Kiel-Holstenstraße
Eine der ältesten Fußgängerzonen Deutschlands braucht eine Frischzellenkur. Ein Realisierungswettbewerb sollte Ansätze für eine neue Aufenthaltsqualität und Kiel-Bezug liefern. Lohaus Carl Köhlmos errangen den 1. Preis.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Kiel-Holstenstraße
Eine der ältesten Fußgängerzonen Deutschlands braucht eine Frischzellenkur. Ein Realisierungswettbewerb sollte Ansätze für eine neue Aufenthaltsqualität und Kiel-Bezug liefern. Lohaus Carl Köhlmos errangen den 1. Preis.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Die Kieler Holstenstraße ist eine der ältesten Fußgängerzonen Deutschlands. Eingerichtet schon in den 1950er Jahren, steht sie mit der Kasseler Treppen- und der Stuttgarter Schulstraße am Beginn einer Entwicklung, die bis etwa 1980 sämtliche Groß- und viele Kleinstädte in Deutschland erreichen sollte, und zwar in der Bundesrepbulik wie in der DDR. Der Holstenstraße kommt als Vorbild insofern besondere Bedeutung zu, als hier nicht, wie in Kassel und Stuttgart, ein ganz neuartiger Stadtraum geschaffen wurde – in Kassel als Durchbruch mit Treppen und Podesten völlig neu angelegt, in Stuttgart auf zwei Ebenen anstelle einer historischen Gasse –, sondern eine recht pragmatische Vertreterin des neuen Stadtraumtypus entstand. Die bis dahin für den Verkehr geöffnete Straße wurde 1953 einfach gesperrt, was möglich geworden war, weil parallel eine neue, großzügige Straße durch die Stadt gelegt worden war, die heutige Andreas-Gayk-Straße. Beides übrigens, Fußgängerzone wie Straßendruchbruch, sind Planungen, die schon in der Zwischenkriegszeit wurzeln, aber erst nach den starken Zerstörungen Kiels im Zweiten Weltkrieg umgesetzt werden konnten – mit Stadtbaurat Herbert Jensen, von 1935 bis ’61 im Amt, war die personelle wie fachliche Kontinuität garantiert.
Die Holstenstraße unterschied sich aber nicht nur mit Blick auf ihre Raumkonzeption von den etwa zeitgleich entstandenen Fußgängerzonen in Rotterdam, Kassel und Stuttgart, sondern auch mit Blick auf ihre Ausstattung. Gliedernde oder schmückende Elemente fehlten völlig: Es gab keine Pflanzschalen oder Hochbeete, keine Kunst im öffentlichen Raum, keine Wasserspiele und keine besonderen Laternen, kurz, all das, was damals andernorts an Landschaftsarchitektur in den neuartigen, den Passanten vorbehaltenen Stadträumen ausprobiert wurde, existierte in Kiel nicht. Einzige Maßnahme zur Weiterentwicklung des Stadtraum-Designs war der einheitliche Bodenbelag aus kleinen, quadratischen Platten, der den einstigen Straßenraum auf einer Ebene bedeckte; einzelne hellere Platten, linear gereiht, erinnerten an den vormaligen Tiefensog, wie er durch die fluchtenden Linien der Bordsteinkanten existiert hatte. Am Holstenplatz im Süden und an der Holstenbrücke in der Mitte aber öffnete sich die Fußgängerzone ins Landschaftliche, wie es für die Stadtplanung der Jahrhundertmitte typisch war, durch die topographische Situation begünstigt. Die Holstenbrücke am Kleinen Kiel bzw. Bootshafen markiert bis heute die Schwelle von Altstadt und Vorstadt.Derzeit ist die historische Bedeutung der Holstenstraße kaum mehr präsent, und da die Gestaltung von Anfang an nicht besonders ambitioniert war, ist das vielleicht auch nicht verwunderlich. Das Problem der Straße ist mittlerweile allerdings ein anderes: Kiel ist zwar eine von ihrer Lage an der Förde und der sanft hügeligen Modulation des Terrains begünstigte Groß-stadt, in der der Wechsel von Dichte und Weite immer wieder reizvolle Blickbeziehungen erlaubt, eine attraktive Hauptgeschäftslage aber fehlt ihr.
