Volkstheater in München
Mitte Oktober eröffnet das neue Volkstheater auf dem Viehhof im Münchener Süden. Der Neubau von Lederer Ragnarsdóttir Oei nimmt Anleihen an der Architektur der 1920er Jahre, weist aber auch der Entwicklung des geplanten Quartiers den Weg.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
-
Blick vom Münchner Eisenbahnsüdring nach Norden zum neuen Volkstheater
Foto: Roland Halbe
Blick vom Münchner Eisenbahnsüdring nach Norden zum neuen Volkstheater
Foto: Roland Halbe
-
Der große Bogen markiert den Hauptzugang an der Tumblinger Straße, ...
Foto: Roland Halbe
Der große Bogen markiert den Hauptzugang an der Tumblinger Straße, ...
Foto: Roland Halbe
-
... doch ist der Hof auch über einen Durchgang im Altbau von der Zenettistraße zu betreten.
Foto: Roland Halbe
... doch ist der Hof auch über einen Durchgang im Altbau von der Zenettistraße zu betreten.
Foto: Roland Halbe
-
Das Volkstheater schließt an einen denkmalgeschützten, konservativen Bau aus den 1920er Jahren an, der den Viehhof zur Zenettistraße begrenzt. Formal fanden LRO andere Bezüge.
Foto: Roland Halbe
Das Volkstheater schließt an einen denkmalgeschützten, konservativen Bau aus den 1920er Jahren an, der den Viehhof zur Zenettistraße begrenzt. Formal fanden LRO andere Bezüge.
Foto: Roland Halbe
-
Die zum Hof weisende Putzfassade des Altbaus war einst eine Innenwand der angrenzenden Hallen.
Foto: Roland Halbe
Die zum Hof weisende Putzfassade des Altbaus war einst eine Innenwand der angrenzenden Hallen.
Foto: Roland Halbe
-
Der Haupteingang schiebt sich auf viertelkreisförmigem Grundriss, ...
Foto: Roland Halbe
Der Haupteingang schiebt sich auf viertelkreisförmigem Grundriss, ...
Foto: Roland Halbe
-
... die Treppe als Halboval in den Hof. Oben die Dachterrasse über dem Haupteingang
Foto: Roland Halbe
... die Treppe als Halboval in den Hof. Oben die Dachterrasse über dem Haupteingang
Foto: Roland Halbe
-
Die Farben im langgestreckten Foyer sind vom Goethehaus in Weimar inspiriert.
Foto: Roland Halbe
Die Farben im langgestreckten Foyer sind vom Goethehaus in Weimar inspiriert.
Foto: Roland Halbe
-
Der Bartresen im Vordergrund wurde in Ortbeton erstellt und wird vom angrenzenden Gastronomiebereich versorgt.
Foto: Roland Halbe
Der Bartresen im Vordergrund wurde in Ortbeton erstellt und wird vom angrenzenden Gastronomiebereich versorgt.
Foto: Roland Halbe
-
Der Große Saal bietet Platz für 600 bis 800 Zuschauer, abhängig davon, ob die vorderen Sitzreihen dem
Orchestergraben weichen müssen. Die vom Theater zur Förderung der Konzentration gewünschte Ausführung als „Black box“ haben die Architekten um Wandleuchten aus Blumentöpfen ergänzt.
Foto: Roland Halbe
Der Große Saal bietet Platz für 600 bis 800 Zuschauer, abhängig davon, ob die vorderen Sitzreihen dem
Orchestergraben weichen müssen. Die vom Theater zur Förderung der Konzentration gewünschte Ausführung als „Black box“ haben die Architekten um Wandleuchten aus Blumentöpfen ergänzt.
Foto: Roland Halbe
-
Die kleinen Fotos zeigen die Probebühne ...
Foto: Roland Halbe
Die kleinen Fotos zeigen die Probebühne ...
Foto: Roland Halbe
-
... und Saal 2, der 200 Zuschauer fasst. Hubböden ermöglichen verschiedene Raumsituationen.
Foto: Roland Halbe
... und Saal 2, der 200 Zuschauer fasst. Hubböden ermöglichen verschiedene Raumsituationen.
Foto: Roland Halbe
-
An der Südwestseite, zum Eisenbahnring, liegt die Anlieferung. Aus der Distanz ist der geschichtete Aufbau des Bauvolumens gut erkennbar.
