Rückkehr nach Ecotopia
Alexander Stumm findet in den Visionen der 1970er Jahre zukunftsfähige Wege für die Bauwende.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Rückkehr nach Ecotopia
Alexander Stumm findet in den Visionen der 1970er Jahre zukunftsfähige Wege für die Bauwende.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Neben meinem Bett liegt derzeit das Buch „Ecotopia“. Der Öko-Klassiker von Ernest Callenbach aus dem Jahr 1975 beschreibt ein außergewöhnliches Science-Fiction-Szenario: Der Nordwesten der USA von San Francisco bis Seattle hat sich abgespalten und einen eigenen Staat gegründet: Ecotopia. Aus Sicht eines ungläubigen US-amerikanischen Reporters wird der Lesende in eine gänzlich nach ökologischen Prinzipien aufgebaute Welt entführt – in gewisser Weise die Antithese zu den postapokalyptischen spätmetabolistischen Anime-Welten. Faszinierend ist die Vision von Ecotopia für mich vor allem, weil sie schon damals alles beinhaltete, worüber wir heute bei der Bauwende diskutieren: Die Städte sind befreit vom motorisierten Individualverkehr, stattdessen stehen kostenfreie Fahrräder zur Verfügung, Hochgeschwindigkeitszüge verbinden die Metropolen, elektrische Lieferwägen versorgen die Bevölkerung.
Die Energie wird nachhaltig aus Sonne und Meer gewonnen. Die städtische Zonierung ist aufgehoben, die Menschen haben sich die Hochhäuser in Downtown wieder angeeignet. Architektur basiert auf dem Prinzip der zirkulären Stadt. Primärer Baustoff ist Holz, weshalb nachhaltige Forstwirtschaft eine immense Rolle spielt und eng mit der Gesellschaft verwoben ist: Jeder Ecotopian macht eine Art freiwilliges ökologisches Jahr im Wald und kehrt immer wieder dahin zurück. Die Beschränkung ökonomischer Freiheit hat neue Innovationen hervorgebracht. Dazu zählt ein Biopolymer, mit dem man Behausungen in der Natur errichten kann, die rückstandslos abbaubar sind – die pneumatischen Architektur-Phantasien der 1970er Jahre lassen grüßen. Auch sozial gibt es gravierende Unterschiede zum heutigen Kapitalismus. Gearbeitet wird selten mehr als 20 Stunden die Woche, die heteronormative Kleinfamilie ist in größere Sippschaften von circa 25 Personen aufgelöst, Frauen sind in den wichtigsten Führungspositionen. Natürlich darf im ökologischen Utopia auch der Fun nicht zu kurz kommen. Ganz in Hippie-Manier wird freie Liebe gelebt und gerne gekifft; wildfremde Menschen fallen sich auf offener Straße in die Arme und beglückwünschen sich ob ihrer Ausstrahlung. Alles ist möglich.
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