Die Holstenstraße wirkt heruntergekommen, das Warenangebot ist unterklassig, Laden- und Schaufenstergestaltungen wirken lieblos, die 50er Jahre-Fassaden der auf der Südseite nur zweigeschossigen Geschäftshäuser präsentieren sich durch unzählige Modernisierungswellen unkenntlich gemacht und sprechen jedem ästhetischen Anspruch Hohn. Eine Erneuerung liegt also nahe, und so wurde nun ein Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb für die Holstenstraße durchgeführt. Ziel war eine eigenständige Gestaltung mit „Kiel-typischer Handschrift“, die die unterschiedlichen Raumcharaktere im Wettbewerbsgebiet respektiert und erlebbar macht: das Gegenüber von Altstadtinsel und Vorstadt, den Holstenplatz im Süden und den angrenzenden Heinrich-Ehmsen-Platz mitsamt der zu integrierenden Bushaltestelle dazwischen, den Asmus-Bremer-Platz im Südabschnitt der Fußgängerzone und deren Öffnung am Bootshafen mit dem plötzlichen Panorama der Kreuzfahrtschiffe am Hafenkai. Außerdem sollten die Übergänge in die benachbarten Stadträume bewältigt werden: etwa zum Alten Markt mit seinen inzwischen denkmalgeschützten Pavillons aus den 70er Jahren oder in Richtung Rathaus. Die Stadt wünschte sich von den Teilnehmern ein gestalterisches Gerüst, das auch spontane Aktivitäten und temporäre Ereignisse trägt.
Die Holstenstraße wirkt heruntergekommen, das Warenangebot ist unterklassig, Laden- und Schaufenstergestaltungen wirken lieblos, die 50er Jahre-Fassaden der auf der Südseite nur zweigeschossigen Geschäftshäuser präsentieren sich durch unzählige Modernisierungswellen unkenntlich gemacht und sprechen jedem ästhetischen Anspruch Hohn. Eine Erneuerung liegt also nahe, und so wurde nun ein Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb für die Holstenstraße durchgeführt. Ziel war eine eigenständige Gestaltung mit „Kiel-typischer Handschrift“, die die unterschiedlichen Raumcharaktere im Wettbewerbsgebiet respektiert und erlebbar macht: das Gegenüber von Altstadtinsel und Vorstadt, den Holstenplatz im Süden und den angrenzenden Heinrich-Ehmsen-Platz mitsamt der zu integrierenden Bushaltestelle dazwischen, den Asmus-Bremer-Platz im Südabschnitt der Fußgängerzone und deren Öffnung am Bootshafen mit dem plötzlichen Panorama der Kreuzfahrtschiffe am Hafenkai. Außerdem sollten die Übergänge in die benachbarten Stadträume bewältigt werden: etwa zum Alten Markt mit seinen inzwischen denkmalgeschützten Pavillons aus den 70er Jahren oder in Richtung Rathaus. Die Stadt wünschte sich von den Teilnehmern ein gestalterisches Gerüst, das auch spontane Aktivitäten und temporäre Ereignisse trägt.
Die Chancen für eine Wiederentdeckung und -belebung des lange vernachlässigten Stadtzentrums stehen so schlecht nicht: Seit etwa zehn Jahren erlebt Kiel einen seit Olympia 1972, als an der Förde die Segel-Wettbewerbe ausgetragen wurden, nicht erlebten Aufschwung. Im Stadtzentrum ist er ablesbar an einer Reihe von Neu- und Umbauten für Wohnen, Hotellerie und Gewerbe, aber auch an einer bereits umgesetzten Neugestaltung des Stadtraums: Die Neugestaltung etwa des „Holstenfleet“ auf halber Höhe der Holstenstraße stellen wir auf Seite 32 vor. Die Hauptgeschäftsstraße könnte sich in ein paar Jahren in diese Entwicklung einreihen, wenn der im Wettbewerb erstplatzierte Entwurf von Lohaus Carl Köhlmos umgesetzt ist.
