Bauwelt

Cité des Arts


Unter dem großen Dach


Text: Alihodžić, Selma, Stuttgart


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    Foto: Michel Denancé

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Besançon will ein Erfolgsmodell für die französische Dezentralisierungspolitik sein. Zum zweitägigen Eröffnungsprogramm der Cité des Arts et de la Culture kamen mehr als 10.000 Besucher aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz, um den ersten fertiggetellten Bau von Kengo Kuma in Frankreich zu sehen.
Nach dem wirtschaftlichen Einbruch der Uhren- und Textil­industrie von Besançon in den siebziger Jahren wird im Rahmen der Dezentralisierungspolitik Frankreichs in der Stadt und der Region eine Umstrukturierung zur Dienstleistungswirtschaft gefördert. So wurde bereits 1982 das FRAC Franche-Comté gegründet. Es hat die Aufgabe, ohne museale Ambitionen, regionale zeitgenössische Kunst zu unterstützen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mit einem ähnlichen Ziel bei der Musikausbildung war schon 1860 das städtische Konservatorium gegründet worden.
Mitte 2006 schließen sich die Region Franche-Comté, die Region Besançon und die Stadtverwaltung zusammen und loben einen Architekturwettbewerb für das Projekt „Cité des Arts“ aus. Von der Zusammenführung der FRAC Franche Comté und des Konservatoriums CRR zu einer Kulturstätte erhofft man sich eine Signalwirkung für die Stärkung der Region. Mit dem Projekt im ehemaligen Hafengelände sollen gleichzeitig brachliegende Industrieflächen und ein übrig gebliebener Bestandsbau neu genutzt werden. Finanziert wird das 46,4 Millionen Euro teure Projekt zum größten Teil von der Regional- und Stadtverwaltung sowie durch Subventionen aus staatlichen und europäischen Fonds. Unter einhundert Bewerbungen nationaler und internationaler Büros werden vier für den Wettbewerb ausgewählt: Chaix et Morel & Associés, Paris, Kengo Kuma, Tokio, Massimiliano Fuksas, Rom/Paris und Manuelle Gautrand, Paris. Alle vier eingereichten Beiträge schlagen eine Riegelbebauung vor, die den Bestandsbau freilässt. Kengo Kumas erhält 2007 den ersten Preis und wird mit der Realisierung beauftragt. Nach dem Wettbewerbsgewinn für das FRAC PACA in Marseille 2008 eröffnet Kuma, ne-ben dem Büro in Tokio, ein Büro für den europäischen Raum in Paris.
Mit offener Passage
Aus der Perspektive eines Fußgängers betrachtet, von der Altstadt kommend, erscheint die Cit´e des Arts in ihrer Kubatur zunächst fremd. Es stellt sich die Frage, ob es richtig war, einen so großen Gebäudekomplex in das historische Stadtbild einfügen zu wollen. In der Straßenansicht fasst das 190 Meter lange geschwungene Dach die beiden Institutionen, die in zwei unterschiedlichen, aber gleichwertigen dreigeschossigen Gebäuden untergebracht sind, zu einer Einheit zusammen. Eine offene Passage von der Straße zum Flussufer trennt aber auch beide Einrichtungen klar ablesbar voneinander. Das Bestandsgebäude ist von der Straßenseite aus nicht zu sehen. Kommt man von der Pont de Bregille, von der anderen Uferseite des Flusses Doubs, bietet sich einen ganz anderer Eindruck. Das Dach ist nun nicht mehr die große zusammenfassende Geste, sondern eine bewegte Kontur, vergleichbar mit der Zitadelle von Besançon, hoch oben auf dem Felsen gegenüber, (Bau­welt 37.2007) und der Stadtsilhouette im Hintergrund. Ein Einschnitt im CRR, der „Garten der Harmonie“, eine Passage, das Bestandsgebäude sowie die Rücksprünge im Baukörper des FRAC gliedern die Gesamtfigur. Die Cité des Arts erklärt sich aus diesem Blickwinkel in ihren Einzelteilen.
Die Größe des Gebäudes wird unbedeutend, schaut man von den Hügeln der Stadt. Von Osten gesehen, vom Fort de Bregille, fügt es sich fast unbemerkt in die Stadtsilhouette ein. Schaut man von der Zitadelle auf die Stadt, verschwimmt der Bau unter der kleinteilig gegliederten Dachstruktur mit dem Ufer. Von hier oben wird das Konzept von Kengo Kuma, Architektur und Landschaft zu vereinen, besonders deutlich. Allerdings stört das aus der Dachlandschaft herausragende rote Walmdach des Bestandsgebäudes diesen Eindruck.
