Schiffshebewerk in Niederfinow
Seit 90 Jahren wird in Niederfinow demonstriert, dass auch Schiffe in die Höhe steigen können. Ein neues Schiffshebewerk soll nun das alte in seiner Leistung übertreffen.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
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Die Hebewerke laufen über Seilgewichtsausgleichsketten: Hängende Schwergewichte werden abgelassen, der Trog wandert hinauf – und umgekehrt.
Die Hebewerke laufen über Seilgewichtsausgleichsketten: Hängende Schwergewichte werden abgelassen, der Trog wandert hinauf – und umgekehrt.
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1934 eröffnete das erste Schiffshebewerk. 2007 als „Historisches Wahrzeichen der Ingeineursbaukunst“ ausgezeichnet, erreicht es sein Nutzungsende: Der Stahl wird spröde, auch sind die Schiffsgrößen gestiegen. Es dient vorerst noch als Ausweichswerk.
Foto: BAW
1934 eröffnete das erste Schiffshebewerk. 2007 als „Historisches Wahrzeichen der Ingeineursbaukunst“ ausgezeichnet, erreicht es sein Nutzungsende: Der Stahl wird spröde, auch sind die Schiffsgrößen gestiegen. Es dient vorerst noch als Ausweichswerk.
Foto: BAW
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Aufgereihte, motorenbetriebene Seilscheiben heben und senken den Trog und die Betongewichte.
Foto: Florian Thein
Aufgereihte, motorenbetriebene Seilscheiben heben und senken den Trog und die Betongewichte.
Foto: Florian Thein
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Blick in die imposante, an ein Kirchenschiff erinnernde Tiefe des 55 Meter hohen Gebäudes.
Foto: WNA
Blick in die imposante, an ein Kirchenschiff erinnernde Tiefe des 55 Meter hohen Gebäudes.
Foto: WNA
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Der neue Trog hebt zweilagige Container- und Großmotorenschiffe mit bis zu 110 Meter Länge. Noch liegen die Fahrzeugzahlen aber hinter der Prognose zurück.
Foto: Florian Thein
Der neue Trog hebt zweilagige Container- und Großmotorenschiffe mit bis zu 110 Meter Länge. Noch liegen die Fahrzeugzahlen aber hinter der Prognose zurück.
Foto: Florian Thein
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Gegengewichte und Trog in Wechselbewegung.
Foto: Florian Thein
Gegengewichte und Trog in Wechselbewegung.
Foto: Florian Thein
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Längsschnitt
Abb.: Verfasser
Längsschnitt
Abb.: Verfasser
Es knackt, ein knallendes Echo sich straffender Stahlseile durchfährt den Riesen. Auf seinen Schultern, einer Galerie mit Blick über die vom eisigen Wind durchkämmte Landschaft, drehen sich 56 Doppelseilrollen von je vier Meter Durchmesser. 110 Gegengewichte aus Schwerbeton, quaderförmig zusammengepresst, gleiten zwischen den Stützen hinab. 10.000 Tonnen, die der Riese achtsam und langsam zu Boden bewegt wie ein Gewichtheber, der seine Hantel nicht fallen lassen will. Gleichzeitig, und von oben erst auf den zweiten Blick erkennbar, erhebt sich zu den Füßen das Wasser. Als wäre ein über 100 Meter langes Stück aus dem Kanal geschnitten, wandert ein Trog voll ockergrauer Masse hinauf, Meter für Meter. Auf der erstaunlich ruhigen Oberfläche schwimmt ein dem Spiel ausgeliefertes Touristenschiff, dessen Belegschaft für ein Gruppenselfie zur Reling eilt.
Ein beeindruckender Akt der Naturbeherrschung, aber Alltag in Niederfinow, einer dünn besiedelten Gemeinde im Osten Brandenburgs. Ein neues Schiffshebewerk soll ein altes ersetzen und hier jedes Jahr über 12.000 Wasserfahrzeuge 36 Höhenmeter hinauf- und hinabbringen. Seit der Eröffnung des Finowkanals, der Oder und Havel verbindet, pendeln Schiffe und Boote von Stettin nach Berlin und umgekehrt. Zunächst meisterten sie die anfallenden Höhenunterschiede via Schleusen. 1934 eröffnete das erste Schiffshebewerk, eine damals wie heute beachtliche Ingenieursleistung, dem mit der Fertigstellung im Jahr 2022, ein zweiter, noch größerer Schiffsfahrstuhl zur Seite gestellt wurde. Mit jeder neuen Schleuse, jedem neuen Hebewerk war ein Quantensprung verbunden – in den Schiffsgrößen, Transportkapazitäten und der Fahrtdauer. Ohne den kontinuierlichen Ausbau der Havel-Oder-Wasserstraße, so pathetisch es klingen mag, wäre Berlins Wachstum in den vergangenen 250 Jahren nicht derart expansiv vonstattengegangen.
