Bauwelt

StauWerke

Monuments of Power

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

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StauWerke

Monuments of Power

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

In einer Zeit, in der viele Mauern gebaut werden und zugleich der Ruf danach deutlich zu hören ist, alle möglichen Mauern einzureißen, fällt eine „Hommage an die grossen Mauern“, wie es im Untertitel des vorliegenden Buches heißt, erst recht ins Auge. Welche Mauern mögen gemeint sein? Die chinesische Mauer? Die Berliner Mauer? Die Frontext-Mauer der EU? Die Klagemauer? Inter Mailands Verteidigungsmauer unter Helenio Herrera in den sechziger Jahren? Nein: Staumauern sind gemeint, und zwar jene, die in der an Bergen wie Tälern reichen Schweiz zu finden sind.
Was werden wohl, wenn unsere Zivilisa­tion dereinst untergegangen sein wird, die Nachfolgenden über die gigantischen Betonmauern in den Alpen sagen? Allein in der Schweiz gibt es rund 200 davon. Die Fotografien von Simon Walther haben es an sich, dem Betrachter schon heute ein Gefühl dafür zu geben: So, wie er die Staumauern einfängt, erscheinen sie als zyklopische, unerklärliche, mystische Bauten. Die meist in Farbe, vereinzelt in Schwarzweiß gezogenen Fotografien sind in der Regel über zwei Seiten gedruckt und damit ähnlich raumgreifend wie ihre Sujets. Der Lichtbildner arbeitet mit pointierten Ausschnitten, schwindelerregenden Perspektiven, allen vorstellbaren Lichtverhältnissen und Kontrasten, spielt mit Farbe und Material: untergehende Sonne, Nebel, Nacht, gleißendes Licht, Spiegelungen, aber auch: grauer Himmel zu grauem Beton zu grauer Felswand.
Walther liebt die Überspitzung, könnte man sagen, wobei die Gegenstände seiner Bilder natürlich in sich schon extrem und aberwitzig sind. In ihrer Heftigkeit fügen sie sich dennoch auf geradezu natürliche Weise in die heftige Hochgebirgslandschaft, weshalb Köbi Gantenbein auch im Vorwort denkt: „‘Diese Mauern waren immer schon da.‘ Wie der Fels, der Baum, der Bergbach. So funktionieren Mythen.“ … ganz recht, so funktionieren sie: unerklärliches erklärlich machen. Die Griechen zum Beispiel verstanden nicht, wie es möglich gewesen sein konnte, Mykene aus derart großen Felsblöcken zu errichten. Deshalb erzählten sie sich, Zyklopen hätten die Stadt gebaut. Dem geneigten Leser mögen nun Bilder von stoffeligen, einäugigen Alm-Öhis in den Sinn kommen, denen man in Zukunft den Bau der Staumauern zuschreiben wird – und so abwegig sind diese Bilder gar nicht.
Gantenbein, Mitbegründer und ein Vierteljahrhundert lang Chefredakteur der Zeitschrift Hochparterre, führt ein in den Bildband, der bei Benteli erschienen und dessen Druckqualität von erster Güte ist. Von ihm erfährt der Leser in deutscher und englischer Sprache, dass die Gewichtsstaumauer an der Saane bei Fribourg von 1872 die erste Europas war und fünfzig Jah­re später am Lac de Montsalvens auch die erste Bogenstaumauer Europas mit horizontaler wie vertikaler Krümmung errichtet wurde. Bausteine eines Systems, das die Schweiz erleuchtet: „Die Wasserkraftwerke produzieren in 650 Zentralen 36,3 Terawattstunden Strom – kein Mensch kann sich diese Zahl anschaulich machen – sie ist groß, stark und viel.“
Mit einem persönlichen, poetischen, witzigen Essay bereichert Gantenbein das Buch wesentlich. Seine Kindheitserinnerungen vermischen sich darin mit dem kollektiven Gedächtnis der Eidgenossen. Aus diesem Stoff spinnt er eine neue Geschichte von Freud und Leid der Bergdorfgemeinden mit den Staumauern. So schreibt er mit am Schweizer Mythos der Wasserkraft.
Die letzte Seite schlüsselt auf, welches Foto welche Staumauer zeigt. Ihre Lektüre lohnt sich allein schon wegen der Namen: Lai da Ova Spin, Zervreilasee, Lai da Nalps, Lac de Mauvoisin, Grimselsee. Da entstehen die Mythen schon von ganz allein. Übrigens: Die Verteidigungsmauer von Inter Mailand, die als Catenaccio in die Geschichte einging, hatte ihren Ursprung in den 1930er Jahren, als der Österreicher Karl Rappan mit der Schweizer Nationalmannschaft und den Grasshoppers Zürich dieses Spielsystem entwickelte und zum Erfolgsgaranten machte. Man nannte es den „Schweizer Riegel“.
Fakten
Autor / Herausgeber Simon Walther
Verlag Benteli Verlag, Salenstein
aus Bauwelt 1.2023
Artikel als pdf

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