Bauwelt

FRAC PACA


Zentrum für regionale Kunst


Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin


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    Foto: Schnepp Renou

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Etwas verspätet, doch noch rechtzeitig für die Europäische Kulturhauptstadt Marseille 2013, ist im vergangenen Monat das Zentrum für regionale Kunst FRAC PACA eröffnet worden. Kengo Kuma entwarf einen „Umschlag“ für das Gebäude. Dieser besteht aus 1700 Glas-Paneelen, die das Licht filtern und die Offenheit des Kunstzentrums deutlich machen sollen.
„Tatsächlich gründet die Schönheit des japanischen Raumes rein in der Abstufung der Schatten. Sonst ist überhaupt nichts vorhanden.“ (Tanizaki Jun’ichiro)
Der Besucher von Kengo Kumas Gebäude für den Fonds Regional d’Art Contemporain der französischen Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (FRAC PACA) sollte sich ihm vom Meer kommend nähern. Die gleißende Sonne am Hafen von Marseille sollte er verlassen, um durch die Gassen des Panier-Viertels zu gehen und dabei vielleicht, von Zeit zu Zeit innehaltend, in dem schmalen Büchlein von Tanizaki Jun’ichiro, „Lob des Schattens“, lesen. Auf wenigen Seiten wird hier der „Entwurf einer japanischen Ästhetik“ entwickelt und deren Prinzipien zu einer Zeit beschworen, in der Japan sich längst an den Leitlinien der westlichen Kultur orientierte. Nicht zufällig erwähnt Kengo Kuma die kleine Schrift von Tanizaki Jun’ichiro bei der Eröffnung des FRAC PACA im Frühling dieses Jahres – seines Gebäudes, in dem er ein weiteres Mal programmatische Kritik am europäischen Modernismus formuliert.
Der Neubau am Boulevard de Dunkerque im ehemaligen Hafenviertel La Joliette ist kein Museum der „Méditerranée“, auch nicht für mediterrane Kunst. Und Kengo Kumas Gebäude ist keine mediterrane Architektur: Es ist ein Gebäude für die Gegenwart der Kunst in Marseille, an der es selbst Anteil hat. Auch wenn es in einer scharfen Antithese zu Le Corbusiers Cité Radieuse entwickelt wurde, trägt Kumas Architektursprache dazu bei, Marseille weiterhin als eine „geistige Landschaft“ wahrzunehmen. In Kumas Gebäude spiegelt sich nicht die Auseinandersetzung mit dem Erbe der griechisch-römischen Antike oder der italienischen Renaissance wieder. Auch Spuren des in Marseille allgegenwärtigen Neobyzantismus und von in welcher Weise auch immer vermittelten Orientalismen sucht man hier vergebens. Kuma lädt die Architektur weder ornamental noch allegorisch auf, um das kulturelle Erbe der Méditerranée in seine eigene Formensprache zu übersetzen, wie es etwa Rudy Ricciotti in seinem, nur einen Steinwurf entfernten, MuCEM (Mus´´ee des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée) an der Festung Saint-Jean (Bauwelt 15) tut. Anders als bei diesem expressiven Solitär dient die Fassade bei Kengo Kuma nicht dazu, Bedeutung zu erzeugen, sondern vielmehr sie abzuschwächen.
Japanische Bühne
Auf der den einfachen Wohngebäuden zugewandten Hofseite ist die Fassade mit schlichten Eternit-Platten verkleidet. Die beiden Schauseiten hingegen werden durch emaillierte Glas-Paneele gebildet, die – auf verzinktem Stahlrahmen montiert – die Betonfassade einem Umschlag gleich umhüllen. Sie öffnen das Gebäude in der Flucht der Straße und filtern das Licht, das in die Straße und durch die bewusst reduzierten Fenster in das Gebäude fällt.
„Area Paca – Kengo Kuma – Chape 38“ – tritt man über die mit dieser Beschriftung markierte Schwelle am Eingang des FRAC, fällt zunächst eines auf: die Negation der Schwelle. Das Foyer und der angrenzender Restaurant-Bereich bleiben durch eine umlaufende Glasfassade zur Stadt hin geöffnet – werden gleichsam zu einer Verlängerung des Trottoirs. Wie eine japanische Bühne ist auch Kumas Ausstellungsgebäude kein abgeschlossener Raum.
Das Zusammenspiel
Und ebenso wenig wie Architektur hier ein Objekt ist, das von seiner Umwelt abgeschnitten wäre, sind es die Kunstwerke, die in ihr präsentiert werden: Das FRAC sieht seinen Auftrag darin, ein breites Publikum für zeitgenössische Kunst zu sensibilisieren, und für Kuma ist diese, wie er im Gespräch betont, nicht von ihrem Kontext zu isolieren. Sein Neubau ist kein Ort der bloßen Präsentation, sondern der Kommunikation. Entscheidend für die ästhetische Erfahrung ist ein Zusammenspiel mit dem Licht, in dem das einzelne Kunstwerk auch zu einer Fläche werden kann, die das Spiel des Lichts aufnimmt. An den Kuratoren ist es, sich dieser Herausforderung zu stellen.
