Wie Sie die Stuttgart-21-Pläne beurteilen
Zeitlos. Unglücklich. Anachronistisch
Wie Sie die Stuttgart-21-Pläne beurteilen
Zeitlos. Unglücklich. Anachronistisch
In Bauwelt 39–40 haben wir exklusiv die aktualisierten Pläne aus dem Büro Ingenhoven veröffentlicht und Sie zur Debatte aufgefordert. Ein Ausschnitt aus Ihren Beiträgen.
Philipp Dittrich:
Leider fehlt auch hier wieder der Schnitt quer zum neuen Bahnhof auf Höhe des Schlossgartens, wo erkennbar wäre, dass dort ein bis zu acht Meter hoher Damm entsteht, der empfindlich in die räumliche
Kontinuität des Parks vom neuen Schloss bis zum Neckar eingreift. Das ist viel gravierender als die Baumfällungen, und sicher ist es kein Zufall, dass dieser Schnitt nie zu sehen ist und alle Renderings die Böschung vertuschen.
Kontinuität des Parks vom neuen Schloss bis zum Neckar eingreift. Das ist viel gravierender als die Baumfällungen, und sicher ist es kein Zufall, dass dieser Schnitt nie zu sehen ist und alle Renderings die Böschung vertuschen.
Peter Donn:
Auf dem fehlenden Schnitt würde auch für Nicht-fachleute deutlich, dass der Neubau im Bereich des mittleren Schlossgartens keineswegs ein Tiefbahnhof ist, sondern ein verscharrter Hochbau – dort
wird das Bauwerk gemäß Planung nur zu einem Drittel eingegraben und zu zwei Dritteln (erdüberdeckt) oberirdisch errichtet. Das Projekt ist deshalb so peinlich, weil mit Gewalt versucht wird, ein Konzept (Tiefbahnhof) zu verwirklichen, das sich aufgrund einer Reihe von Sachzwängen (v.a. der erforderlichen Überquerung der S-Bahn-Trasse) gar nicht als unterirdischer Bahnhof realisieren lassen kann.
wird das Bauwerk gemäß Planung nur zu einem Drittel eingegraben und zu zwei Dritteln (erdüberdeckt) oberirdisch errichtet. Das Projekt ist deshalb so peinlich, weil mit Gewalt versucht wird, ein Konzept (Tiefbahnhof) zu verwirklichen, das sich aufgrund einer Reihe von Sachzwängen (v.a. der erforderlichen Überquerung der S-Bahn-Trasse) gar nicht als unterirdischer Bahnhof realisieren lassen kann.
Uwe Stuckenbrock:
Für mich steht außer Frage, dass das Projekt Stuttgart 21 unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Optionen gerechtfertigt ist und realisiert werden sollte. Die von Ingenhoven konzipierte Bahnstation hat ihre Zeitlosigkeit bewiesen. An einer engen Stelle des Stuttgarter Talkessels eine offene Stadtlandschaft vorzusehen, belegt, dass die Besonderheit des Ortes erfasst wurde.
Engelbert Rolli:
S 21 soll „Zukunft“ sein und „Zukunft für Stuttgart“ sichern. Zukunft kann aber immer nur da sein, wo Veränderung noch möglich ist. Der Halb-Tiefbahnhof verlegt das gesamte Bahnsystem (Technischer Stand 1994) in ein Tunnelgebilde – Beton-Sarkophag – von insgesamt 64 Kilometern unter die Erde! Wo bleibt da die Veränderungsmöglichkeit für das Bahnsystem für die „Zukunft nach Stuttgart 21“?
Klaus Schäfer:
Ein Interview mit Christoph Ingenhoven („Wir sind am Ende der Kuschelwelle“) im Berliner Tagesspiegel vom 24. August wurde mit einem Foto illustriert (Abbildung oben), das wohl die Harmlosigkeit oder mehr noch die Harmonie seines Projektes hervorheben sollte. Die Simulation offenbart das Dilemma zwischen Vision und Wirklichkeit, zwischen Architektenträumen und einem berechtigten Misstrauen von Bürgern daran.
Horst Schulze:
Ich halte es bei allem Respekt vor dem Wettbewerbsergebnis für ausgesprochen leichtfertig, die vorliegende Planung zu realisieren. Ich hätte es mir nicht zugetraut, diese unglückliche Baukastenanordnung als fertiges Projekt zu interpretieren.
Odile Laufner:
Der Vermarktungsdruck – um die immensen Kosten dieses unterirdischen Bahnhofs zu finanzieren – zieht eine hohe Bebauung an dieser sensiblen Talsohle nach sich, deren „städtebauliche Qualität und Lebendigkeit“ wir bereits heute im Gebiet neben und hinter dem Bahnhof besichtigen können. Lebendige Stadtentwicklung entsteht nicht unter einem solchen ökonomischen Druck und mit solchen Blockformaten. Wer wird hier einkaufen, wer wird die Mieten bezahlen können? Sicherlich keine Kreativen, Existenzgründer, junge Familien..., die für ein lebendiges Quartier aber notwendig sind.
Joachim Heiser:
Es wurde allerhöchste Zeit, dass diese Pläne veröffentlicht und diskutiert werden. Man muss erschaudern über diesen städtebaulichen Größenwahn, der sich hier offenbart. Da zeichnet sich eine beidarmig amputierte, perforierte Bahnhofsruine ab. Da sehen wir städtebauliche Unorte wie den sogenannten „Platz“ zwischen Bahnhofstorso und einem Megarenditebauwerk, das fetter und höher ist als der bestehende Bahnhof. Da soll eine Mondlandschaft aus Maulwurfshügeln den Bürgern als Platz untergejubelt werden. Man weiß gar nicht, wo man aufhören soll...
Cornelius Krähmer:
Der futuristische Entwurf von Ingenhoven, der den Bahnhof zur Landschaft macht, ist nach wie vor bestechend. Enttäuschend ist, dass der Entwurf in den vergangenen 13 Jahren anscheinend nicht weiterentwickelt wurde und Kritikpunkte der Jury ignoriert wurden. Unmöglich sind die gläsernen Halbschalen, die in Konkurrenz zu den Lichtaugen die Zugänge zur Bahnstation markieren müssen und insbesondere im Bereich des Turms dem Bestand mehr schaden als der Abriss der Seitenflügel.
Matthias Crux:
Keine glaubwürdig besetzte Jury würde diesen Entwurf heute noch prämieren. Das Projekt ist in den 90ern stehengeblieben. Der erweiterte Schlossgarten mit seinen gläsernen Stahlhauben über dem tiefer gelegten Bahnhof wirkt heute so anschronistisch wie die W140 S-Klasse aus jener Zeit: der Park als architektonische Motorhaube.
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