Die Hannoveraner Landschaftsarchitekten und Stadtplaner behandeln das Ende letzten Jahres fertig gestellte Holstenfleet mit seinem quergestreiften Bodenbelag und den gerundeten Betonmöbeln als „Inlay“, haben für die Fußgängerzone aber eine davon unabhängige Gestaltung entwickelt. Bei grundsätzlich identischen formalen Prinzipien für Altstadtinsel wie Vorstadt wechselt das Material des Bodens: Von gräulichem Klinker in der Vorstadt zu farblich ähnlichem, gestocktem Naturstein in der Altstadt. Die Farbigkeit soll an Schiffsplanken erinnern, so dass der geforderte Kiel-Bezug gewährleistet ist. Den Streifen aus großformatigen Platten vor den angrenzenden Gebäuden, der den Bereich möglicher Auslagen markiert, behandeln die Preisträger in beiden Stadtbereichen identisch; er soll an das Leibholz erinnern, das das Schiffsdeck am Rumpf begrenzt.
Dieses Motiv soll sich in die Querstraßen fortsetzen. Um die Längenausdehnung der Innenstadt zu betonen, wollen die Planer zwischen Holstenplatz und Holstenfleet/Bootshafen in Holstenstraße und Andreas-Gayk-Straße Baumreihen pflanzen; die vorhandenen Bäume auf dem Holstenplatz sollen integriert werden. Verschwinden sollen das kleine Brunnenbecken und die niedrige Natursteinmauer vor dem Astor-Hochhaus, ein Rudiment der Fifties-Platzgestaltung. Stattdessen wollen Lohaus Carl Köhlmos ein neues Wasserspiel anlegen, das die Ostsee und die auf ihr verkehrenden Schiffsverbindungen symbolisiert.
Für die kleine Statue, die jetzt noch am Bassin steht, mag sich hoffentlich ein Platz irgendwo auf dem großen Holstenplatz finden. Schließlich ist Kiel eine Stadt, deren heutige Gestalt ganz wesentlich in den 50er Jahren geprägt wurde. Deren Ästhetik darf in einem solchen Detail ruhig überdauern, viel lieber als in Gestalt von überbreiten Asphaltflächen.
Für die kleine Statue, die jetzt noch am Bassin steht, mag sich hoffentlich ein Platz irgendwo auf dem großen Holstenplatz finden. Schließlich ist Kiel eine Stadt, deren heutige Gestalt ganz wesentlich in den 50er Jahren geprägt wurde. Deren Ästhetik darf in einem solchen Detail ruhig überdauern, viel lieber als in Gestalt von überbreiten Asphaltflächen.
Freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb
1. Preis (44.000 Euro) Lohaus Carl Köhlmos Landschaftsarchitekten Stadtplaner, Hannover
2. Preis (33.000 Euro) WES LandschaftsArchitektur, Berlin mit H.H. Krafft
3. Preis (22.000 Euro) capatti staubach urbane Landschaften, Berlin
Anerkennungen (je 5500 Euro) GTL Michael Triebswetter Landschaftsarchitekt, Kassel; bauchplan, München
1. Preis (44.000 Euro) Lohaus Carl Köhlmos Landschaftsarchitekten Stadtplaner, Hannover
2. Preis (33.000 Euro) WES LandschaftsArchitektur, Berlin mit H.H. Krafft
3. Preis (22.000 Euro) capatti staubach urbane Landschaften, Berlin
Anerkennungen (je 5500 Euro) GTL Michael Triebswetter Landschaftsarchitekt, Kassel; bauchplan, München
Fachpreisgericht
Kees Christiaanse (Vorsitz), AW Faust, Doris Grondke, Martin Rein-Cano, Hartmut Topp, Kunibert Wachten
Ausloberin
Landeshauptstadt Kiel
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