaltungselemente möglichst zu minimieren. Er habe stets vor dem Vermüllen des Stadtraums gewarnt. „Aber damit treffe ich in den Entscheidungsgremien heute kaum noch auf Verständnis.“ Der massiv geschützte Radweg sei u.a. als Reaktion auf zugeparkte Radstreifen derzeit sehr populär. In aller Regel würden die Maßnahmen „in sehr ingenieurhafter und DIN-fixierter Weise“ umgesetzt.
Fazit: Für die bauliche Verwirklichung der Verkehrswende ist das Einbinden entwerferischer Expertise dringend nötig. Maximalforderungen von Verkehrswende-Aktivisten und städtebau­lichen Ansprüche ließen sich so sehr wohl in integrierte Gestaltung überführen.

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