Kein Wunder! Die Zwänge der Stuttgarter Wohnungspolitik
Als Mitbegründer der Genossenschaft Kraftwerk 1 hat Andreas Hofer vor zwanzig Jahren in Zürich eine neue Entwicklung im gemeinnützigen Wohnungsbau angestoßen. Als Intendant der IBA’27 soll Hofer nun in der Stadt und Region Stuttgart Ähnliches vollbringen. Der Autor prüft anhand einer Ausstellung*, die die Züricher Projekte in Stuttgart gezeigt hatte, ob dies gelingen kann.
Text: Heißenbüttel, Dietrich, Esslingen am Neckar
Kein Wunder! Die Zwänge der Stuttgarter Wohnungspolitik
Als Mitbegründer der Genossenschaft Kraftwerk 1 hat Andreas Hofer vor zwanzig Jahren in Zürich eine neue Entwicklung im gemeinnützigen Wohnungsbau angestoßen. Als Intendant der IBA’27 soll Hofer nun in der Stadt und Region Stuttgart Ähnliches vollbringen. Der Autor prüft anhand einer Ausstellung*, die die Züricher Projekte in Stuttgart gezeigt hatte, ob dies gelingen kann.
Text: Heißenbüttel, Dietrich, Esslingen am Neckar
Die IBA’27 soll „der Welt Lösungsansätze für die städtebaulichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aufzeigen.“ So steht es im IBA-Memorandum – wohl auch um die Skeptiker zu überzeugen, denn das Papier stammt aus der Zeit, als noch über den Sinn und Zweck einer IBA in Stuttgart debattiert wurde. Weltweit vorbildliche Lösungen: das entspricht dem Selbst-bild der Stuttgarter. Aber: Lösungen wovon oder wofür? (Stadtbauwelt 6.2018)
Die Probleme hat Walter Rogg, der Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Stuttgart, seinerzeit klar benannt. An erster Stelle: „Wir sind eine der reichsten Regionen Europas und der Welt und schaffen es nicht, bezahlbaren Wohnraum für alle bereitzustellen.“ Gleichwohl meinte Rogg festhalten zu können: „Eine Krisen-Bauausstellung wird’s bei uns nicht werden“ – im Unterschied etwa zur IBA Emscher Park 1987. Krise in Stuttgart? I wo.
Inzwischen ist die Krise offenkundig. Stuttgart hat die teuersten Mieten der Republik. 100.000 Haushalte hätten Anspruch auf eine Sozialwohnung, doch es gibt nur 14.000, Tendenz fallend. Die Menschen weichen ins Umland aus, was Verkehrsströme nach sich zieht und auch dort die Mieten in die Höhe treibt. Weitere elf Städte in der Region zählen nach dem Mietspiegelindex, den das Büro F+B seit 1996 herausgibt, zu den 30 teuersten der Republik. Das sind Probleme, die eine IBA nicht vom Tisch wischen kann. Aber sie kann zumindest, das scheint Hofers Hoffnung zu sein, Lösungsansätze aufzeigen.
In Zürich ist das Mirakel vor zwanzig Jahren gelungen. Das Projekt Hardturm der Genossenschaft Kraftwerk 1 hat den Anstoß gegeben. Seitdem sind über 150 Siedlungen neu entstanden oder beträchtlich erweitert worden, mit rund 20.000 Wohnungen. Allerdings ist Hofer kein Zauberkünstler. Es kommt auf die Rahmenbedingungen an. Die waren auch in der Hardturmstraße nicht günstig, aber doch so, dass sich ein Fenster öffnen konnte. In Stuttgart ist das bisher nicht erkennbar. Stadt und Region scheinen noch nicht genügend begriffen zu haben, dass sich an der Wohnungspolitik etwas ändern muss, damit auch in Zukunft Erzieherinnen und Krankenpfleger eine bezahlbare Unterkunft finden.
Zürich vs. Stuttgart
Nun lassen sich die Verhältnisse nicht ohne weiteres vergleichen. In Zürich wohnen über 90 Prozent der Stadtbürger zur Miete, in Stuttgart dagegen jeder dritte im Eigentum. Einen sozialen Wohnungsbau wie in Deutschland gibt es in der Schweiz nicht, dafür den gemeinnützigen Wohnungsbau – während in Deutschland die Gemeinnützigkeit 1990 abgeschafft wurde. In Stuttgart kostet eine durchschnittliche 70‑Quadratmeter-Wohnung nach dem städtischen Mietspiegel 1029 Euro kalt, nach den Marktauswertungen des Portals Wohnungsbörse 1250 Euro. In Zürich sind es umgerechnet 1750 Euro, was aber nur 17 Prozent des Durchschnittseinkommens entspricht, während in Stuttgart die durchschnittliche Mietbelastung laut städtischem Wohnungsmarktbericht bei 30 Prozent des Einkommens liegt.
