Gesundheitskioske in Thüringen
Die Bundesregierung plant die Errichtung von 1000 Gesundheitskiosken, kleinen Anlaufstellen medizinischer Versorgung. Unabhängig von der Initiative – als Vorreiter im ländlichen Raum – eröffneten in der Thüringer Region Seltenrain zwei erste Exemplare.
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
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Um eine soziale und medizinische Grundversorgung zu gewährleisten, haben sich in Seltenrain sechs Dörfer zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. In vier der Ortsmitten, jeweils an einer Bushaltestelle, entstehen die Gesundheitskioske.
Foto: Thomas Müller
Um eine soziale und medizinische Grundversorgung zu gewährleisten, haben sich in Seltenrain sechs Dörfer zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. In vier der Ortsmitten, jeweils an einer Bushaltestelle, entstehen die Gesundheitskioske.
Foto: Thomas Müller
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Bereits fertig sind Exemplare ...
Foto: Thomas Müller
Bereits fertig sind Exemplare ...
Foto: Thomas Müller
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... in Kirchheiligen ...
Foto: Thomas Müller
... in Kirchheiligen ...
Foto: Thomas Müller
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... und in Urleben.
Foto: Thomas Müller
... und in Urleben.
Foto: Thomas Müller
Der Unstrut-Hainich-Kreis im nördlichen Thüringen zählt nicht gerade zu den vielbesuchten Gegenden Deutschlands. Himmelweite Feldfluren erstrecken sich von Bad Langensalza bis zum Kyffhäuser, vereinzelt hineingestreut Dörfer mit alt klingenden Namen: Urleben, Kirchheilingen, Sundhausen, Tottleben, Blankenburg, Bruchstedt. Diese sechs haben sich zur „Dorfregion Seltenrain“ zusammengeschlossen, einem Verbund bürgerschaftlicher Initiativen, um dem Strukturwandel zu begegnen, der das Leben im ländlichen Raum immer mehr erschwert. Besonderes Augenmerk gilt der Daseinsvorsorge. Für eine zunehmend alternde Bevölkerung bedeuten immer größere Entfernungen zu Ämtern, Ärzten und anderen Pflegedienstleistungen einen deutlichen Verlust an Lebensqualität. Der Wegzug vieler Jugendlicher lässt die ältere Generation mit dem Gefühl zurück, wortwörtlich allein gelassen zu werden.
Seit 2011 bemühen sich in der Region Seltenrain die gemeindeübergreifende „Stiftung Landleben“ und der Verein „Landengel e.V.“ um den Aufbau eines Gesundheits-, Pflege- und Versorgungsnetzwerks. Mit Unterstützung des Thüringer Sozialministeriums wird dabei ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt: Drei vom Verein angestellte Mitarbeiterinnen sollen in den Dörfern Sprechstunden anbieten; erfahrene Krankenschwestern, an die sich die Leute zu festen Sprechstunden um Rat wenden können, nicht bloß medizinisch, sondern in allen Lebensfragen.
„In gewisser Weise läuft das auf eine Wiederkehr der Gemeindeschwestern hinaus, die es hier bis 1990 gegeben hat“, sagt Christopher Kaufmann, Vorsitzender des Landengel e.V., „ein Service, den wir im ländlichen Raum für unersetzbar halten und der sich sicher wieder durchsetzen wird. Wir fangen in Thüringen einfach schon mal an.“
Anmutung eines Containers vermeiden
Einen wichtigen Impuls auf dem Weg zu besserer sozialer Fürsorge erhoffen sich die Aktiven des Vereins von vier Gesundheitskiosken, kleinen Bauten, die an zentralen, allen Anwohnern vertrauten Orten mehrere Angebote vereinen: Gesundheits- und Sozialberatung, Internet-Zugang, Bushalte mit digitalem Infoscreen für Fahrpläne und allerhand Dorfnachrichten. Das aus Kostengründen mehrfach reduzierte Raumangebot besteht jetzt aus einem Beratungsraum – 25 Quadratmeter, durch Vorhänge teilbar – und einem WC. Trotz des Minimalprogramms war die Anmutung eines mobilen Containers unbedingt zu vermeiden. Solide Fundamente und terrassenartige Sockelplatten sollen Signale für Verlässlichkeit aussenden. Und da jeder der vier Bauplätze andere Verhältnisse aufweist – in Urleben sogar einen kleinen Hang – fällt doch einiges an Gründungsmaßnahmen an. Gebaut wird mit lokalen Handwerksbetrieben, stadttechnische Anschlüsse richten sich nach den Gegebenheiten des Dorfes. Bei nur stundenweiser Nutzung der Kioske gilt eine Infrarotheizung als angebracht, der Solarstrom kommt vom Dach. Und als Sponsoring gibt der Energieversorger für jeden Kiosk eine Ladesäule für Elektroautos und -räder dazu.
Mit Unterstützung der IBA Thüringen, die die Initiative dankbar in ihren Projektekatalog aufnahm, wurde nach einer beschränkten Ausschreibung das in Berlin ansässige Büro PASEL-K Architects mit sämtlichen Entwurfs- und Planungsleistungen für die Kioske beauftragt. Trotz derselben Aufgabe in allen Dörfern haben die Architekten vier individuelle Gehäuse entworfen, die aber dank immer gleicher Materialpalette als verwandte „Charaktere“ erscheinen. Ziel ist, dem sozialen Versorgungsangebot Sichtbarkeit zu geben. Den einfachen Holzständerbauten wurden Lattenraster in geometrischen Variationen vorgeblendet, deren optische Prägnanz (und damit Werbewirksamkeit) indessen bald vergrauen dürfte: Wiederum aus Kostengründen musste nicht nur auf High-Finish-Fertigbauelemente aus süddeutschen Schreinereien verzichtet werden, sondern auch auf allen üblichen Verwitterungsschutz. Die Höllentour der Fördermittelsuche konnte auch die IBA den Projekten nicht ersparen. Danach standen der Stiftung Landleben rund 100.000 Euro pro Objekt zur Verfügung. „Da wurde mitunter hart um ‘nen Zwanziger verhandelt“, berichtet der Architekt. Jetzt, da sie fertige Exemplare vorweisen können, stehen die Seltenrainer nicht mehr so allein da. Zur Einweihung derersten Kioske in Urleben und Kirchheilingen im November waren aus Erfurt der Ministerpräsident, aus Berlin ein Staatssekretär angereist. Sieben Wochen zuvor hatte der Bundesgesundheitsminister mit der Meldung überrascht, dass „langfristig 1000 Gesundheitskioske bundesweit aufgebaut werden“ sollen, „initiiert von den Kommunen, finanziert mehrheitlich von den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen“.
Kommt tatsächlich eine Bewegung in Gang? Um füreinander Orte zu schaffen, an denen sie gesellig zusammenkommen können, wollten sie beim Landengel e.V. auf den Staat nicht warten. „Da wird das Engagement von der Basis her doch gebraucht“, sagt Kaufmann. Bekommt also, nach „Tante Emma“ für den ländlichen Handel, demnächst auch „Gemeindeschwester Gisela“ wieder eine Chance?
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