Der Sprung über die Elbe
Der neue Stadtteil „Grasbrook“ soll Hamburg mit seiner Südinsel verknüpfen und die Elbe in die Mitte der Stadt rücken. Neue Fährverbindungen und die Verlängerung der U4 stehen als Werkzeuge zur Verfügung, ein neues Hafenmuseum macht den Anfang als möglicher Magnet. Die Wettbewerbsteilnehmer waren gefragt, die Funktionsfähigkeit des neuen Stadtgebiets als Nahtstelle unter Beweis zu stellen.
Text: Lülfsmann, Ina, Berlin
Der Sprung über die Elbe
Der neue Stadtteil „Grasbrook“ soll Hamburg mit seiner Südinsel verknüpfen und die Elbe in die Mitte der Stadt rücken. Neue Fährverbindungen und die Verlängerung der U4 stehen als Werkzeuge zur Verfügung, ein neues Hafenmuseum macht den Anfang als möglicher Magnet. Die Wettbewerbsteilnehmer waren gefragt, die Funktionsfähigkeit des neuen Stadtgebiets als Nahtstelle unter Beweis zu stellen.
Text: Lülfsmann, Ina, Berlin
Der kleine Grasbrook liegt gegenüber der Hamburger HafenCity, am Südufer der Elbe. Er wurde um 1850 für die Hafennutzung erschlossen. Seit den 1960er Jahren befand sich hier das Überseezentrum, für lange Zeit die größte Sammel- und Verteilerhalle der Welt. Nachdem es 2016 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit geschlossen wurde, rückte das umliegende Gebiet als neu zu entwickelnder Stadtteil „Grasbrook“ ins Interesse der Stadtverwaltung. 2019 lobte die Stadt gemeinsam mit der HafenCity GmbH einen Wettbewerb für die städtebauliche Funktionsplanung aus.
Gewünscht ist ein hybrider Stadtteil an einem hybriden Standort: umgeben vom Hafen, von den Stadtteilen Veddel und Wilhelmsburg sowie, jenseits der Elbe, von Speicherstadt und HafenCity. Von einem Hafenbecken durchzogen, soll sich der „Grasbrook“ in drei Bereiche gliedern: das Moldauhafenquartier an der Elbe, den Saalehafen an der Verkehrsachse im Osten und das Hafentorquartier mit seinen denkmalgeschützten Gebäuden. Dieser gemischte Stadtteil mit flexiblen Gebäudetypologien soll ein Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten ermöglichen, mindestens eine CO2-neutrale Gesamtbilanz erreichen und soziale Nachhaltigkeit fördern – was immer das an dieser Stelle heißen mag.
Wettbewerblicher Dialog
Das Verfahren eines wettbewerblichen Dialogs in zwei Phasen ermöglichte eine kontinuierliche Bearbeitung der Ergebnisse und die Einbindung der Öffentlichkeit: Ein vorgeschalteter Teilnahmewettbewerb ermittelte je sechs Städtebau- und Landschaftsarchitekturbüros, die sich in der ersten Wettbewerbsphase gegeneinander behaupten mussten. Für die zweite Phase wurden drei gemischtdisziplinäre Teams zusammengestellt, die im Dialog untereinander aber auch mit der Jury und der Öffentlichkeit ihre Entwürfe bis April 2020 vertieften. Die Beteiligung von circa 2500 Bürgern fand in acht „Grasbrook-Werkstätten“ während des Verfahrens und im Vorfeld des Wettbewerbs statt, ergänzt durch Online-Angebote und Befragungen.
Die daraus ablesbaren Anliegen der Menschen finden sich in der Aufgabenstellung für den Wettbewerb wieder. Zentraler Punkt war die Verbindung zum östlich angrenzenden Stadtteil Veddel, gefragt waren neben anderen Innovationen aber auch Lösungen für Klima, Biodiversität und Mobilität. Mit dem Projekt soll ein „Fortschrittslabor“ für die Stadt Hamburg entstehen, das unter anderem dem Erkenntnisgewinn zum Hochwasserschutz dient.