Das neue Hebewerk eröffnete im Oktober nach 18 Jahren Planungs- und Bauzeit – acht Jahre mehr als veranschlagt. Es entstand im Auftrag des Wasserstraßen-Neubauamts Berlin, auf Grundlage einer Machbarkeitsstudie, aber leider ohne Planungswettbewerb. Generalauftragnehmer wurde eine Bietergemeinschaft unter Leitung der Bilfinger Berger AG, heute Implenia. Verantwortlich zeichnete bis zur Pensionierung 2012 der Architekt und Ingenieur Udo Beuke, Leiter einer Sonderstelle des damaligen BMV mit Zuständigkeit für die Gestaltung der Wasserbauwerke und Brücken der Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Am Anfang stand die Konstruktion, sagt Beuke im Rückblick, dann folgte die Architektur. Und doch war es seine ausdrückliche Aufgabe, dem Infrastrukturprojekt eine angemessene Gestalt zu geben.
Entfernte Verwandte
Ein Neubau neben einem typologischen verwandten Industriedenkmal hat einen schweren Stand. Man baut unweigerlich am Vergleichsobjekt. Beuke versuchte daher erst gar nicht, die benachbarte, filigrane Maschinenschönheit zu übertrumpfen. Stattdessen soll ein großer Fachwerkträger, der keine statische Funktion hat, ehrerbietend das alte Werk zitieren.
Die Farbwahl fiel auf die dominante Kombination aus Blau und Gelb, laut Beuke nach einer internen Abstimmung im Amt: Die blauen Teile seien statisch, die gelben, wie die Seilrollen, dynamisch. Das Farbduett wirkt jedoch eher wie das Branding einer Firma, das sich auch über andere Teile des Areals, von der Wegbeleuchtung über Sitzmobiliar bis hin zum Infopavillon, zieht. (Es war auch der zuerst errichtete Infopavillon mit seiner Alufassade, dem die Aluverkleidung der obigen Seilscheibenhallen ähneln sollte.)
Während auf der Innenseite der Besuchergalerie hohe Fenster noch einen guten Einblick ins Innenleben der sich drehenden Scheiben gewähren, ist das Maschinentreiben von außen nur durch schmale Fensterbänder zu erspähen. Die Pultdächer basieren wiederum auf einem Darstellungsmittel der Bildhauerei: Die tragenden Pylonen kragen oben so nach außen wie zwei Figuren im Kontrapost, also in der balancierten Schieflage des Körpers mit Stand- und Spielbein. Nach unten verjüngen sich die Stützen. Als Ausgleich senken sich die Pultdächer nach innen wie die Schultern zweier Figuren, die zur Seite kippen und das Gebäude in zwei entgegengesetzte Richtungen ziehen.
Während all das nach längerer Betrachtung zu erahnen ist, wird es für die jährlich 150.000 Besucher, die eine Erläuterung nicht zur Hand haben, wohl schwieriger zu erkennen sein. Das alte Schiffshebewerk ist in seiner unverhüllten Schlichtheit der Inbegriff des Technologiezeitalters: funktional, mächtig, auch ehrfurchtgebietend, als hätte nicht ein Mensch das Gebäude erschaffen, sondern die Maschine sich selbst. Beim neuen Werk legt sich ein Mantel menschlicher Formsprache über das technische Eigenleben. Rechtliche Vorgaben und Sicherheitsbedenken von der Erhitzung des Stahlbetons bis zur Taubenplage mindern eine Öffnung, kopflastige Leitbilder bestimmen die Gestalt.
Auf den zweiten Blick ist der Neubau damit auch Kind der Gegenwart, ist es doch der fromme Wunsch unseres Jahrhunderts, die technischen Errungenschaften in kontrollierbare Bahnen zu lenken und einem menschlichen Gestaltungswillen zu unterwerfen. Ohne die Leistungskraft zu mindern, sondern um sie gestärkt in die Zukunft zu retten.
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