An einem der Knotenpunkte der Stadt bietet das Gebäude des FRAC Öffnung und Vermittlung an: „Making a connection“ – das ist auch Kumas Absicht. Der Architekt sucht dabei eine andere, universale Form. Er hofft auf eine nicht objekthafte Form des Materials. Betritt man das Gebäude, wird der Blick weg vom Asphalt der Stadt, hin zu einem Wasserbassin und zum Spiel des Lichts auf dessen Oberfläche gelenkt. Es füllt einen schmalen dreieckigen Raum, der die Grundfläche des Gebäudes variiert und, wie Windfang und Terrasse im ersten Obergeschoss, eine Verbindung schafft zwischen dem Neubau und den angrenzenden Wohnhäusern. Auf acht Ebenen von unterschiedlicher Raumhöhe organisiert, führt der Weg über einige Treppenstufen zunächst in die Tiefe, in einen hallenartigen Ausstellungsraum, in dem der Blick doch zugleich in die Höhe geführt wird, zu einem in die Decke eingeschnittenen Trichter, der es dem Licht erlaubt, zwischen zwei Ausstellungsflächen zu zirkulieren.
Je weiter der Besucher dann in das Gebäude vordringt, desto mehr kann er es als ein Spannungsgefüge seiner Volumina erfahren: zwischen dem die gesamte Parzelle einnehmenden Depot im Untergeschoss und den drei Ausstellungs- und Bibliotheksflächen etwa, zwischen der Terrasse und einer Loggia, die das Gebäude an seiner Spitze gleichsam aufsprengt, zwischen der Intimität der über dieser Öffnung auskragenden, experimentellen Ebenen für Ateliers und Kabinettsausstellungen und der Weite der Stadt.
Mit dieser Spannung mag der Besucher von Kumas Gebäude in Marseille auch jene Irritation erfahren, die Jun’ichiro in seinem „Entwurf einer japanischen Ästhetik“ hervorhebt: „Abendländer wundern sich, wenn sie japanische Räume anschauen, über ihre Einfachheit und haben den Eindruck, es gebe da nur graue Wände ohne die geringste Ausschmückung. Das ist von ihrem Standpunkt her gesehen durchaus plausibel; aber es zeigt, dass sie das Rätsel des Schattens nicht begriffen haben. Wir hingegen bringen auf der Außenseite der Zimmer, in die die Sonnenstrahlen ohnehin schon mit Mühe eindringen, zusätzlich noch Schutzdächer oder Veranden an, um das Licht noch mehr fernzuhalten und um zu bewirken, dass sich nur der diffuse Widerschein vom Garten her durch die Shoji hindurch ins Innere stehlen kann.“ Kengo Kumas Gebäude folgt dieser Prämisse: Die 1700 Paneele der Fassade – im Atelier von Emmanuel Barrois in Handarbeit emailliert und jedes ein Unikat – filtern das Licht und treten an den Platz der traditionellen Papier-Shoji in Japan.
Der „Umschlag“ des FRAC aus Glas-Paneelen entzieht sich der fotographischen Reproduzierbarkeit. Er weist einen aus-
geprägten Sinn für handwerkliche Details auf und stellt sich, abhängig von den jeweiligen Lichtverhältnissen, als ex­trem wandlungsfähig dar. Gerade hier, in der Behandlung der Fassade, formuliert Kuma seine Antithese zu Le Corbusiers Modernismus, zu dessen glatten Oberflächen und den weißen Wänden, denen Schatten und Nuancierungen fehlen.
Ein Teil der Stadt
Eine Frage ist noch nicht beantwortet: Wie bezieht sich der der japanischen Tradition entstammende Entwurf für das FRAC auf den Ort, auf den Mittelmeerraum? Kengo Kumas Entwurf ist, wie schon erwähnt, dadurch dezidiert auf den Ort bezogen, weil er mit einem zentralen Moment der Künste im Süden umgeht, mit dem Licht. Kuma fügt der Kunstgeschichte der Méditerranée ein neues Kapitel hinzu. Mehr noch, durch seine grundlegende Bezogenheit auf die Stadtlandschaft Marseilles ist der Neubau ein Teil der Méditerranée: Kengo Kuma will das Gebäude als ein Teil der Stadt verstanden wissen.
Beim Verlassen des Hauses mag der Besucher einen Moment noch in Gedanken den Schattierungen des Lichts nachhängen, einen Moment lang noch der Schattenlinie folgen, die von der Fassade auf den Gehsteig geworfen wird, unterbrochen wie diese selbst – einen Moment lang, dann verlieren sich die Wege in den Straßen Marseilles, in einer Stadt, zu der Kengo Kumas „Anti-Objekt“ für den Fonds Regional d’Art Contemporain einen neuen Zugang eröffnet. 



Fakten
Architekten Kuma, Kengo, Paris/Tokio
Adresse 1 Place Francis Chirat, 13002 Marseille, Frankreich


aus Bauwelt 23.2013
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