Kengo Kumas Leitgedanke der Schichtung von Räumen und Materialien ist an den Fassaden abzulesen. Das Ichimatsu-Muster kennt man von seinen früheren Bauten in Japan, wie dem Lotus Haus von 2005 oder dem Rathaus von Yusuhara von 2006. Dieses simple Motiv lässt keine Schlüsse auf die Geschossigkeit zu – der Maßstab verliert sich. Die Gebäude für die Kunst und die Musik unterscheiden sich lediglich durch die Anordnung der Fassadenteile, vertikal oder horizontal, und durch die Körnung des Fassadenmusters. Über das 5900 Quadratmeter große Dach zieht sich das gleiche Muster. Bei der Planung waren alle Flächen aus Glas, Aluminium, mit Photovoltaik-Elementen belegt oder bepflanzt vorgesehen.
Blick in den Himmel
Besonders hervorzuheben sind die gebäudehohen Foyers der beiden Neubauten an der eindrucksvollen offenen Querpassage. Hier wird die Idee des übergreifenden Daches besonders deutlich. Als Verbindung der beiden Institutionen fängt die Passage die Geräuschkulissen der Stadt ein, das Rauschen des Flusses und die Musik. Die Spiegelungen der Landschaft und des Daches in den Glasfassaden überlagern sich mit den Durchblicken in den Himmel. Die Foyers sind öffentliche Bereiche und dienen gleichzeitig als Ausstellungs- und Veranstaltungsräume.
Das FRAC widmet sich seit 2006 dem Thema „Zeit“, ein Aspekt, der durch die Uhrmacherindustrie LIP einen starken regionalen Bezug in der Kunstszene hat. Die Sammlung zählt etwa 500 Werke. Neben Künstlern wie Marina Abramovich und Ryoji Ikeda ist vor allem zeitgenössische Kunst aus der Region vertreten. Das entkernte Bestandsgebäude wurde in die Räume integriert. Seine rauhen und unbehandelten Oberflächen erinnern an den alten Hafen und stehen im inszenierten Kontrast zur neuen Holzkonstruktion von Kengo Kuma. Im Neubau- wie im Altbauteil ergeben sich immer wieder Blickbezüge zur Zitadelle, zum Fluss und zur Stadt. Überraschend ist der 490 Quadratmeter große Ausstellungsraum, in dem der Dachstuhl des alten Lagergebäudes freiliegt. Die Terrasse im obersten Geschoss orientiert sich zum Wasser und macht die vorgehängte Holzstruktur räumlich erlebbar. Über eine großzügige Treppenanlage gelangt man von hier direkt zur Passage und zu den Uferanlagen.
Anders als das FRAC ist das CRR ein vollständiger Neubau, der etwas größer ist und dessen Räume, der Funktion genügend, kleinteiliger gestaltet sind. Für 1800 Schüler unterschiedlicher Altersgruppen bietet das Konservatorium klassische Musik-, Tanz- und Theaterausbildungen an. Das Foyer des CRR zeigt in einer Ausstellung auf zwei Ebenen die Geschichte des Konservatoriums. Der öffentliche Bereich des Foyers wird über ein dreigeschossiges innenliegendes Atrium fortgeführt. Als Himmelsleiter inszeniert, führt die große Stahltreppe des Atriums zu den Proberäumen – leider ohne einen direkten Bezug nach außen oder zum Dach. Das Herzstück des CRR bildet das 230 Quadratmeter große Auditorium. Das oberste Geschoss ist in der Fläche etwas kleiner, dafür aber von einer umlaufenden Terrasse umgeben. Der „Garten der Harmonie“ durchbricht den 34 Meter tiefen Baukörper. So kann Tageslicht in alle Räume fallen. Das Wechselspiel zwischen konzentrierter Arbeit in den Proberäumen und den Orten der Begegnung auf den Terrassen oder im Garten, verleiht dem Kulturzentrum Großzügigkeit. Die vielen Blickbezüge unterstützen Kengo Kumas Vision, mit einfachen Mitteln Räume voller Leben zu schaffen, die die Aktivitäten der Einrichtungen in den Vordergrund stellen. Am zur Doubs gegelgenen Zugang entwarf er eine großzügige Stufenanlage, ein Aufenthaltsort am Flussufer, der in der Stadt bisher völlig fehlt. 



Fakten
Architekten Kuma, Kengo, Paris/Tokio
Adresse 12 Avenue Arthur Gaulard, 25000 Besançon, Frankreich


aus Bauwelt 23.2013
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