Der vergessene Nuovo Palazzo del Cinema
Das Projekt für den Nuovo Palazzo del Cinema von den Architekten 5 + 1 AA und Rudy Ricciotti ruht
seit fünf Jahren in der Schublade. Die Baugrube neben dem alten Palazzo Congressi liegt verwaist.
Was hier weiter passieren wird, ist völlig offen.
Text: Marcello, Delfina, Venedig
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Centro Congressi und Palazzo di Cinema am Lungomare Marconi; Leben erwacht hier nur zu den Filmfestspielen
Federico Sutera
Centro Congressi und Palazzo di Cinema am Lungomare Marconi; Leben erwacht hier nur zu den Filmfestspielen
Federico Sutera
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Der Centro Congressi aus den dreißiger Jahren
Federico Sutera
Der Centro Congressi aus den dreißiger Jahren
Federico Sutera
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Der Vorbau des Palazzo del Cinema aus den fünfziger Jahren
Federico Sutera
Der Vorbau des Palazzo del Cinema aus den fünfziger Jahren
Federico Sutera
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5+1AA und Ricciotti planten einen großen Saal mit offener Fassade in Form eines Libellenflügels. Weitere Säle sollten im Untergeschoss liegen.
5+1AA und Rudy Ricciotti
5+1AA und Ricciotti planten einen großen Saal mit offener Fassade in Form eines Libellenflügels. Weitere Säle sollten im Untergeschoss liegen.
5+1AA und Rudy Ricciotti
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Betrachtet man diese Geschichte als Script, könnte man mit einer Clique von Geschäftsleuten, einigen Damen des Amüsements, Bewohnern des Lido und der Bürgerinitiative „Ein anderer Lido“ einen Film drehen. Der würde an „Gomorrha“ von 2008 erinnern, nach dem gleichnamigen Bestseller von Roberto Saviano: Vor zehn Jahren lobt die Biennale di Venezia einen eingeladenen Wettbewerb für einen neuen Filmpalast auf dem Lido aus. Es gewinnt das Büro 5+1 AA, Genua, in Zusammenarbeit mit Rudy Ricciotti, Marseille. Ihr Entwurf will den melancholischen Optimismus der großen Regisseure des italienischen Neorealismus zitieren: „Die Einsamkeit eines Gebäudes, wie eine Zauberschachtel, das etwas verbirgt und sich an einem Ort präsentiert, der abgelegen, aber gleichzeitig stark und magisch ist, und das nach Venedig wie durch den Flügel einer Libelle schaut.“ Das Projekt bekam schnell den Spitz-namen „der Fels“. Seine Oberflächen sind glatt, und dank einer Beschichtung aus Kunstharz und erdfarbenen Naturmaterialien im Wesentlichen neutral gestaltet. Es steht im Gegensatz zum strengen faschistischen Klassizismus des Altbaus und dem spielerischen Modernismus des Vorbaus vom Palazzo del Cinema aus den fünfziger Jahren. Der Neubau wäre auf einer Seite vollständig zum Außenraum geöffnet gewesen, mit einer Glasfassade die an einen Libellenflügel denken lässt, als Hommage an die Glasmeister aus Murano. Neben dem großen Saal mit 2400 Plätzen waren weitere Säle für 320, 120 und 50 Zuschauer vorgesehen.
Erinnert sei an dieser Stelle an einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Palazzo del Cinema von 1991. Damals waren Mario Botta, James Stirling, Fumihiko Maki, Sverre Fehn, Carlo Aymonino und Oswalt Mathias Ungers eingeladen. Das Ergebnis war mäßig und umstritten. Das Projekt wurde schnell wieder verworfen.
Asbest beim Aushub
Heute bedeckt eine riesige weiße Folie das Loch, aus dem der Nuovo Palazzo del Cinema emporwachsen sollte. Für die Baustelle waren 130 alte Bäume gefällt worden. Heute liegt sie verwaist, weil der Palazzo erst nach dem Verkauf des verlassenen Krankenhauses Ospedale al Mare auf dem Lido fertig gebaut werden kann. Von den für den Bau veranschlagten 137 Millionen Euro sollten 73 Millionen vom Staat kommen, 10 von der Region Venetien und – mit dem Erlös aus dem Verkauf des Krankenhauses – 54 von der Stadt Venedig. Käuferin des Krankenhauses ist eine Seilschaft aus den Investoren von EstCapital, Condotte und Mantovani.