Diese Zahlen sind freilich nur begrenzt aussagefähig, denn das Problem liegt vor allem bei den niedrigen Einkommen sowie bei den neu bezogenen und neu gebauten Wohnungen. Und gerade hier galoppieren in Stuttgart die Preise davon, während die Zahl der preisgünstigen Wohnungen bestenfalls stagniert.
Städtische Wohnungsbaupolitik
Grundvoraussetzung, um ausreichend bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen, ist eine vorausschauende städtische Bodenpolitik. Zwar gehört in Stuttgart wie in Zürich etwas mehr als ein Drittel der Gemeindefläche der Stadt. Aber darunter befinden sich viele Waldgebiete. Entscheidender ist, dass Zürich seit den 1950er-Jahren kein Land mehr verkauft hat. Auch in Stuttgart hat der städtische Grundbesitz nach Angaben der Stadt in den letzten Jahren zugenommen und soll weiter steigen. Doch allein zwischen 2000 und 2015 wurden städtische Immobilien im Wert von 854,5 Millionen Euro verkauft, gegenüber Grundstückskäufen in Höhe von knapp 800 Millionen Euro – darunter 450 Millionen für die Schienengrundstücke, die nach Fertigstellung des neuen Bahnhofs einmal zum Rosensteinquartier werden sollen. Das war 2001. Bis dort gebaut werden kann, werden noch Jahre vergehen.
Sogar an die eigene Wohnungsgesellschaft, die SWSG, verkauft die Stadt Grundstücke und will dies auch weiterhin tun: auf Kosten der Mieter. In Zürich vergibt die Stadt dagegen Grundstücke grundsätzlich nur in Erbpacht (Baurecht) an Genossenschaften oder private Wohnungsgesellschaften, die sich verpflichten, gemeinnützig zu bauen. Gemeinnützig: das heißt Kostenmiete und gedeckelte Vorstandsgehälter. In Stuttgart verdienen die SWSG-Vorstände um die 20.000 Euro im Monat; die Kostenmiete wurde 2008 abgeschafft, zugunsten einer Orientierung am Mietspiegel. Die Konsequenzen sind leicht erkennbar: Nach Tilgung der Kredite sinken in Zürich die Mieten, während der Mietspiegel immer nur steigt, jedenfalls schneller als die Einkommen der Mieter.
Dazu kommt: Mit ihrer eigenen Wohnungsgesellschaft sowie mehreren Stiftungen baut die Stadt Zürich ausschließlich gemeinnützige Wohnungen, die vor allem den niedrigen Einkommen zugutekommen, während die Genossenschaften eher für den unteren Mittelstand da sind. Die Stadt Stuttgart verfolgt dagegen mit ihrer Wohnungsgesellschaft die Politik, die geförderten Wohnungen – knapp die Hälfte des Portfolios der SWSG – durch Vermietung und Verkauf nicht preisgebundener Wohnungen zu finanzieren.
Als entscheidend erweist sich der Umgang mit dem Ersatzneubau. In Zürich haben die alten Genossenschaften in den letzten zwanzig Jahren viele Altbestände, zumeist schlichte Häuser mit kleinen Wohnungen, abgerissen und durch größere Neubauten ersetzt. Dies ist auch dort nicht immer unumstritten, rechtfertigt sich aber durch die hohe architektonische Qualität und die notwendige Nachverdichtung.
Stuttgart verbindet das Ziel der Nachverdichtung dagegen mit dem einer sozialen Durchmischung. Die Stadt fürchtet die negativen Effekte einer räumlichen Segregation in „Sozialghettos“. Im Stadtteil Freiberg, aufgewertet durch das Programm „Soziale Stadt“, hat die SWSG jüngst wieder 25 Wohnungen gebaut: Eigentumswohnungen. Während die Siedlung ursprünglich zum überwiegenden Teil aus Sozialwohnungen bestand, leben dort heute zunehmend auch Besserverdiener. Als „bewusste Teilverdrängung der ärmeren Mieter“ bezeichnet dies Wolf-Christian Strauss, Co-Autor der 2015 erschienenen Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) zum kommunalen Umgang mit Gentrifizierung.
Produktive Stadt
Das Wunder von Zürich – wenn man die Entwicklung seit dem Hardturm-Projekt so bezeichnen kann – kann sich in Stuttgart unter diesen Rahmenbedingungen kaum wiederholen. So kann die IBA allenfalls einzelne Projekte ermöglichen, die in Bezug auf Aspekte wie neue Wohnformen oder Klimagerechtigkeit gute Lösungen entwickeln.