Foto: Roland Halbe
An der Südwestseite, zum Eisenbahnring, liegt die Anlieferung. Aus der Distanz ist der geschichtete Aufbau des Bauvolumens gut erkennbar.
Foto: Roland Halbe
-
Ostecke, mit Neu- und Altbau
Foto: Roland Halbe
Ostecke, mit Neu- und Altbau
Foto: Roland Halbe
-
Der Bühnenturm misst innen 35 Meter Höhe, 17 Meter davon bohren sich in die Tiefe.
Foto: Roland Halbe
Der Bühnenturm misst innen 35 Meter Höhe, 17 Meter davon bohren sich in die Tiefe.
Foto: Roland Halbe
-
Der große Werkstattbereich hinter den Bühnen zeigt eine rauhe, industrielle Ästhetik, die für Gebäude von LRO eher untypisch ist.
Foto: Roland Halbe
Der große Werkstattbereich hinter den Bühnen zeigt eine rauhe, industrielle Ästhetik, die für Gebäude von LRO eher untypisch ist.
Foto: Roland Halbe
Ein Tisch im Hof, darauf eine Espresso-Tasse, ein Aschenbecher und ein Buch. Rechts davon orangefarbenes Ziegelmauerwerk, links eine schrundige Putzfassade. Oben drüber tropfenförmige Glasleuchten, die an über den Hof gespannten Leitungen hängen. Noch darüber: weißblauer August.
Ich stehe vor einem Arbeitsplatz. Es ist ein schöner Ort: zum Kaffeetrinken, zum Rauchen und zum Lesen, und bestimmt kann man über all dem auch Ideen entwickeln. An diesem frühen Nachmittag aber nicht – der Strom der Besucher, Neugierigen, Mitarbeiter will nicht abreißen. Ständig gibt es für Christian Stückl etwas zu zeigen, zu erklären, zu erörtern. Aber der Intendant des Münchener Volkstheaters wirkt nicht ungehalten ob der Störungen seines vielleicht anders erhofften Tages, ganz im Gegenteil. Vielleicht hat er das anbrausende Interesse auch nicht anders erwartet, und Tisch, Buch, Kaffeetasse und Aschenbecher sind nur das Bühnenbild für eine Inszenierung: Theater kurz vor der Eröffnung. Wie auch immer, Stückl scheint es kaum erwarten zu können, die neue Spielstätte in Betrieb zu nehmen. Lange muss er sich nicht mehr gedulden: Am 15. Oktober können der Intendant, die Schauspieler, die Handwerker und Techniker den Neubau auf dem Viehhofareal und damit die neue Spielzeit eröffnen.
So freudig-erwartungsvoll der Intendant, so zufrieden ist auch der Architekt. Arno Lederer, der mit seinem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei den Neubau entworfen hat, scheint mit dem gebauten Resultat ohne Abstriche d’accord – Ergebnis der Arbeit eines Teams, wie er betont; aus eingespielten Planern und Fachplanern, einem architekturaffinen Bauunternehmer, mit dem LRO nicht zum ersten Mal kooperierten, sowie Nutzer und Bauherrin. Das hier Erreichte steigert aber nicht nur die Vorfreude auf die neue Spielstätte bei Beteiligten und Publikum – es legt auch die Messlatte hoch für die Entwicklung, die noch aussteht. Der Neubau des Theaters an der Tumblinger Straße ist schließlich nicht nur das glückliche Ende eines lange ertragenen Provisoriums – bis Juni war das Volkstheater in einer in den achtziger Jahren umgebauten Turnhalle untergebracht –, es ist auch der Auftakt für das Stadtentwicklungsprojekt auf dem Viehhofgelände: Ob der „Spirit“, der den Kulturbau trägt, stark genug ist, auf dessen Realisierung auszustrahlen, wird sich in ein paar Jahren erweisen.