Im April 2011 wird beim Ausheben der Baugrube für Nuovo Palazzo del Cinema Asbest gefunden. Deswegen steigen die Gesamtkosten von 137 auf 157 Millionen Euro. Angeblich sind 22 Säcke mit diesem Asbest auf einer illegalen Müllkippe in der Toskana verschwunden. Irgendwann wird die Summe der Baukosten auf 132 Millionen gekappt. Man reduziert die Sitzplätze im großen Saal und verzichtet auf zusätzliche Säle und die Tiefgarage; den versenkbaren Springbrunnen auf dem Vorplatz wird es nicht geben; die Treppen vor dem ehemaligen Casino, die der Lastwagen einer Baufirma stark beschädigt hat, werden nicht erneuert.
Im Mai 2011 finden sich für den Bau des Palazzos gerade mal 38 Millionen Euro in der Kasse, kostendeckend wären 96 Millionen. 30 Millionen sind angeblich schon für die Bodensanierungen und die erste Phase der Planungs- und Bauarbeiten ausgegeben, das heißt, sie flossen vor allem in die Grube! Die 96 Millionen sollten sich wie folgt zusammensetzen: 32 vom Staat, 10 von der Region und 54 von der Stadt. Der Staat hat seinen Anteil gezahlt, die Region hat lediglich 5 Millionen überwiesen und die 54 von der Stadt stehen noch aus, weil das Krankenhaus immer noch nicht verkauft worden ist.
Der eigentliche Skandal wird offensichtlich, als der Magistrat entdeckt, dass die staatlichen Gelder in der Zwischenzeit „verteilt“ wurden: an Politiker und Berater für die „Grandi Opere“, für Empfänge in den Hotels Excelsior und Gritti.
Wo ist das Geld?
Vom Nuovo Palazzo del Cinema steht nichts, und vom Geld des Staats ist wenig übrig. Unterstützt vom den ehemaligen Bürgermeistern, Cacciari und Orsoni, schlägt der Ingenieur Piergiorgio Baita, Geschäftsführer der Mantovani, einer der Firmen, die zusammen mit der Sacaim das MO.S.E-Flutabwehrsystem baut, ein eigenes, Projekt für den Nuovo Palazzo del Cinema vor: zwei kleine Ergänzungssäle am alten Palazzo del Cinema, Büros, Einkaufszentren und Luxussuiten für die wichtigsten Schauspieler und Produzenten. Doch Baita wird verhaftet: Beim MO.S.E-Projekt sind Schmiergelder gezahlt worden. Deswegen kommen auch die pompösen Projekte der EstCapital am Lido 2013 zum Erliegen.
Inzwischen hat die Biennale, trotz eines von 12,3 auf 6,5 Millionen Euro halbierten Budgets, aus eigener Tasche die Kosten für die Restaurierung der Sala Grande des alten Palazzo del Cinema bezahlt. Ihr Biennale-Präsident Paolo Baratta blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Venedig riskiert, alles zu verlieren, ohne eine garantierte Summe kann das Festival nicht stattfinden, es braucht nur Wenig, es anderswo durchzuführen!“ Und eigentlich waren es doch Baratta, der damalige Bürgermeister Massimo Cacciari, der Kulturminister Sandro Bondi und der Präsident der Region Venetien Giancarlo Galan (gegen ihn wird heute wegen Korruption in der Affäre Mo.S.E. ermittelt, ebenso wie gegen den Ex-Bürgermeister Orsoni, der Cacciari folgte), die am 4. August 2008 den Grundstein für den Nuovo Palazzo del Cinema gelegt hatten.
Jede Nacht tanzen hier nun die Schatten der Korruption im Licht der Scheinwerfer auf der verlassenen Baustelle.
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