Grüner Grasbrook
Das zweitplatzierte Team aus Mandaworks und Karres Brands entwarf eine städtebauliche Typologie, die von der Jury zwar gelobt wurde, aber mit ihrer Massivität Zweifel an der Wirtschaftlichkeit weckte. Die Planer entliehen sich das Bild des Hafenspeichers und schlugen vor, die Gebäude in Gruppen zusammenzufassen und auf einen Sockel zu stellen, in dem flexible gewerb-liche Nutzungen untergebracht sind.
Der Siegerentwurf des Teams aus Herzog und de Meuron (HdM) und Vogt Landschaftsarchitekten sticht weniger durch experimentellen Städtebau hervor als durch seine „Einfachheit und Robustheit“, so die Preisrichter. Entscheidendes Kriterium für den Wettbewerbsgewinn war die Großzügigkeit des nutzbaren Grüns: Die Landschaftsarchitekten fassten sämtliche Grünflächen zu einem fünf Hektar großen Volkspark als Kern des neuen Quartiers zusammen und bieten damit einen schwellenlosen Anknüpfungspunkt für die Bewohner umliegender Stadtteile.
Um den Park herum sollen drei Teilbereiche entstehen, ablesbar in Materialität und Bebauungsstruktur: erstens eine markante Bebauungskante zur Elbe, weiß verputzt, mit neun bis zehn Geschossen. Matthias Sauerbruch, der Juryvorsitzende, begrüßte diese Geste, die auch über die Weite der Elbe hin lesbar sein wird. Zweitens schlagen HdM für das übrige Moldauhafenquartier eine offene Blockrandbebauung in Holzbauweise vor – eine Materialität, die hinsichtlich des Standortes überrascht. Die gewerblich genutzten Häuser des Hafentorquartiers schließlich sollen die Typologie der Lagerhäuser aufnehmen und in Bezug zu der roten Backsteinarchitektur Hamburgs stehen.
Der zweite Ankerpunkt des Siegerkonzepts ist die Ausbildung eines städtebaulichen Zentrums an der Aufweitung des Hafenbeckens: der „Überseeplatz“ als Ankunftsort für das Quartier. Hier befindet sich die Haltestelle der geplanten Verlängerung der U4. Außerdem ist er Teil der „Überseemeile“, eines Aktivitätenbandes, dessen Anfangspunkt eine breite, begrünte Fußgängerbrücke über die Verkehrsachse Am Saalehafen/Am Moldauhafen bildet, wodurch die Verbindung zur Veddel, laut Jury, auf die klarste Art und Weise umgesetzt wird. Mit ihrer unkonventionellen Form scheint sie allerdings nicht so recht in den Arbeiterstadtteil Veddel zu passen. Leider bleibt im gesamten Wettbewerb ein neuer Fuß- und Radüberweg zur Hamburger Innenstadt, als Alternative zu den Elbbrücken, außer Betracht.
Internationaler, zweiphasiger wettbewerblicher Dialog
1. Preis Herzog & de Meuron, Basel, Vogt Landschaftsarchitekten, Zürich
2. Preis Mandaworks, Stockholm, Karres en Brands, Hilversum
3. Preis Adept, Kopenhagen, Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich
2. Preis Mandaworks, Stockholm, Karres en Brands, Hilversum
3. Preis Adept, Kopenhagen, Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich
Weitere Teilnehmer am Verfahren: Städtebaulicher Funktionsplan
gmp, Hamburg; KCAP, Rotterdam; MVRDV, Rotterdam
Freiraumplanung
Atelier Loidl, Berlin; Ramboll Studio Dreiseitl, Hamburg; WES LandschaftsArchitektur, Hamburg
Juryvorsitz
Matthias Sauerbruch, Berlin
Auslober
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Behörde für Umwelt und Energie, HafenCity Hamburg GmbH
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