Drei Baugemeinschaften haben sich etwa auf Hofers Rat zum größeren Projekt „Neuer Norden“ – eines von über 80 „weiteren Vorhaben“, die derzeit neben den sechzehn offiziellen IBA-Projekten auf der Website der Bauausstellung gelistet sind – zusammengeschlossen und suchen nun ein Grundstück. Flächen sind knapp. Nun wird nach dem Auszug des Statistischen Landesamts das Schoettle-Areal im Stadtteil Heslach frei: ein Grundstück des Landes. Eine Initiative fordert, die Stadt solle es erwerben, um ein bezahlbares, gemischtes Quartier zu schaf-fen. Die Ansätze sind da. Was fehlt, ist ein Sig-nal der Stadt, dass sie sich engagieren will und Abstand nimmt von der Verwertungslogik.
Andere Vorhaben, etwa am Wiener Platz im Stadtteil Feuerbach oder das kleine, wegweisende Wohnprojekt Kesselhof in Stuttgart-Botnang sind bereits auf dem Weg und wurden als beispielhafte Projekte mit ins IBA-Netz aufgenommen. Die eigentlichen IBA-Projekte sollen dagegen im Rahmen der IBA begonnen und fer-tig gestellt werden.
Inzwischen hat die IBA das Umland erreicht. Unter den sechzehn Projekten befinden sich sechs in Stuttgart, zehn in der Region, von Nürtingen bis Backnang und Böblingen. Wohnen ist fast immer Thema, allerdings nicht allein. Das Motto lautet „Produktive Stadt“. Gemischte Quartiere sollen entstehen, aus Wohnen und Arbeiten, in Winnenden und Wendlingen, auch Nachhaltigkeit, Mobilität und Landwirtschaft sindThema. Die Beteiligungsprozesse laufen, die Ideenschmiede brummt.
Was den kostengünstigen Wohnraum angeht, könnte das von zwei Genossenschaften geplante „Quartier am Rotweg“ mit einer als Reallabor angekündigten Beteiligung richtungs-weisend sein. Die Mieterinitiativen bleiben zwar misstrauisch, da die an dem Projekt beteiligte Baugenossenschaft Zuffenhausen erst kürzlich ihren ältesten, gut erhaltenen Block aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg mit 65 preisgünstigen Wohnungen abgerissen hat: um 61 neue zu bauen. Und erst auf Antrag der Linken im Bezirksbeirat kam ein Anteil von 30 Prozent, das sind nicht mehr als 18 Sozialwohnungen, zustande.
Es bleibt zu hoffen, dass hier nicht das alte Stuttgarter Spiel gespielt wird: Eine tolle Beteiligung für die neuen Bewohner, aber die Bestandsmieter werden nicht gefragt. Sie werden umgesetzt: in bestehende, nicht mehr mietpreisgebundene, aber günstige Altbauten, die dann zu Sozialwohnungen deklariert werden können, um den Schlüssel des Stuttgarter Innenentwicklungsmodells (SIM) zu erfüllen. Dieser verlangt 30 Prozent geförderten Wohnraum, wenn auch allenfalls zur Hälfte Sozialwohnungen. In diesem Fall sind es 45 Prozent, doch dabei entsteht keine einzige kostengünstige neue Wohnung.
Das Problem der Region, wie es Rogg geschildert hat, lässt sich so nicht lösen. Dazu braucht es mehr Commitment, seitens der Kommunen, aber auch der Genossenschaften und Bauträger. Das findet sich bisher nur bei Initiativen von un-ten wie Neuer Norden oder dem relativ aussichtsreichen Genossenschaftsprojekt „Neues Tübingen“, das Wohnraum für 500 Menschen schaffen will und sich Anfang nächsten Jahres um ein Areal bewirbt.
Zur IBA Stuttgart:
Seit dem Start der Projektsammlung im Oktober 2018 können sich Kommunen, Initiativen, Unternehmen und private Träger mit kleinen und großen Vorhaben für die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart bewerben, um in das IBA-Netz aufgenommen zu werden. Aus der Liste der Vorhaben wurden vom IBA-Kuratorium und IBA-Aufsichtsrat gemeinsam bisher sechzehn zu offiziellen IBA-Projekten ernannt, die Potenzial als wegweisende Ausstellungsorte für das Präsentationsjahr 2027 haben. Eine Übersicht über die IBA’27 Projekte und die etwa 80 Vorhaben im IBA-Netz findet sich auf IBA27.de
Seit dem Start der Projektsammlung im Oktober 2018 können sich Kommunen, Initiativen, Unternehmen und private Träger mit kleinen und großen Vorhaben für die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart bewerben, um in das IBA-Netz aufgenommen zu werden. Aus der Liste der Vorhaben wurden vom IBA-Kuratorium und IBA-Aufsichtsrat gemeinsam bisher sechzehn zu offiziellen IBA-Projekten ernannt, die Potenzial als wegweisende Ausstellungsorte für das Präsentationsjahr 2027 haben. Eine Übersicht über die IBA’27 Projekte und die etwa 80 Vorhaben im IBA-Netz findet sich auf IBA27.de
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