Wer aus Berlin kommt, wird sich von dem neuen Münchener Volkstheater unweigerlich an Erich Mendelsohns Schaubühne erinnert fühlen. Die Rundungen der Baukörper, ihr Mauerwerk aus flachen Ziegeln (hier in München ohne vermörtelte Stoßfugen, sondern mit direkt gestoßenen Steinen), der gestaffelte Aufbau des Volumens, der Turm als Signet im Stadtraum: Elemente jener Zwischenkriegsmoderne, die dem Rausch der Großstadt – dem Taumel der Vergnügungswilligen auf den abendlichen Trottoirs, den Leuchtreklamen über ihnen, die den Prunk der Welt von gestern in den Schatten stellten, dem tosenden Verkehr, aus dem heraus sich bauliche Details nur noch als zu horizontalen Linien zusammengeschoben wahrnehmen ließen – in Form im Raum zu übersetzen und zu verstärken wussten. Und noch die Todesangstschreie der Rinder, die im Schlachthof auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihr Ende ahnen, wecken Erinnerungen an jene Ära, an Döblins „Berlin, Alexanderplatz“ und das verstörende Schlachthofkapitel darin. Der „Alexanderplatz“ wurde erst im vergangenen Jahr im Kino zu neuem Leben erweckt, übertragen auf die Berliner Gegenwart, und auch der Erfolg einer Serie wie „Berlin Babylon“ oder die Neuverfilmung von Kästners „Fabian“ zeigen, wie sehr die Großstadtmoderne der Zeit um 1930 bis heute fasziniert.
Andererseits: In München, der späteren „Hauptstadt der Bewegung“ – womit nun gerade keine kreischenden Trams und heulenden Sechs-Zylinder-Reihenmotoren gemeint war –, hatte sich eben diese Moderne kaum etablieren können. Robert Vorhoelzers Postgebäude am Goetheplatz, nicht weit entfernt vom Viehhof, liegt auf dem Weg und kommt den Ideen und Experimenten in der Reichshauptstadt wohl noch am nächsten – es steht in voller Pracht da. Ein verspätetes Beispiel der Berliner Großstadtmoderne hingegen, das Landesversorgungsamt der Brüder Luckhardt, wurde 1989, wenig mehr als drei Jahrzehnte nach seiner Fertigstellung, bereits wieder abgerissen. Ob der Boden hundert Jahre später bereitet ist? Sich die „Klassische Moderne“ an der Tumblinger Straße als quasiliterarisches, dramatisches Zitat mit dem bayrischen „Prosit der Gemütlichkeit“ vertragen wird? Als „Volkstheater“? Schockmomente immerhin hält der Bau von LRO keine bereit oder überlässt sie den Inszenierungen, und die Süddeutsche Zeitung, der sich bei jedem Gedanken an Berlin die Zeilen sträuben, jubelt, dass Kosten und Termine eingehalten worden sind. Na denn, München, wohl bekomm’s!
Auffälligstes Zeichen neben dem kleinen Turm und – aus der Ferne sichtbar werdend – dem hochragenden Bühnenturm ist der weit gespannte Bogen zwischen dem Theaterneubau und dem denkmalgeschützten Altbau an der Ecke Zenettistraße, der als Sitz der Verwaltung, als Wohnhaus für Schauspieler und als Kinderwerkstatt Teil des Projekts geworden ist. Durch den Bogen hindurch, und man steht auf dem Innenhof, der ein Raum des Publikums ist: Hier liegt der Haupteingang, die Gastronomie öffnet sich hierher, und aus dem Obergeschoss des Foyers kann man auf eine Dachterrasse treten und das Pausengeschehen von oben betrachten. Der Hof hat noch einen zweiten Eingang, über die Durchfahrt an der Zenettistraße. An dieses langgestreckte Gebäude schlossen ursprünglich Hallen an, die abgerissen wurden, die Putzfassade auf dieser Seite wurde ausgebessert, aber nicht perfektionistisch renoviert: ein Kontrast, der ein bisschen Industrial Chic verströmt, den Theatermenschen mögen, welcher im Übrigen aber keine Rolle spielt.
Sukzessive Öffentlichkeit
Für Arno Lederer ist Theater mehr als eine reine Produktionsmaschine – es ist auch ein Ort, der eine gewisse Festlichkeit ausstrahlen darf, und der auch zum Verweilen und Reflektieren des Gesehenen einladen soll. Dafür sind die „Zwischenräume“ maßgeblich, die Bereiche also zwischen Stadt und Theatersitz. Für den Architekten enthält das Projekt zwei klar voneinander getrennte Bereiche: den Teil des Publikums und der Stadt und den der Produktion. Der Rahmen um die Bühne ist die Schnittfläche dieser beiden, und wenn man in der gewaltigen Stahlkonstruktion des innen 35 Meter hohen Bühnenturms steht und in den Zuschauerraum des großen Saals schaut, der plötzlich ziemlich klein wirkt, dann ist das Verhältnis der beiden Teile zueinander auch deutlich. Was nicht misszuverstehen ist, denn an Bedeutung für das Projekt wiegt der kleinere, öffentliche Teil mindestens ebenso viel.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare